Dass Rauchen COPD verursacht, ist wahrlich keine Neuigkeit. Doch nicht alle Raucher entwickeln diese Erkrankung – eine neue britische Studie hat nun genetische Unterschiede ausgemacht, die das Rauchverhalten und die Prädisposition für Lungenkrankheiten beeinflussen.
Für die im September 2015 in Lancet Respiratory Medicine veröffentlichte Studie untersuchten die Forscher um Prof. Martin Tobin von der Universität Leicester und Prof. Ian Hall von der Universität Nottingham Proben von 50.008 Briten. Diese wählten sie so aus dem UK BiLEVE-Register aus, dass je 10.002 Proben von Individuen stammten, deren FEV1 gering war, je 10.000 stammten von Personen mit mittlerem FEV1 und je 5.002 Proben stammten von Personen mit hohem FEV1 – und zwar sowohl aus der Gruppe der starken Raucher als auch aus der Gruppe solcher Personen, die noch nie in ihrem Leben geraucht hatten. Die Forscher identifizierten sechs Loci, die einen Einfluss auf die Lungengesundheit haben: KANSL1, TSEN54, TET2, RBM19/TBX5, NPNT und HLA-DQB1/HLA-DQA2. Mehrere dieser Gene deuten darauf hin, dass epigenetische Mechanismen eine Rolle bei der Pathogenese von Lungenkrankheiten wie COPD spielen: Bei KANSL1 handelt es sich um eine Untereinheit des NSL1-Proteinkomplexes. Dieser Komplex ist an der Histon-Acetylierung beteiligt und beeinflusst so, wie gut die DNA für eine Transkription zugänglich ist. Auf diese Weise könnten Entzündungsprozesse im Lungengewebe reguliert werden. Das TET2-Gen dagegen kodiert für die Methylcytosin-Dioxygenase 2, einem Enzym, das den Methylierungsgrad der DNA steuert und eine Rolle bei der adaptiven Immunantwort spielt, indem es die Differenzierung von CD4+ T-Zellen steuert.
Neben der Epigenetik spielt anscheinend auch die Lungenentwicklung eine Rolle bei der Pathogenese von COPD: Das Protein HHIP ist bereits seit längerem dafür bekannt, dass es Wachstum und Gesundheit der Lunge mitbestimmt. Nun konnten die Forscher bestätigen, dass HHIP auch eine Anfälligkeit für COPD vermittelt. Zusätzlich fanden die Forscher zahlreiche Genvarianten, die das Rauchverhalten beeinflussten: Bei CHRNA3 und CHRNA5 handelt es sich um nikotinische Acetylcholin-Rezeptoren – dass für diese Gene eine Assoziation mit dem Rauchverhalten festgestellt werden konnte, verwundert daher wenig. NCAM1 ist dagegen ein membranständiges Glykoprotein, das die Adhäsion von Nervenzellen vermittelt und dem bisher keine Rolle bei der Nikotinsucht zugesprochen wurde. Nachdem die Forscher nun bestimmte NCAM1-Varianten als genetische Marker für das Rauchen ausgemacht haben, gilt es zukünftig herauszufinden, wie genau NCAM das Suchtverhalten beeinflusst. Die Ergebnisse der Studie liefern erste Hinweise auf neue Moleküle und Mechanismen, die die Lungengesundheit beeinflussen und an der Pathogenese von Lungenerkrankungen beteiligt sind. „Zu verstehen, wie sich die Gene auf Krankheiten und Tabaksucht auswirken, kann uns dabei helfen, bessere und gezieltere Therapien zu entwerfen und zu entwickeln, die wahrscheinlich effektiver sind und weniger Nebenwirkungen haben“, erklärt Studienleiter Hall. Bis neue Therapien für Lungenerkrankungen wie COPD zur Verfügung stehen, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Zunächst gilt es, die Ergebnisse an einem größeren Kollektiv zu bestätigen und die molekularen Mechanismen aufzuklären, die hinter der nun entdeckten Assoziation zwischen bestimmten Genen und Lungengesundheit bzw. Rauchverhalten stecken.
Bereits vor der nun veröffentlichten Studie gab es Hinweise darauf, dass epigenetische Modifikationen lokale Entzündungsprozesse in der Lunge steuern. 2005 stellten britische Forscher fest, dass die Histon-Deacetylase-Aktivität im Lungengewebe von COPD-Patienten vermindert ist. Dies führt zu einer Hyperacetylierung, wodurch es zu einer Überexpression inflammatorischer Gene und einer gesteigerten Produktion proinflammatorischer Zytokine kommt. Die Studie von Tobin und Hall legt nun nahe, dass Mutationen in Genen, die die epigenetische Regulation steuern, die Lunge anfällig für schädliche Umwelteinflüsse wie Zigarettenrauch machen können. Doch Zigarettenrauch hat auch direkt einen Einfluss auf den epigenetischen Code: Zahlreiche Gruppen haben zeigen können, dass im Lungengewebe von Rauchern die DNA abnorm methyliert und die Histone acetyliert sind. Der durch den Zigarettenrauch verursachte oxidative Stress scheint hierbei eine Schlüsselrolle zu spielen. Oxidativer Stress kann beispielsweise die Expression und Aktivität des Enzyms DNA-Methyltransferase 1 erhöhen und so zu einer Promotor-Hypermethylierung führen, wodurch Zielgene abgeschaltet werden können. Ebenso vermindert oxidativer Stress die Expression und Aktivität der Histon-Deacetylase 2 (HDAC2). Immerhin: Auch wenn diese epigenetischen Veränderungen noch viele Jahre nach der Beendigung des Rauchens nachweisbar sind, scheinen sie doch zumindest teilweise reversibel zu sein.
