Im Kampf gegen COVID-19 sollte man neben dem Beatmungsgerät auch auf andere Behandlungsoptionen setzen, findet ein US-Forscherteam. Es sieht vor allem Potenzial in der Lysetherapie.
Forscher des MIT und der University of Colorado in Denver schlagen eine Notlösung vor, die hilfreich bei der Behandlung von COVID-19-Patienten mit akutem Lungenversagen (ARDS) sein könnte. In dem kürzlich veröffentlichten Report setzen die Autoren auf ein Enzym, das eigentlich zur Behandlung von Blutgerinnsel (Thromben) Anwendung findet: den gewebespezifischen Plasminogenaktivator, im Englischen abgekürzt als tPA (tissue plasminogen activator).
Bei tPA handelt es sich um eine im Körper vorkommene Serinprotease. Es wandelt Plasminogen in Plasmin um und bewirkt dadurch die Aktivierung der Fibrinolyse und Auflösung des Thrombus. Die gentechnologisch hergestellte Variante heißt Alteplase.
Das gentechnologisch hergestellte Enzym soll zum Einsatz kommen, wenn ein Beatmungsgerät nicht mehr hilft oder überhaupt keine Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen. Drei Kliniken in Massachusetts und Colorado treffen gerade Vorbereitungen, um den Ansatz an schwer erkrankten COVID-19-Patienten zu testen. Das Medikament wird teilweise beim Herzinfarkt und insbesondere bei Schlaganfall und massiver Lungenarterienembolie gegeben. Der Grund, warum sich das Enzym auch für die Behandlung von Corona-Fällen eignen könnte ist, dass diese Patienten häufig eine hochgradige Störung der Blutgerinnung aufweisen, die zur Entwicklung der Ateminsuffizienz beitragen kann. Dabei beziehen sich die Forscher auf Daten aus den Epizentren in China und Italien.
„Sollte das funktionieren, was ich sehr hoffe, könnte man den Vorrat dieses Medikaments schnell vergrößern, denn jedes Krankenhaus besitzt es bereits in seiner Apotheke. Es ist ein Medikament, das wir bereits verwenden. Wir versuchen nur, es umzufunktionieren“, sagt Studienautor und MIT-Professor Michael Yaffe in einer Pressemitteilung.
Die Sorge, nicht für jeden COVID-19-Patienten, ein Beatmungsgerät zu haben, wenn es benötigt wird, ist groß. Vor allem, nachdem in China und Italien eine große Zahl an Menschen aufgrund einer Ateminsuffizienz starben, nachdem sie kein Beatmungsgerät erhalten hatten. Entsprechend bedarf es zusätzlicher Behandlungsansätze, schreiben die Autoren.
Der Behandlungsvorschlag des MIT und der University of Colorado basiert auf jahrelanger Forschung zu der Frage, was in den Lungen bei einem ARDS passiert. Vermutlich bewirkt eine Dysfunktion des pulmonalen Gefäßendothels eine verstärkte Blutgerinnung, sodass Mikrothromben die kleinen Lungengefäße verengen und den Gasaustausch einschränkt. Dies trägt entscheidend zur progressiven Verschlechterung der Ateminsuffizienz bei. Auch bei COVID-19 scheint die Hyperkoagulabilität ein ARDS mitzubedingen. Als Komplikation kann es weiterhin zum akuten Nierenversagen sowie zur akuten Herzinsuffizienz kommen.
Bisher gibt es lediglich Tierexperimente sowie eine Phase-I-Studie an Menschen, wo dieser Behandlungsansatz bei ARDS untersucht wurde. Die klinische Studie ist aus dem Jahr 2001 und die Probandenzahl beschränkte sich auf 20 Patienten. Diese bekamen zwar nicht tPA, jedoch ein Medikament mit dem gleichen Wirkmechanismus. In dieser Studie konnte die Gabe von Urokinase oder Streptokinase die Mortalität von 100 auf 70 % reduzieren.
Es handelt bisher sich um die einzige Studie, in der Plasminogenaktivatoren eingesetzt wurden, um ein ARDS zu behandeln. Das liege den Autoren zufolge zum größten Teil daran, dass die Behandlung mit Beatmungsgeräten in den meisten Fällen gut funktioniere. Genau das scheine bei vielen Patienten mit COVID-19 nun nicht mehr der Fall zu sein, wie Yaffe betont.
Der sogenannte Compassionate Use der FDA erlaubt Medizinern jetzt, experimentelle Ansätze zu testen. Das Forscherteam wird tPA unter diesen Voraussetzungen bei Patienten einsetzen, bei denen es keine weiteren Behandlungsoptionen mehr gibt. Sollte sich herausstellen, dass das Medikament bei den ersten Versuchen Erfolge zeigt, könnte die Indikation von tPA erweitert werden, sagt Yaffe.
Das Projekt soll nun von der Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA), einem Büro des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums, finanziert werden. Auch Francis Collins, Direktor des National Institutes of Health (NIH) sei über das Vorgehen informiert. Yaffe: „Genentech, der Hersteller von tPA, hat das Medikament bereits für einen Erstversuch kostenlos zur Verfügung gestellt und angedeutet, dass es den Zugriff darauf schnell erweitern würde, wenn die Patienten gut darauf ansprechen.“
Es gebe grundsätzlich eine gute Evidenzlage, die dafür spricht, diesen therapeutischen Ansatz weiterzuverfolgen, erklärt Yaffe. Zu klären wäre noch die Applikationsform, die Dosierung und die notwendige Behandlungsdauer.
Zur Lysetherapie (z.B. beim Schlaganfall) wird tPA initial intravenös als Bolus verabreicht, gefolgt von einer zweiten Gabe über einen längeren Zeitraum. Alternativ ist auch eine inhalative Applikation über einen Vernebler denkbar.
Den Dosierungsplan für COVID-19-Patienten erarbeiten die Forscher nun gemeinsam mit einem Biotechnologieunternehmen. Noch ist nicht sicher, ob der Ansatz wirklich funktioniert. Doch Yaffe sieht großes Potenzial in der Behandlungsform: „Die gesundheitlichen Vorteile sind offensichtlich. Wir könnten Menschen vielleicht früher vom Beatmungsgerät wegbekommen und womöglich auch vermeiden, dass Menschen dauerhaft auf ein Beatmungsgerät angewiesen sind.“
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