Eine 66-Jährige Frau, die physisch und psychisch angeschlagen ist, wird in ein Krankenhaus eingewiesen. Alle Differentialdiagnosen sind negativ. Am Ende ist es ein Hinweis ihres Ehemannes, der die Ärzte auf eine seltene Diagnose bringt.
Eine 66-jährige Frau wird in Australien von einem Kriseninterventionsteam in die Notaufnahme eingewiesen. Das Team und ihr Mann sorgen sich um ihre physische und mentale Gesundheit. Schizophrenie und Depressionen sind bekannt, auch Suizidversuche hat sie bereits hinter sich.
Initial finden die Ärzte bei einem Hb-Wert von 63g/L eine normozytäre Anämie. Einen offensichtlichen Grund hierfür sehen sie allerdings nicht. Die Patientin verneint, Blutungen, Schmerzen oder eine Infektion gehabt zu haben. Ihr Ehemann gibt an, sie sei in letzter Zeit sehr lethargisch gewesen und zudem hätte sie eine bilaterale Schwäche der unteren Extremität entwickelt. Über die letzten Wochen hätte sie zunehmend negative Gedanken sowie eine generelle Antriebslosigkeit insbesondere in Hinblick auf ihre Körperpflege. Doch einen Stressor, der Auslöser hierfür sein könnte, kann der Mann nicht feststellen. Wegen ihrer psychiatrischen Vorerkrankungen nimmt sie täglich 50 Milligramm eines selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmers ein. Die Compliance ist laut Ehemann gegeben und auch sonst gab es keine Änderungen der Medikation, die die Zustandsverschlechterung erklären könnten. Sie habe in den letzten Monaten weniger gegessen und nicht gerade ausgewogen.
Vor den Ärzten steht eine blasse, kachektische, ungepflegte dysphorische Patientin. Überall am Arm, wo die Blutdruckmanschette aufgepumpt wurde, entwickelt die Patientin kleinflächige Hautblutungen. An der unteren Extremität hat sie beidseits ausgedehnte Petechien - punktförmige Hautblutungen. Die sonstige Untersuchung ist unauffällig.
Einen wirklichen Reim können sich die Ärzte auf den Zustand der Patientin nicht machen, weshalb sie den Fokus zunächst auf die differentialdiagnostische Abklärung der Anämie legen. Blutungen, generelle Mangelernährung, hämolytische Anämie, Knochenmarksstörungen, chronische Krankheiten – all das könnte sein, doch für nichts davon finden sie klinische Anhaltspunkte. Sie testen weiter auf Vaskulitiden, welche den Ausschlag der unteren Extremität erklären könnten, und ein Delir, doch auch das bringt keine neue Erkenntnis. Sie geben ihr auf Verdacht zwei Bluttransfusionen, doch der Hb-Wert ändert sich nicht signifikant.
Als letzte Möglichkeit ziehen die Ärzte eine in Industrienationen äußerst seltene Diagnose in Betracht: Skorbut - eine schwere Form des Vitamin-C-Mangels. Da Vitamin C nicht vom Körper selbst synthetisiert werden kann, muss es in ausreichender Menge mit der Nahrung aufgenommen werden. Bleibt dies aus, so kommt es zur unzureichenden Bildung von Kollagen oder zur Bildung defekter Kollagene. Daher manifestiert sich das Krankheitsbild insbesondere in Bindegewebe, Knochen, Knorpel und Blutgefäßen. Auch einzelne Organsysteme können betroffen sein. Früher wurde Skorbut häufig als Seefahrerkrankheit bezeichnet, da auf langen Seereisen die Ernährung häufig unzureichend war. Heutzutage spielt Skorbut eigentlich nur noch in Ländern der Dritten Welt eine Rolle - insbesondere bei chronischer Mangelernährung.
Und tatsächlich: Der Vitamin-C-Wert im Serum der Patientin ist extrem niedrig. Sofort supplementieren die Ärzte täglich 1.000 Milligramm Vitamin C. Innerhalb weniger Tage verbessern sich die Symptome der Patientin rapide: Sie ist deutlich aktiver, die Schwäche der Beine rückläufig und auch die Psychiater bemerken eine signifikante Stimmungsaufhellung.
Quelle: © Na et al. / BMJ Case Reports
Symbolbild: pexels