Derzeit ist noch keine bundesweite Schulschließung vorgesehen. Einige Bundesländer ergreifen jetzt die Initiative, andere Nationen Europas haben das längst getan. Worauf wartet Deutschland?
Noch spricht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sich gegen das Schließen von Schulen in Deutschland aus (Stand 13.03.2020 10:30 Uhr). Das könnte sich aber jederzeit ändern. Kürzlich hat Halle als erste Großstadt sich zu diesem Schritt entschieden: Alle Schulen und Kitas bleiben dort vorerst bis zum 27.3.2020 geschossen. Mittlerweile hat auch das Saarland angekündigt, dass sämtliche Schulen und Kindertagseinrichtungen geschlossen bleiben. Auch Bayern hat angekündigt, Schulen, Kitas und Kindergärten bis Ende der Osterferien dicht zu machen. Berlin beginnt ab ab Montag schrittweise mit Schließungen, Schleswig-Holstein und Bremen ziehen ebenfalls nach. Baden-Württemberg , Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wollen heute (Freitag) verkünden, wie es mit den Schulen weitergeht. Schließen oder nicht – was ist der richtige Weg?
Erstmal lohnt sich ein Blick auf Europa und wie die unterschiedlichen Länder mit dem Thema Schulschließungen umgehen. So werden etwa in Dänemark, Norwegen, Belgien, Griechenland sowie in Moldawien und Bulgarien alle Unis, Schulen und Kitas geschlossen bleiben. Landesweite Schulschließungen gibt es außerdem in Kroatien, Polen, Griechenland, Tschechien, Albanien, Irland, Slowenien – und natürlich in Italien. In Tschechien gilt die Maßnahme sogar vorerst unbefristet, dafür bleiben Kindergärten geöffnet. In Irland bleiben außerdem auch die Kindergärten zu, in Slowenien zusätzlich die Kitas.
In Bratislava (Slowakei) sowie mehreren anderen Landesregionen bleiben ebenfalls alle öffentlichen Schulen geschlossen. Gleiches gilt für das spanische Madrid und Katalonien sowie für die am stärksten betroffenen Gebiete Frankreichs wie zum Beispiel Haut-Rhin, aber auch für die ukrainische Hauptstadt Kiew. Zuletzt kam wie bereits erwähnt das Saarland, die Stadt Halle in Deutschland dazu, Bayern und Berlin hinzu.
Rein medizinisch betrachtet gibt es eine Unsicherheit, die der ganzen Diskussion über Schulschließungen zugrunde liegt. „Die große Frage lautet, ob Kinder die Krankheit trotzdem weiterverbreiten können“, sagte etwa Sebastian Funk gegenüber der Welt. Er arbeitet an der London School of Hygiene & Tropical Medicine und leitet dort das Centre for the Mathematical Modelling of Infectious Diseases. Weil es sich um ein neues Virus handelt, weiß man das nicht genau.
Mittlerweile geht man davon aus, dass Kinder sich genauso leicht anstecken können wie Erwachsene (wir berichteten) mit dem Unterschied, dass die Symptome bei Kindern meist schwach aussfallen. Wäre es so, dass sich Kinder zwar mit SARS-CoV-2 infizieren, das Virus aber nicht oder kaum auf andere (Erwachsene) übertragen, hätte das Schließen von Schulen und Kitas keine große Auswirkung – aber nur dann.
Sollte das Gegenteil der Fall sein, würde das bedeuten, dass Schulen und Kitas ernstzunehmende Infektionsherde darstellen – zumal man von Kindern nicht erwarten kann, dass sie Hygienevorschriften so strikt befolgen wie Erwachsene das (hoffentlich) tun.
Wie sich das Coronavirus bei Kindern im Detail verhält, ist eine Information, auf die wir noch länger warten werden müssen. Sobald wir die Information haben, lohnt sich eine Schulschließung vermutlicher sowieso nicht mehr.
Zum Nutzen der Maßnahme, Schulen zu schließen, gibt es zumindest in Hinsicht auf den Verlauf der Influenza Untersuchungen. So war das Ergebnis eines systematischen Reviews aus dem Jahr 2012, dass Schulschließungen das Potenzial zu haben scheinen, die Übertragung von Influenzaviren zu reduzieren. Auch in einem weiteren Review von 2014 kamen die Autoren zu dem Schluss, dass Schulschließungen während der Influenzapandemie eine nützliche Kontrollmaßnahme sein können, vor allem, um den Spitzenbedarf beim Personal in der Gesundheitsversorgung zu reduzieren.
