In Asien, Europa, Nord- und Südamerika gibt es nur ein Thema: SARS-CoV-2-Infektionen. Afrika scheint bisher von der Infektionswelle weitestgehend verschont geblieben zu sein. Doch stimmt das wirklich?
Was die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in Afrika angeht, hält sich der Schaden bisher in Grenzen: 20 Fälle in Algerien, 59 in Ägypten, 13 in Südafrika. Außerdem gibt es noch einzelne Infizierte über den Kontinent verteilt (13.03.20, 10:00 Uhr). So meldete das Gesundheitsministerium in Ghana kürzlich die ersten zwei Infektionen, fast zeitgleich bestätigte auch die Regierung in Gabun den ersten Corona-Fall.
Woran könnte es liegen, dass Afrika vergleichsweise wenige Fälle aufweist? Übersehen wir etwas? Die wichtigsten Expertenmeinungen zu einer komplexen Fragestellung.
Jimmy Whitworth von der London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM) sieht in kontrovers diskutierten Quarantänemaßnahmen Chinas eine Erklärung für die geringen Fallzahlen. Einige afrikanische Länder pflegen enge Wirtschaftskontakte zu China – und China hat betroffene Regionen hermetisch abgeschirmt.
Die meisten Fälle in Afrika wurden aus Europa importiert. Vier afrikanische Länder haben Quarantänen für Besucher aus Coronavirus-Hotspots verhängt.
Auf Flughäfen würde auch viel unternommen, ergänzt Whitworth. Ruanda hat beispielsweise Medizinstudenten im letzten Jahr für die Untersuchung vor Ort rekrutiert. Auch die afrikanischen und US-amerikanischen Zentren für Seuchenbekämpfung sind vor Ort aktiv.
Demographische Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle. Das Durchschnittsalter in Italien (42,3 Jahre) und Deutschland (42,1 Jahre) ist vergleichsweise hoch. Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, liegt bei 17,9 Jahren.
„Wenn man sich Statistiken aus China ansieht, sind die Menschen, die eine schlechtere Prognose haben, die älteren Menschen, nicht die jungen“, sagt die WHO-Expertin Mary Stephen. Das bedeutet aber auch: Womöglich haben sich junge Menschen infiziert, sind aber nicht – oder kaum – erkrankt.
Vittoria Colizza, Forscherin an der französischen Sorbonne Université, liefert dafür weitere Argumente. Zusammen mit Kollegen hat sie in The Lancet einen Fachartikel publiziert. Darin schreibt sie, viele Menschen hätten sich möglicherweise infiziert, ohne Symptome zu zeigen. Sie spekuliert, dass Kapazitäten für die Überwachung und aktive Beobachtung fehlen.
In ihrer Analyse kommt Colizza zu dem Ergebnis, dass etwa 60 Prozent der infizierten Personen in afrikanischen Staaten nicht erkannt worden seien. Basis ist eine Analyse importierter Fälle.
Das Problem ist bekannt. Ashleigh Tuite von der kanadischen University of Toronto hat errechnet, dass in Italien – bei großer Unsicherheit ihrer Modellierung – zwischen 27 und 75 Prozent aller Fälle unentdeckt blieben.
Wie es weitergehen wird, können auch die Experten nicht sagen. Sie sind sich aber einig: Corona-Wellen würden das Gesundheitssystem zusammenbrechen lassen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass beim Ebola-Ausbruch 2014 bis 2016 Ressourcen fehlten, um wichtige Krankheiten wie Malaria und Masern zu bekämpfen. Diese Gefahr droht erneut.
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