Was passiert mit unserem Gesundheitssystem, sollte die Zahl an SARS-CoV-2-Infektionen drastisch steigen? Ein Twitter-User macht ein Gedankenexperiment. Er nennt es „The Pinch“.
In einem Thread spricht ein US-amerikanischer User mit dem Accountnamen Medical Axioms vom Risiko eines Notfall, den COVID-19 verursachen könnte. Er nennt diese potenzielle Notsituation „The Pinch“, abgeleitet von der idiomatischen Formulierung „to be in a pinch“ (in Bedrängnis sein, in einer Notlage stecken).
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Und so sieht das mögliche, keineswegs unwahrscheinliche Szenario der Zukunft aus:
Es stellt sich die Frage, wie sich so eine Notsituation vermeiden lässt. Überlegungen, wie sie in diesem Gedankenmodell etwa zur Knappheit von Klinikbetten geschildert werden, sollten auch Platz in Pandemieplänen finden. Zur Orientierung sollte es Angaben von Richtwerten geben, um dem Personal bei Entscheidungen eine Hilfestellung zu bieten. Wenn man sich allerdings den Nationalen Pandemieplan aus dem Jahr 2017 ansieht, fehlen konkrete Angaben.
Die Kernaussage: Es muss gut geplant werden. Mit einem Auftreten von Problemsituationen wird gerechnet. Schwierigkeiten sollten durch eine optimale Vorbereitung verhindert oder zumindest abgeschwächt werden.
Nationaler Pandemieplan, Version 2017, Quelle: RKI
„Diese weltweiten Pandemien können zu Erkrankungs- und Sterberaten führen, die saisonale Influenzawellen um ein Vielfaches übertreffen. Damit könnten sie zu extremen Belastungen für das medizinische Versorgungssystem und den Öf-fentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) bis hin zu einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und für die Funktionstüchtigkeit der gesamten Volkswirtschaft führen“, heißt es außerdem im Text. Zu den organisatorischen Maßnahmen findet man folgende Auflistung:
Auszug Pandemieplan (2017), Quelle: RKI
In erster Linie findet man im Pandemieplan aber den Hinweis, dass geplant werden müsse: „Der massenhafte Anfall von stationär behandlungsbedürftigen Patienten, die teilweise beatmungspflichtig sind, erfordert in den Krankenhäu-sern im Vorfeld klare Festlegungen bezüglich der organisatorischen Umsetzung. Die Planungen und Vorbereitungen auf regionaler Ebene (z.B. Kreisebene) erfordern die Einbeziehung aller Krisen- und Katastrophenreaktions-strukturen.“ Des Weiteren finden sich in diesem Plan Anhänge mit Planungshilfen für Krankenhäuser, Altenheime und Altenpflegeheime sowie für den Rettungsdienst. Doch auch hier handelt es sich, wie der Name schon sagt, eher um Planungshilfen als um einzuhaltende Regeln oder Richtwerte.
Eine der wesentlichen Challenges sei, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, damit Kliniken nicht durch extrem viele Patienten auf einmal überfordert würden, sagt auch Mark Jit in einem Interview zur Lage seines Landes. Der britische Professor ist Experte, was mathematische Modelle zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten betrifft.
„Angenommen, wir haben einige Millionen Menschen, die sich mit dem Virus infizieren und ein großer Teil dieser Menschen benötigt eine Versorgung im Krankenhaus – wenn eine Million Menschen in Kliniken aufgenommen werden wollen und das alles passiert binnen zwei Wochen, dann ist das eine weit dramatischere Situation als wenn die Ausbreitung zwei Monate oder länger dauert“, sagt Jit. Und genau hier liege das zentrale Problem: dass sich das Virus zu schnell ausbreiten könnte.
Schon jetzt liest man über Befürchtungen, die Versorgung könnte zwischenzeitlich aufgrund des beschriebenen Pinchs zusammenbrechen. „US-Kiniken könnten das Coronavirus in Worst-Case-Scenarios nicht bewältigen“, heißt es etwa in einem Artikel der New York Post, der auf einen Report des Johns Hopkins Center for Health Security zurückgeht.
Darin zu lesen sind Anweisungen an US-Krankenhäuser, wie man sich richtig auf die Ausbreitung von SARS-CoV-2 vorbereitet. „Es gibt etwa 46.500 Intensivbetten in den USA und womöglich eine ähnliche Anzahl an weiteren Intensivbetten, die im Krisenfall verwendet werden könnten. Sogar wenn sich die Ausbreitung des Virus über mehrere Monate verzögert, ist das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage offensichtlich“, so die Aussage.
Hier sind die Ratschläge deutlich klarer formuliert. Die Kapazitäten im Hinblick auf Klinikbetten werden im Prozentbereich angegeben, außerdem wird empfohlen, auf andere Räume auszuweichen – damit sind nicht nur Krankenhäuser gemeint, sondern zum Beispiel auch Klassenzimmer. Ein Punkt auf der Liste lautet:
Quelle: Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health
„Wir sollten jetzt all die Dinge umsetzen, die Ärzte sich für ihre Länder schon vor Wochen gewünscht haben“, fordert der anfangs erwähnte Twitter-User.
SARS-CoV-2 ist nicht über Nacht auf der Bildfläche erschienen. Wir hätten Zeit gehabt, mehr Medizintechnik zu erwerben oder zumindest ausgemusterte Geräte nach gründlicher Überprüfung wiederzubeleben. Nicht zuletzt hat Deutschland in den letzten Jahren einige Kliniken geschlossen. Ob man genau solche Häuser jetzt nutzen könnte? Sollte man Warteräume oder Klassenzimmer umfunktionieren, wie etwa im oben genannten Report empfohlen wird?
Es geht im Moment nicht um politische Schuldzuweisung, sondern um die Frage, welche Objekte sich ohne zu großen Aufwand reaktivieren oder alternativ nutzen ließen, wenn es zu einem Pinch kommen sollte.
Dieser Artikel wurde am 11.03.2020 um 19:00 Uhr aktualisiert.
Bildquelle: Katya Austin / Unsplash