Aber auch hier gibt es Einschränkungen. In beiden Arbeiten wird betont, wie schwer es sei, die Maßnahme in Hinsicht auf mögliche Vorteile zu messen. Schließlich gestalte sich die Umsetzung von Schule zu Schule unterschiedlich, das gelte vor allem auch für den gewählten Zeitpunkt der Maßnahme, der eine gravierende Rolle spiele.
Je länger man damit warte, desto geringer sei auch der Effekt: „Schulen schlossen häufig in einer späten Phase des Ausbruchs oder weitere Interventionen wurden parallel mit der Schließung umgesetzt. Deshalb war es manchmal unklar, wie sehr das Schließen der Schulen zum Rückgang beigetragen hat“, geben die Studienautoren zu bedenken.
Von großer Bedeutung ist außerdem, wie lange der gewählte Zeitraum einer solchen Maßnahme andauern soll. Experten sagen: Ein paar Wochen sind gut gemeint, aber für einen spürbaren Effekt zu wenig. „Die Schulen in Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt zu schließen, das wäre nur sinnvoll, wenn man bereit ist, sie über einen langen Zeitraum, also über Monate hinweg, geschlossen zu halten oder sie erneut zu schließen, wenn sich die Fallzahlen erhöhen“, argumentiert etwa Funk.
„Schulschließungen können sinnvoll sein, wenn man Hygiene-Maßnahmen nicht gewährleisten kann“, wird Virologin Ulrike Protzer von der Technischen Universität (TUM) und vom Helmholtz Zentrum München in der Tagesschau zitiert. Der Nutzen stehe in keinem Verhältnis zum Aufwand, sagt im gleichen Bericht Peter Walger, ein auf Infektiologie spezialisierter Facharzt und Sprecher des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH).
In jedem Fall sind Schulen Orte, an denen es zu Infektionen mit dem Coronavirus kommen kann und tatsächlich kommt, wie bereits bekannte Fälle wie beispielweise in Bayern, Rheinland-Pfalz oder Baden-Württemberg gezeigt haben. Wie groß der Nutzen von Schulschließungen in Zahlen tatsächlich ist, lässt sich nicht sagen. Die entscheidende Frage ist vielmehr, ob eine Maßnahme wie Schulschließungen dazu beitragen kann, die Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verzögern. Und danach sieht es allem Anschein nach aus.
Und dann gibt es Situationen, in denen man zwischen zwei Übeln abwägen und das geringere wählen muss: Sind die Kinder etwa so klein, dass sie eine Beaufsichtigung brauchen und aus Mangel an Alternativen bei der Risikogruppe namens Großeltern landen, ist das geringere Übel womöglich der weiterlaufende Betrieb von Kitas.
Menschen im höheren Alter und/oder mit Vorerkrankungen vor einer Ansteckung zu schützen, sollte oberste Priorität haben. Schüler der Oberstufe hätten hingegen wohl weniger Probleme, in häuslicher Quarantäne alleine zurechtzukommen und sogar online weiterhin am Unterricht teilzunehmen.
In Österreich hat sich die Regierung zum Beispiel auf einen Kompromiss geeinigt, der ab 18.3. bis voraussichtlich Ostern gilt: Schulen bleiben grundsätzlich geschlossen, jedoch können Eltern ihre Kinder unter 14 Jahren weiterhin in die Schule oder in den Kindergarten bringen. Denn eine Betreuung findet dort nach wie vor statt. Für ältere Kinder sei dieses Angebot nicht vorgesehen, sie könnten auch alleine zu Hause sein. Sachsen setzt jetzt ein ähnliches Modell um.
Es ist ein ständiges Abwägen. Nicht umsonst hört man derzeit von Entscheidungsträgern in Hinsicht auf Quarantäne-Regelungen häufig den Zusatz „wo es möglich ist“. Denn vollständig verhindern lassen sich Neuinfektionen sowieso nicht, eindämmen aber sehr wohl.
Nachdem man herausgefunden hat, was man im Idealfall alles tun soll, kann man sich der Frage widmen, was man davon alles realisieren kann. Wirtschaftliche Faktoren sind zu berücksichtigen, doch blockieren sollten sie im Kampf gegen eine Pandemie nicht. Zunächst sollte es darum gehen, grundsätzlich alle Maßnahmen zu definieren, die sich positiv auf den Verlauf der Pandemie auswirken können. Erst dann sollte über die Umsetzbarkeit dieser Ideen diskutiert werden – und nicht umgekehrt.
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