Endlich hat DocMorris sein Ziel erreicht. Richter am EuGH sollen entscheiden, ob Deutschlands Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente mit dem Europarecht konform geht. Der Schuss kann für alle Beteiligten nach hinten losgehen.
Das Thema war längst abgehakt, vergeben und vergessen. Bereits im August 2012 hatte ein gemeinsamer Senat oberster Gerichtshöfe klare Worte gegen Anreizsysteme bei verschreibungspflichtigen Medikamenten gefunden. Rx-Boni galten seither als illegal – für Versender aus Drittstaaten, aber auch für Präsenzapotheken in Deutschland. DocMorris gab sich nicht zufrieden und strebte eine Klärung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) an. Nur ärgerlich, dass das Urteil aus Karlsruhe keinen Ansatz bot. Jetzt wendet sich das Blatt.
Stein des Abstoßes ist die Deutsche Parkinson Vereinigung. Sie hat ihren Mitgliedern Boni offeriert, sollten sie Rezepte bei DocMorris einlösen. Daraufhin strengten Wettbewerbshüter eine Klage an. Seit Monaten befassen sich Juristen am Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit der unbeliebten Thematik. Anders als ihre Karlsruher Kollegen haben sie jetzt den EuGH angerufen (Az. I 20 U 149/13). Ihre Fragestellung: Beeinträchtigen Boni-Verbote die Warenverkehrsfreiheit? Juristen sind vom aktuellen Vorlageverfahren überrascht. Bereits 2009 hatte sich der EuGH klar für nationale Regelungen im Bereich der Arzneimittelversorgung ausgesprochen. Damals ging es um Fremd- und Mehrbesitzverbote in Deutschland. Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit seien möglich, sollten sie dem Schutz der Gesundheit dienen, hieß es als Begründung. Genau hier setzt die Bundesregierung mit ihrer aktuellen Stellungnahme an.
Union und Sozialdemokraten bewerten die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) als „integralen Bestandteil des nationalen Gesundheitswesens“ – zusammen mit Werbevorschriften. Ohne Preisbindung auf verschreibungspflichtige Arzneimittel würde „das bestehende System ausgehöhlt“, und es käme zu „negativen Auswirkungen auf die Effektivität und Stabilität der gesamten Apothekenverteilung, die der deutsche Gesetzgeber vermeiden will“, heißt es weiter. Politiker befürchten Versorgungsengpässe, falls Präsenzapotheken mehr und mehr verschwinden. „Reine Versandapotheken mit ihrem eingeschränkten Leistungsangebot können eine solche Akutversorgung – allein schon aufgrund der Dauer des Versands der Arzneimittel – nicht angemessen ersetzen“, schreiben sie dazu. Rechtliche Bedenken hat Berlin bei der Anwendung nicht – im Gegensatz zur Europäischen Kommission.
Kommissionsmitglieder berufen sich auf Artikel 34 im Vertrag über den Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Darin heißt es: „Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.“ Rabattverbote für verschreibungspflichtige Arzneimittel hätten einen ähnlichen Effekt, um den freien Warenverkehr zu behindern. Deutsche Gesetze würden „das Volumen des Absatzes von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus anderen Mitgliedstaaten ein[...]schränken und damit den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zumindest potentiell [...] behindern“. Die AMPreisV bremse ausländische Anbieter de facto mehr als inländische. Versender aus anderen EU-Staaten könnten strukturelle Nachteile nicht durch mehr Wettbewerb ausgleichen. Gleichzeitig hätten sie Kosten wie den Nacht- und Notdienstzuschlag zu tragen.
In ihrem Statement holt die Kommission noch weiter aus. Feste Rx-Arzneimittelpreise als Garanten für funktionierende Apothekennetze – daran mag man in Brüssel oder Luxemburg nicht glauben. Der Bundesregierung sei es noch nicht gelungen, Beweise zu erbringen, kritisieren EU-Politiker. Standortfaktoren, etwa die Nähe zu Ärzten, seien in diesem Zusammenhang viel wichtiger als feste Arzneimittelpreise. Um die flächendeckende Versorgung sicherzustellen, fordern Kommissionsmitglieder sogar mehr Konkurrenz. Sie berufen sich auf ein Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. „Der stark regulierte deutsche Apothekenmarkt ist durch eine atomistische Angebotsstruktur mit einer vergleichsweise recht hohen Apothekendichte und einen sehr begrenzten Preiswettbewerb gekennzeichnet, der sich auf nicht verschreibungspflichtige Medikamente beschränkt“, schreiben Experten des Sachverständigenrats. „Im Sinne einer effizienten und effektiven Arzneimitteldistribution wird zum einen eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes empfohlen, welches sich weder aus ordnungspolitischer noch versorgungspolitischer Perspektive begründen lässt. Zum anderen wird eine Reform der Apothekerhonorierung vorgeschlagen, welche durch Einführung apothekenindividueller Handelsspannen erfolgen könnte.“ Deutschlands Regelungen seien „weder geeignet noch erforderlich [...], um die flächendeckende und gleichmäßige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen“, resümiert die Kommission. Damit erntet sie nicht nur Zustimmung.
Auf europäischer Ebene unterstützen andere Staaten Deutschlands Standpunkt und geben selbst Stellungnahmen vor dem EuGH ab. Die schwedische Regierung schreibt, Präsenzapotheken seien sehr wohl ein „geeignetes Mittel, um eine qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung zu gewährleisten“. Dadurch könne eine zuverlässige Beratung besser gewährleistet werden als über Versender. Während der Gesetzgeber Präsenzapotheken via Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) zur aktiven Beratung verpflichtet, müssen Versender lediglich eine Telefonnummer angeben. Schwedische Kollegen teilen auch die Befürchtung, freie Rx-Preise würden die Versorgung dünn besiedelter Landstriche gefährden. Eine Pattsituation hinsichtlich der Argumente.
Doch was passiert, falls europäische Richter Deutschlands Preispolitik für verschreibungspflichtige Arzneimittel unterbinden? Dann drohen weitaus gravierendere Einschnitte, als man auf den ersten Blick vermutet. Unser System aus Abschlägen und Rabatten zu Gunsten gesetzlicher Krankenkassen hätte langfristig keinen Bestand mehr. Hersteller-Rabatte müssten von GKVen hin zu öffentlichen Apotheken fließen, um deren Existenz zu sichern. Warten wir auf den EuGH – Europa war schon immer für Überraschungen gut.