Immer mehr Menschen leiden GKVen zufolge an psychischen Erkrankungen. Nicht immer halten Psychiater eine Medikation für erforderlich. Sie setzen jetzt auf elektronische Tools, um die Zeit zu überbrücken, bis ein Therapieplatz frei wird.
Erschreckende Zahlen der DAK-Gesundheit: In 2014 führten psychische Erkrankungen zu 6,3 Millionen Fehltagen, heißt es im kürzlich veröffentlichten „Psychoreport 2015“. Als Grundlage zogen Forscher Daten von 2,6 Millionen erwerbstätigen Versicherten heran. Seit 1997 hat sich die Anzahl an Fehltagen durch Depressionen oder Anpassungsstörungen verdreifacht. Mittlerweile stehen seelische Leiden nach Muskel- und Skeletterkrankungen an zweiter Stelle aller Krankschreibungen. Wer Hilfe jenseits der Pharmakotherapie in Anspruch nehmen möchte, braucht Geduld. Betroffene warten im Schnitt sechs Monate auf einen Therapieplatz.
Grund genug für die DAK-Gesundheit, Deprexis näher zu untersuchen: ein webbasiertes Selbsthilfeprogramm, das Patienten auf ihrem Computer, Smartphone oder Tablet-Computer nutzen können. Es basiert auf Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie. Setzen Therapeuten das Paket begleitend ein, können sie sich – nach Freischaltung durch den Patienten – ein Bild über bearbeitete Inhalte machen. Bislang wurden mehrere vom Hersteller unterstützte Studien veröffentlicht, zuletzt sogar bei Menschen mit schweren Depressionen. Durch das Training schwächten sich klassische Symptome ab. Betroffene konnten besser am sozialen und beruflichen Leben teilnehmen. Experten sehen Deprexis nicht nur als Möglichkeit, um Wartezeiten zu überbrücken. Auch nach einem Klink- oder Reha-Aufenthalt könnten Patienten stabilisiert werden. Die DAK will jetzt auf Hausärzte, Psychiater und Psychotherapeuten zugehen, um für das Online-Programm zu werben.
Die Techniker Krankenkasse (TK) setzt nicht nur auf webbasierte Strategien. Im Mittelpunkt ihrer Studien steht der TK-DepressionsCoach als internetbasiertes Beratungs- und Trainingsprogramm zur Linderung depressiver Symptome. Jetzt liegen Ergebnisse eines Pilotprojekts mit 1.000 Probanden vor. Sie absolvierten sechs Wochen lang ein strukturiertes Aufgabenprogramm – zum Teil mit schriftlicher Rückmeldung eines Therapeuten. In beiden Gruppen gelang es zwar, die Symptome zu lindern. Deutlich bessere Resultate lieferte der zusätzliche Austausch mit einem Therapeuten. Entsprechende Unterschiede zeigten sich auch bei der Compliance – 84 versus 76 Prozent zogen das Programm durch.
Die Studien werfen mehrere Fragen auf. Wie sollen Ärzte mit Patienten umgehen, die Online-„Therapien“ abbrechen? Dahinter kann sich auch eine drastische Verschlechterung der Depression verbergen. Gleichzeitig schwindet der Druck auf Gesundheitspolitiker, Wartezeiten auf Therapieplätze zu verringern.