Allen Protesten zum Trotz hat der Bundestag ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung verabschiedet. Keine Ausnahmen für Berufsgeheimnisträger wie Ärzte oder Apotheker. Experten bezweifeln, dass Ermittlungsbehörden von Heiko Maas' neuestem Streich profitieren.
Mitte Oktober gaben Union und Sozialdemokraten im Bundestag grünes Licht für das umstrittene Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zufolge handele es sich um einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung – allerdings in „verhältnismäßigem Maße“. Provider müssen künftig Telefon- und Internetverbindungsdaten ohne Ausnahme speichern. Dazu gehören Rufnummern, Zeitpunkt und Dauer der Gespräche, GPS-Daten, IP-Adressen, nicht aber Inhalte – mit einer Ausnahme: Kurznachrichten (SMS/MMS) sollen ebenfalls erfasst werden. Informationen zum E-Mail-Verkehr und zu besuchten Websites wurden ausgenommen. Als maximale Archivierungsfrist wurden zehn Wochen festgelegt. Standortdaten von Smartphones oder sonstigen Mobilgeräten müssen nach spätestens vier Wochen gelöscht werden. Health Professionals genießen keinen Sonderstatus.
Noch in letzter Minute hatten Standesorganisationen per Resolution versucht, das Blatt zu wenden. „Alle Patienten benötigen die Möglichkeit, sich jederzeit auch telefonisch, vor allem in Krisensituationen, an den Arzt oder Psychotherapeuten wenden zu können und auf die uneingeschränkte Gewährleistung der absoluten Vertraulichkeit ihrer Gespräche vertrauen zu können“, heißt es im Dokument. „Schon das Gefühl einer Registrierung kann eine unter Umständen überlebensnotwendige Kontaktaufnahme verhindern.“ Heiko Maas teilte entsprechende Befürchtungen nicht. Er definiert als einzige Ausnahme Verkehrsdaten von Personen oder Organisationen, die anonyme telefonische Beratung in Notlagen anbieten. Strafverteidiger, Geistliche und Abgeordnete genießen in Zusammenhang mit ihrer Profession ohnehin einen absoluten Schutz. Für Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Zahnärzte, Apotheker oder psychologische Psychotherapeuten gelten normale Speicherfristen.
Zum Hintergrund: Bei jedem Kontakt zwischen Heilberuflern und Patienten prallen unterschiedliche Interessen aufeinander. Gespräche können intimste Bereiche des Lebens betreffen, die sogar vom Grundgesetz geschützt werden. In anderen Fällen handelt es sich vielleicht um weniger sensible Themen, die allenfalls zum Bereich der Privatsphäre zählen. Dem gegenüber stehen öffentliche Interessen zur Vereitelung oder Verfolgung von Straftaten. Wo genau die Grenze verläuft, lässt sich nicht immer klar sagen. Die unbefriedigende Situation geht auf ein höchstrichterliches Urteil aus dem Jahr 2011 zurück. Damals diskutierten Politiker und NGOs mit Leidenschaft über Einschränkungen bei der Telefonüberwachung. Letztlich entschied das Bundesverfassungsgericht. „Indem der Gesetzgeber das absolute Beweiserhebungs- und -verwendungsverbot des § 160a Abs. 1 StPO auf wenige Ausnahmefälle begrenzt, trägt er dem Umstand Rechnung, dass die Verfolgung von Straftaten hohe Bedeutung hat, denn der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden“, heißt es im Urteil. Diese Argumentation greift auch bei Aspekten zur Vorratsdatenspeicherung. Ob es in der Praxis gelingen wird, entsprechende Grenzen zu ziehen, ist fraglich.
Weitere Kritikpunkte kommen mit hinzu. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) stellt vor allem die Frage, welchen Mehrwert entsprechende Maßnahmen wirklich bringen. „Mit 80 Prozent Mehrheit im Bundestag kann alles beschlossen werden, auch eine verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung“, sagt die ehemalige Justizministerin. „Dabei ist gerade nach den fürchterlichen Anschlägen auf Charlie Hebdo eines klar geworden: Die Vorratsdatenspeicherung in Frankreich hat sie nicht verhindert.“ Weitere Katastrophen, Stichwort Germanwings-Absturz, werden ähnlich bewertet. Der Pilot verschwieg gegenüber seinem Arbeitgeber medizinisch relevante Informationen. Genau hier kommt die Vorratsdatenspeicherung zur Sprache. Hätte es einen Anfangsverdacht gegeben, wären telefonische Kontakte zu Ärzten respektive Psychiatern schon ausreichend, um daraus Gefährdungsmomente abzuleiten. Hätte, wäre, könnte - nur gab es vorab keinerlei Hinweise.
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder hat ähnliche Zweifel: „Es ist fraglich, ob die angestrebten Ermittlungserfolge einen derart starken Eingriff in die Grundrechte der Bürger rechtfertigen.“ Aus seiner Sicht hätte es vor allem Möglichkeiten zur intensiveren Diskussion geben müssen. Rohleder spekuliert, dass das Gesetz „mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder vor dem Verfassungsgericht landen wird“. Kein Einzelfall: Anfang 2014 erklärte der Europäische Gerichtshof die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig, da sie mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht vereinbar sei.