Seit dem Ausbruch von SARS-CoV-2 nimmt auch die Zahl nicht lieferbarer Medikamente zu. Ein Lagebericht aus meiner Apotheke.
Die Corona-Krise macht nicht bei Mundschutz und Desinfektionsmittel halt. In China stehen viele Fabriken still, und Indien beschränkt jetzt schon die Ausfuhr bestimmter Wirkstoffe (DocCheck berichtete). Auf was müssen wir uns einstellen, wenn die großen Märkte ihren Export einschränken? Was ist heute schon schwierig zu beschaffen? Und was sollten wir für die Zukunft daraus lernen?
Die große Desinfektionsmittelknappheit sorgt dafür, dass die Apotheken in Deutschland sich vorerst nicht mehr an die im Jahr 2016 verhängte Biozidverordnung halten müssen. Bis September dieses Jahres dürfen wir in der Rezeptur wieder arbeiten wie früher, um unsere Kunden zu versorgen – vorausgesetzt, wir bekommen genügend Ausgangsstoffe.
Nötig dafür sind im Grunde nur etwas Alkohol, Glycerin, Wasserstoffperoxid und Abgabegefäße. Hier merken wir schnell: Zertifizierter Alkohol – ob nun Isopropanol oder Ethanol – ist über die Großhändler gar nicht mehr zu bekommen. Der muss direkt beim Produzenten oder in einem Laborbedarf eingekauft und selbstverständlich noch einmal geprüft werden. Und sogar dort ist ein Einkauf nicht ohne längere Lieferzeiten von teilweise über zwei Wochen möglich. Die benötigten Packmittel sind ebenfalls nicht in rauen Mengen verfügbar. Die Packmittelhändler haben uns für die Auslieferung von 100 Milliliter-Kunststoffflaschen auf Mitte bis Ende März vertröstet – da müssen die Kunden eben doch mit den unpraktischen Glasgefäßen auskommen. Not macht erfinderisch.
Wir experimentieren außerdem gerade in der Schule, an der ich unterrichte, mit unseren PTA-Schülern der Oberkurse an einem alkoholischen Handdesinfektionsgel. Das ist nämlich ebenfalls von allen Herstellern ausverkauft. Was genauso zur Zeit Mangelware ist, sind Stirnthermometer – voraussichtlicher Liefertermin ist erst Mitte Juni.
Deutlich zugenommen hat in den letzten Tagen in der Apotheke vor allem die Nachfrage nach Ibuprofen. Das war in den letzten Monaten immer wieder einmal nicht zu bekommen. Aktuell wird es gerade bei den Ibuprofen-Säften problematisch. Der Verkaufsrenner seit Mitte letzter Woche ist in vielen Apotheken, laut nicht repräsentativer Umfrage in meiner Community, jedenfalls die Großpackung Ibuprofen.
Das liegt wohl vor allem daran, dass von den sechs Herstellern, die es für Ibuprofen weltweit nur noch gibt, vier in China und Indien liegen (Hubei Granules-Biocause, Shandong Xinhu, Solara und IOLPC), in den USA gibt es nur noch zwei davon (BASF, SI Group). Jede der sechs Fabriken produziert etwa zehn bis zwanzig Prozent des weltweiten Bedarfs an diesem wichtigen Analgetikum. Eine Einschränkung bei der Belieferung bekamen wir erst vor ein paar Monaten zu spüren, als eines der Werke in den USA Mitte 2018 für drei Monate still stand.
Auch die Kunden sind verunsichert und spätestens seit der Nachricht, dass Indien seine Medikamentenexporte einschränkt, fingen die Hamsterkäufe an. Vom eingeschränkten Export betroffen sind (als Substanz und in Zubereitungen):
Nachdem also in der Laienpresse verstärkt darüber berichtet wird, dass wir exorbitant viele Wirkstoffe in Indien oder China herstellen lassen, bekommen vor allem die Kunden Angst, die Medikamente erhalten, auf die sie dringend angewiesen sind. Ob diese nun nachweislich in Hubei produziert werden oder nicht, spielt für sie im Grunde keine Rolle.