Trotz all der Forschung an epigenetischen Fragestellungen ist die Epigenetik aber – bis auf wenige Ausnahmen – noch nicht im medizinischen Alltag angekommen. Forscher wie Dr. Heinz Linhart vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen, Heidelberg, haben immerhin schon zeigen können [Paywall], dass epigenetische Modifikationen wie Methylierungen bei der Diagnose nützlich sein können. „Da Methylcytosin sehr sensitiv und kostengünstig nachgewiesen werden kann, eignen sich tumorassoziierte Methylierungsveränderungen hervorragend als diagnostische Marker“, so Linhart. Doch auch in der Therapie bietet die Epigenetik neue Möglichkeiten: Das Expressionsprofil von Genen gezielt zu verändern, beispielsweise mittels Histon-Deacetylase-Inhibitoren, könnte bei einer Vielzahl von Krankheiten wirksam sein, zum Beispiel bei malignen Tumoren, neurodegenerativen Erkrankungen, Diabetes mellitus und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und wie die Studie von Tobin und Hall gezeigt hat, möglicherweise auch bei COPD, da epigenetische Veränderungen die zelluläre Antwort auf Zigarettenrauch und andere Schadstoffe in der Luft zu modulieren scheinen.
Bisher gibt es allerdings nur eine Handvoll Arzneimittel, die auf epigenetischen Wirkmechanismen beruhen. Dazu gehört das Zytostatikum Azacitidin, seit 2009 zugelassen zur Therapie der akuten myeloischen Leukämie (AML), des myelodysplastischen Syndroms (MDS) und der chronischen myelomonozytären Leukämie (CMML). Der Einbau der Substanz in die DNA führt zur Inaktivierung von DNA-Methyltransferasen und vermindert so den Methylierungsgrad der DNA. Ebenfalls als DNA-Methyltransferase-Inhibitor wirkt Decitabin, seit 2012 zugelassen zur Behandlung von AML. Wie alle chemotherapeutischen Arzneimittel rufen auch Azacitidin und Decitabin eine Reihe von Nebenwirkungen hervor, darunter schwere hämatologische Reaktionen wie Thrombozytopenie, Neutropenie und Leukopenie. Bei Vorinostat handelt es sich dagegen um einen Histon-Deacetylase-Inhibitor, der Zulassungsantrag für die Behandlung des fortgeschrittenen kutanen T-Zell-Lymphoms (CTCL) wurde jedoch seitens des Herstellers zurückgezogen. Und auch der HDAC-Inhibitor Romidepsin fristet noch ein Schattendasein als Orphan Drug: Die EMA versagte 2012 dem Wirkstoff die Marktzulassung. Der Hersteller des HDAC-Inhibitors Belinostat hat derweil anscheinend aus den Debakeln der Konkurrenz gelernt und noch nicht die Zulassung für sein Orphan Drug bei der EMA beantragt. In den USA dagegen ist der Wirkstoff zur Behandlung des peripheren T-Zell-Lymphoms (PTCL) zugelassen. Zahlreiche andere HDAC-Inhibitoren werden zurzeit in klinischen Studien untersucht, Indikationen sind hämatologische und solide Tumore wie Lungen-, Brust- und Blasenkrebs. Ein Grund für die bisher eher enttäuschenden Ergebnisse könnte sein, dass eine pharmakologische Manipulation von so wichtigen epigenetischen Regulatoren wie Methylasen und Acetyltransferasen immer ein ganzes Netzwerk von Genen beeinflusst. Wenn man einen solchen zentralen Schalter im Rahmen einer epigenetischen Therapie entfernt, „dann wird man auch sehr unspezifische Aktivierungen oder Stilllegungen von Genen auslösen“, meint Prof. Thomas Tuschl von der Rockefeller University in New York. „Die gleichzeitige Veränderung vieler Komponenten kann nicht vorhersehbare Folgen haben. Aber darin liegt ja gerade die Faszination und manchmal auch das Geheimnis neuer Wirkstoffe.“ Originalpublikation: Novel insights into the genetics of smoking behaviour, lung function, and chronic obstructive pulmonary disease (UK BiLEVE): a genetic association study in UK Biobank Ian P. Hall et al.; Lancet Respiratory Medicine, doi: 10.1016/S2213-2600(15)00283-0; 2015