Ein zentrales Problem der COVID-19-Pandemie ist, dass Kliniken zum Infektionsherd geworden sind. Beim nächsten Mal sollte man infizierte Patienten an der Klinik vorbeinavigieren, argumentiert eine italienische Ärztegruppe.
Man muss Epidemien in der Zukunft anders angehen. So lautet die Kernaussage eines Artikels, der vergangenen Samstag veröffentlicht wurde. Verfasst hat ihn eine Gruppe von Ärzten aus der Lombardei.
Die Autoren warnen, dass es in jeder westlichen wohlhabenden Region mit einem unter normalen Bedingungen funktionierenden Gesundheitssystem zu solch einem Ausnahmezustand kommen könne. Unser Versorgungssystem sei patientenzentriert, was für eine Pandemie wie diese völlig ungeeignet sei. Man müsse vielmehr in solchen Zeiten auf eine gesellschaftszentrierte Gesundheitsversorgung umstellen können.
Die Ärzte eines modernen Krankenhauses in Bergamo beschreiben in dem Artikel die momentane Situation vor Ort. „Die Lombardei ist eine der reichsten und engbesiedeltsten Regionen in Europa, und momentan wohl auch die am stärksten betroffene“, schreiben sie. „Unser Krankenhaus ist hoch-kontaminiert und die Lage ist schon lange gekippt, 300 von den 900 Betten sind von COVID-19-Patienten belegt, 70 % unserer ICU-Betten sind für kritische Corona-Patienten reserviert, welche eine realistische Chance haben, zu überleben.“ Weiterhin beschreiben sie, dass sie ihren normalen Standard schon längst nicht mehr aufrecht erhalten können, Wartezeiten unzumutbar lang seien, und sie den sterbenden Patienten nicht einmal mehr eine Palliativ-Behandlung ermöglichen könnten.
Für Situationen wie diese seien Experten für öffentliches Gesundheitswesen und Epidemiologen nötig, welche beratend sowohl auf nationaler und regionaler Ebene als auch auf Krankenhaus-Ebene tätig sein müssten. Erst dann könnten Entscheidungen und Maßnahmen getroffen werden, die aus epidemiologischer Sicht auch sinnvoll sind und den Verlauf wirklich eindämmen würden.
Die Autoren bemängeln, dass gerade Kliniken einen großen Beitrag an der Verteilung des Virus leisten würden, da sich dort infizierte Patienten sammeln würden, und dann die Infektion auf das Personal und andere Patienten übergehe. So müssten mobile Kliniken geschaffen werden, die Patienten zu Hause versorgen und mildere Verläufe fernab von den Krankenhäusern behandeln könnten. Das würde vor einer Virus-Verbreitung schützen und Schutzkleidung sparen. Außerdem müssten COVID-19-Einheiten geschaffen werden, die völlig getrennt vom restlichen Klinikbetrieb bleiben könnten.
Schlussendlich macht die Ärztegruppe darauf aufmerksam, dass es sich bei einer solchen Pandemie nicht nur um eine medizinische, sondern auch um eine humanitäre Krise handele. So seien nicht nur Ärzte, sondern auch Sozialwissenschaftler, Epidemiologen, Logistik-Profis, Psychologen und Sozialarbeiter gefragt. Irgendwann müssten die Maßnahmen aus ökonomischen Gründen gelockert werden, dann sei die Möglichkeit eines erneuten Infektions-Peaks gegeben. Je mehr eine Gesellschaft zentralisiert und medizinisch fokussiert sei, desto mehr Probleme habe sie durch solch ein Virus.
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