Das Hamstern beginnt, ähnlich wie beim Supermarkt, in der Konservenabteilung. Viele versuchen, ihre Hausärzte dazu zu bewegen, ihnen zwei oder mehr Packungen ihrer Dauermedikation aufzuschreiben. Bei diesen Kunden liegt der Fokus im Moment offenbar auf Paracetamol-Tabletten, vereinzelt auch auf Vitamin-B-Komplex-Kapseln. Die Befürchtung, dass diese in den nächsten Monaten aufgrund der gestiegenen Nachfrage und der offenbar eingeschränkten Verfügbarkeit im Preis ansteigen, hören wir dabei deutlich heraus.
Das Hamsterverhalten lässt sich vereinzelt aber auch beim Apothekenpersonal beobachten. Um für eine längere Zeit auch bei Lieferschwierigkeiten so gut sortiert wie möglich zu sein, bestellen einige früher. Das ist normal, wenn es um ein paar Monate geht. Aber es gibt wohl auch diejenigen, die es mit dem Hamstern besonders gut meinen: „Natürlich muss man sich bevorraten. Bei Engpass-Arzneimitteln bestelle ich halt früher, damit ich einen Lieferausfall eine gewisse Zeit überbrücken kann. Aber ich höre, dass sich Kollegen mit einem Jahresbedarf oder mehr eindecken“, erzählte mir zum Beispiel ein Kollege, der als Apotheker tätig ist.
Die Beteuerung der Regierung, es gäbe bei der Arzneimittelversorgung kurzfristig keinerlei Probleme, da die Lager gefüllt seien, werden durch die Menschen abgetan. Das Vertrauen in die verantwortlichen Personen im Gesundheitsministerium ist spätestens seit der Valsartan-Krise erschüttert (DocCheck berichtete). „Wissen Sie, damals hieß es doch auch erst, die Verseuchung mit dem krebserregenden Zeug in meinen Tabletten sei nur gering und wir sollen das Mittel einfach weiter einnehmen. Dann kam raus, dass in einer Tablette so viel davon drin war wie in zwei Kilo geräuchertem Schinken! Denen traue ich nicht mehr über den Weg.“ Das ist nur eine der kritischen Stimmen, die wir in der letzten Woche gehört haben. Andere Kunden decken sich mit den Worten ein: „Was ich habe, das habe ich. Das nimmt mir niemand mehr weg.“
Zudem hängt die Beteuerung, es gäbe keine Probleme bei der Versorgung, auf dem schönen Wort „kurzfristig“. Denn wie es in ein paar Monaten aussieht, wenn sich die Lage nicht verändert, weiß niemand. Die jahrelange billige Versorgung durch Wirkstoffe, die in Drittweltländern produziert werden und das dadurch geschaffene intransparente System fliegen uns jetzt um die Ohren. Was auf uns zukommen wird kann tatsächlich niemand genau sagen, denn die Lieferketten liegen noch nicht offen. Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) fordert dies immerhin für die Zukunft, aber zum jetzigen Zeitpunkt greift es noch nicht, so dass viel spekuliert wird.
Ganz klar ist aber eine Tatsache: Die Antibiotikaproduktion liegt fast vollständig in den Händen Chinas, Indiens und teilweise auch der Türkei. In Deutschland hat das letzte große Werk in Frankfurt-Hoechst Ende 2016 seine Arbeit eingestellt.
Was lebenswichtige und unersetzliche Wirkstoffe betrifft, sollte man nicht auf den Goodwill anderer Nicht-EU-Länder angewiesen sein. Aus der Corona-Krise können wir schon jetzt einiges lernen – zum Beispiel, dass wir uns bei der Arzneimittelproduktion nicht allein auf andere Länder verlassen dürfen.
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