Ein Onkologe erklärt, was die SARS-CoV-2-Pandemie für Krebspatienten bedeutet und welche Maßnahmen er jetzt ergreift.
„Wir wissen aktuell leider noch nicht, ob immunsupprimierte Patienten seitens der klinischen Symptomatik mit sonst gesunden Menschen wirklich vergleichbar sind“, sagt Dominik Wolf in einer Pressemitteilung der Innsbrucker Universitätsklinik. Er ist Direktor der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin V mit Schwerpunkt Hämatologie und Internistische Onkologie. Wie diese Patientengruppe auf das Coronavirus bzw. COVID-19 reagiert, ist eine Frage, die Onkologen derzeit sehr beschäftigt. Bisher gebe es wenige Daten, so Wolf, „aber vor allem Patienten unter Therapie und kurz nach der Therapie sind sicher deutlich gefährdeter als gesunde Vergleichspersonen ohne Vorerkrankungen im selben Alter.“
Das legen auch erste Daten aus China nahe. Eine Arbeitsgruppe hat das Ansteckungsrisiko für Krebspatienten in einer Fachklinik untersucht. Die Autoren werteten die Daten von 1.542 Patienten aus, die im Zeitraum vom 30. Dezember 2019 und 17. Februar 2020 in einer Klinik wegen Krebs behandelt wurden. Davon wurde bei 12 Personen eine Infektion mit SARS-CoV-2 festgestellt (0,79 %). Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung von Wuhan ist die Infektionsrate damit höher (0,37 %, 41.152 von 11.081.000 Einwohnern). 7 Inifizierte littten am kleinzelligen Lungenkarzinom, was darauf hindeuten könnte, dass diese Patientengruppe eine höhere Gefahr hat, an COVID-19 zu erkranken.
Aufgrund der niedrigen Zahl an untersuchten Patienten hält sich die Aussagekraft allerdings in Grenzen. Es wären umfangreichere Untersuchungen notwendig, um hier sichere Aussagen treffen zu können. Trotzdem gibt es keine Zweifel daran, dass bei Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem besondere Vorsicht geboten ist und dazu gehören natürlich auch Krebspatienten. Die Autoren raten dazu, Krankenhausbesuche auf das Mindeste zu reduzieren, da hier eine erhöhte Ansteckungsgefahr herrscht.
Für besonders gefährdet hält Wolf Patienten nach einer allogenen (Spende einer anderen Person, Anm.) „Stammzelltransplantation unter noch laufender Immunsuppression sind neben Patienten mit Immundefekten oder Therapien, die das Immunsystem bzw. das blutbildende System für längere Zeit (Aplasie) unterdrücken, am meisten gefährdet“, wird Wolf zitiert. Bisher gebe es keine systematischen Daten dazu, wie hoch das Risiko tatsächlich für die einzelnen Patientengruppen sei. Schließlich hätten hämato-onkologische Einheiten auch schon vor der Pandemie besondere Sorgfalt beim Patientenschutz eingehalten. „Unsere Patienten sind grundsätzlich auch gegenüber anderen Infektionen sehr vulnerabel und haben daher bisher bereits viele wichtige Maßnahmen zum Infektionsschutz befolgt, die nun auch das Risiko einer SARS-CoV-2 Infektion reduzieren können. Es ist jedoch sehr wichtig, aufgrund der aktuellen Ausbruchssituation die Wichtigkeit der Schutzmaßnahmen nochmals zu betonen und ausführlich zu besprechen“, fasst der Mediziner zusammen.
Was das Verschieben von Therapien während der Pandemie betrifft, stellt Wolf klar, dass in bestimmten Fällen weiterhin behandelt werden müsse. Nur jene Therapien und Krebsoperationen seien verschiebbar, aus denen kein Nachteil bei einem Aufschub entstehe. Damit sind lebensbedrohliche Situationen für Patienten sowie ein hohes Rückfallrisiko gemeint sowie Therapien, die ein akut genesendes Potenzial haben. In anderen Fällen lasse sich eine Verschiebung durchaus rechtfertigen, Beispiele nennt Wolf hier nicht.
In Hinblick auf die Übertragbarkeit bei Bluttransfusionen oder Stammzelltransplantationen gibt es viele offene Fragen. „Es ist nachgewiesen, dass MERS-CoV und SARS-CoV im Blut erkennbar sind, wobei der Nachweis mittels PCR (Polymeraskettenreaktion) nicht heißt, dass dies ‚lebensfähige‘ Viren sind. Eine Übertragung durch zelluläre Blutprodukte ist bisher nicht beschrieben. Allerdings muss die Möglichkeit, wenn auch unwahrscheinlich, in Betracht gezogen werden“, wie der Mediziner erklärt. Dies habe dazu geführt, dass nun etwa die „European Society for Blood and Marrow Transplantation“ (EBMT) empfiehlt, dass Patienten und SpenderInnen 14 Tage vor einer Spende beziehungsweises vor Aufnahme in die Klinik zu einer Stammzelltransplantation in häuslicher Quarantäne verbringen. Spender und Empfänger würden dazu vorab getestet. Wolf: „In bestimmten Transplantationssettings gibt es nun auch die Empfehlung, dass, wenn möglich, das Präparat von Fremdspendern eingefroren wird und erst nach Erhalt und einer negativen Testung im Transplantat mit der Vorbehandlung begonnen wird.“
Es sei nicht bekannt, dass SARS-CoV-2 einen Einfluss auf Krebsmedikamente habe. In positiv getesteten Fällen würde eine Therapie in der Regel ja schließlich verschoben werden. „Es ist aber mit Sicherheit davon auszugehen, dass vor allem jene Krebsmedikamente mit einer immunsuppressiven Wirkung das Risiko einer Infektion und auch eines schweren Verlaufs deutlich erhöhen. Gerade deshalb ist eine breitere und schnellere Testung von Patienten und Mitarbeitern im entsprechenden Gesundheitssektor durch eine drastische Ausweitung der Testkapazitäten und ein Expositionsschutz derzeit […] das einzig sinnvolle Instrument, um Krebspatientinnen und -patienten ausreichend zu schützen.“
Besondere Vorsicht ist auch bei ehemaligen Krebspatienten geboten, die etwa eine Chemotherapie, Bestrahlung oder Stammzelltransplantation hatten. „Wie bereits erwähnt, ist man unter Therapie am vulnerabelsten. Frühe chinesische Daten deuten auch darauf hin, dass Krebsüberlebende ein erhöhtes Risiko haben, sodass auch diese Gruppe nach Abschluss einer Therapie sich in besonderem Maße vor Exposition im Umfeld und durch Hygienemaßnahmen schützen sollte.“
Für Vor- und Nachsorgetermine setzt Wolf derzeit besonders auf digitale Gespräche. „Wir machen derzeit extrem viel Telemedizin. Das ersetzt nicht den Arzt und ist kein langfristig sinnvolles Konzept, um höchste Qualität in der Krebsversorgung sicherzustellen. In der aktuellen Situation ist es aber das beste Instrument, um eine Überwachung der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten, sie zu informieren und auch zu beurteilen, ob eine Vorstellung am Krebszentrum wirklich notwendig ist.“ Routineuntersuchungen sollten jetzt verschoben werden, um Patienten zu schützen. Denn in Kliniken herrscht eine erhöhte Ansteckungsgefahr mit SARS-CoV-2, so viel steht fest.
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