Bisher konnte man bei der transkraniellen elektrischen Stimulation (tES) Veränderungen der Hirnaktivität nur nach der Stimulation untersuchen. Eine neue Methode trennt die Hirnrhythmen nun von den Störsignalen und misst die magnetische Hirnaktivität während einer tACS millimetergenau.
Die transkranielle elektrische Stimulation wird seit vielen Jahren in der Behandlung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen, z.B. Depressionen, Epilepsien oder Schlaganfällen, eingesetzt. Allerdings sind die genauen Wirkmechanismen der Stimulation weitgehend ungeklärt, da es kein geeignetes Verfahren gab, um die extrem schwache elektrische und magnetische Aktivität des Gehirns zeitgleich während der Stimulation zu messen. Die Störsignale der Stimulation überlagerten die physiologische Aktivität um ein Vielfaches, sodass es lediglich möglich war, Veränderungen der Hirnaktivität nach Ausschalten der Stimulation zu untersuchen. 2013 haben es Tübinger Wissenschaftlicher erstmals geschafft, neuromagnetische Aktivität im Millisekunden-Bereich während transkranieller Gleichstromstimulation (eng. transcanial direct current stimulation, tDCS) störungsfrei zu messen. Hierdurch wurde es möglich, Veränderungen magnetischer Hirnaktivität unmittelbar während der Stimulation zu untersuchen. Änderte der Strom jedoch rhythmisch seine Richtung, ein Stimulationsverfahren, das man als Wechselstromstimulation (engl. transcranial alternating current stimulation, tACS) bezeichnet, konnten die hirneigenen Rhythmen nicht mehr sicher von den Störsignalen der Stimulation unterschieden werden. Die Effekte der Wechselstromstimulation werden der Phasen-Angleichung zwischen hirneigenen Rhythmen und dem angelegten Stimulationssignal zugeschrieben, ein Phänomen das man als „Entrainment“ bezeichnet.
Nun ist es durch den Einsatz eines neuartigen Stimulationsverfahrens gelungen, die hirneigenen Rhythmen von den Störsignalen sicher zu trennen und somit magnetische Gehirnaktivität während tACS störungsfrei und millimeter-präzise zu vermessen. Durch Amplituden-Modulation eines hochfrequenten Stimulationssignals, das außerhalb der Frequenzen hirneigener Rhythmen schwingt, wird die Kontamination physiologischer Signale vermieden, während sich die Phase hirneigener Rhythmen dem Modulationssignal angleicht. Von der Stimulation beeinflusste Hirnareale können auf diese Weise genau identifiziert und stimulationsabhängige Veränderungen in deren neuromagnetischer Aktivität untersucht werden. Die Forscher hoffen, dass die genauen Wirkmechanismen der transkraniellen Wechselstromstimulation nun genauer aufgeklärt werden können.
Insbesondere „die individuelle Anpassung an die anatomischen Gegebenheiten sowie die neurophysiologische Wirkung während der Stimulation“ seien wichtige Perspektiven, um die transkranielle elektrische Hirnstimulation im klinischen Einsatz zu optimieren, so Dr. med. Surjo R. Soekadar, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Neurotechnologie am Universitätsklinikum Tübingen. „In einem nächsten Schritt ist zum Beispiel denkbar, dass die Stimulation im Sinne eines sogenannten closed-loop-Ansatzes in Echtzeit auf die individuelle Hirnaktivität angepasst wird und somit die Effekte der Stimulation besser gesteuert werden können“ ergänzt Matthias Witkowski, Erstautor der Studie. Originalpublikationen: Mapping entrained brain oscillations during transcranial alternating current stimulation (tACS) Matthias Witkowski et al.; Neuroimage, doi: 10.1016/j.neuroimage.2015.10.024; 2015 Simultaneous transcranial direct current stimulation (tDCS) and whole-head magnetoencephalography (MEG): assessing the impact of tDCS on slow cortical magnetic fields Eliana Garcia-Cossio et al.; Neuroimage, doi: 10.1016/j.neuroimage.2015.09.068; 2015 In vivo assessment of human brain oscillations during application of transcranial electric currents Surjo Soekadar et al.; Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms3032; 2013