Wie gehen wir in den Apotheken mit SARS-Cov-2 um? Hier mein Leitfaden für die nächsten Wochen – denn die werden hektisch. Und einen offiziellen Corona-Guide gibt es bisher nicht.
Die Corona-Krise treibt uns in der Apotheke natürlich in besonderem Maß um. Die Hamsterkäufe von Schmerzmitteln fangen gerade an und die Kunden möchten spätestens seit Aschermittwoch unbedingt den unnötigen und nicht mehr lieferbaren Mundschutz haben.
Außerdem sind uns seither die Desinfektionsmittelvorräte für Hände und Flächen im Laufe des Tages auch noch ausgegangen. Es ist darüberhinaus einigen Menschen nur schwer zu vermitteln, dass wir nicht alle Vorräte auf einmal abverkaufen wollen, nur damit sie der Käufer dann bei eBay zum zehnfachen Preis wiedereinstellt. Wir müssen da ganz besonders auch unsere älteren und/oder multimorbiden Kunden im Blick haben, die schon in ihrem ganz normalen Alltag auf diese inzwischen heiße Ware deutlich stärker angewiesen sind.
Irgendwann im Lauf der Woche kam bei uns dann die Frage auf, ob es eigentlich für solche Fälle wie jetzt ein Protokoll gibt, an das wir uns halten können – besonders was die Bevorratung mit Arzneimitteln, Einmalartikeln zum Verbrauch oder auch die Personaleinsatzplanung betrifft. Quasi einen Corona-Pandemie-Guide für Apotheken. Daher haben wir uns an die für uns zuständige Kammer gewandt, um genau das nachzufragen. Denn der Influenzapandemieplan ist nun einmal speziell an die Influenza angepasst. Dort werden zum Beispiel die Mengen der Packmittel vorgegeben, die wir für einen solchen Fall in der Apotheke lagern müssen, um nennenswerte Mengen an Oseltamivir-Lösung herstellen zu können und die Bevölkerung damit zu versorgen.
Die Antwort war ganz klar: Einen Corona-Guide gibt es nicht. Wir sollten uns aber ganz eng an den Influenzapandemiepan und die Arbeitsschutzmaßnahmen der BAK halten. Weitere Informationen bekämen wir in den nächsten Tagen. Auch auf der Homepage der Landesapothekerkammer (LAK) Baden-Württemberg findet sich ein solcher Passus:
„Derzeit liegen keine Empfehlungen der Behörden oder Institutionen für besondere Maßnahmen in oder für Apotheken vor. Sofern aufgrund von Coronavirus-Erkrankungen besondere Aufgaben auf Apotheken zukommen, informieren wir alle Apotheken im Land umgehend darüber.“
Die ein oder andere Informationen ist inzwischen im Netz abrufbar, doch wir sind noch immer nicht viel weiter. Es ist ja ein frommer Wunsch, dass die Apothekenleiter nun für ausreichend Mundschutz und Desinfektionsmittel für ihre Mitarbeiter sorgen sollen, doch auch ein Inhaber kann nicht zaubern. Woher soll er denn die benötigten Materialien bekommen?
Wörtlich heißt es auf der Website der LAK Baden-Württemberg:
„Zur chemischen Desinfektion sind Mittel mit nachgewiesener Wirksamkeit, mit dem Wirkungsbereich ‚begrenzt viruzid’ (wirksam gegen behüllte Viren wie Corona-Virus), ‚begrenzt viruzid PLUS’ oder ‚viruzid’ anzuwenden.
Geeignete Mittel enthält die Liste der vom RKI geprüften und anerkannten Desinfektionsmittel und –verfahren.
Die Überlegungen zu Hygienemaßnahmen in Apotheken können sich derzeit an den vom Robert-Koch-Institut ausgesprochenen Empfehlungen zu Desinfektions- und Hygienemaßnahmen orientieren.“
Wer also auf Nummer sicher gehen will, legt sich eine Bestellliste all der genannten Mittel an, und schickt diese dreimal täglich an seine Großhändler – der Versuch, sie auf Nachlieferung setzen zu lassen, wird womöglich wie bei Atemschutzmasken aller Art vergeblich sein.
Der ein oder andere Apotheker verlässt sich in diesen Tagen auch gerne auf seine Rezeptur. Warum einkaufen, was man auch selbst herstellen kann? Für die Flächendesinfektion steht uns da zur Zeit noch die Biozidverordnung im Weg, die genau das nicht mehr gestattet. Zur Desinfektion von Oberflächen darf eine Apotheke seit dem 1. Juli 2017 nicht einmal mehr 70 %-igen Alkohol herstellen, es sei denn, sie hat dafür eine Produktzulassung erworben. Diese kostet für zehn Jahre allerdings über 14.000 Euro, das werden vermutlich die wenigsten Apotheken getan haben.
Das Land Nordrhein-Westfalen geht hier mit der Zeit, denn am 03.03.2020 wurde der zuständigen Apothekerkammer mitgeteilt, dass "die EU-Biozidverordnung (...) keine Anwendung auf speziell zur SARS-CoV-2 Infektionsorophylaxe bestimmte (...) Händedesinfektionsmittel findet". Es ist sehr wahrscheinlich, dass andere Bundesländer nachziehen werden.
Anders sieht es bei der Anwendung als vom Arzt verordnete Rezeptur oder Standgefäß-Defektur (Bulkware) am menschlichen Körper aus. Zur Herstellung eines geeigneten Händedesinfektionsmittels gibt es auch praktischerweise eine Anleitung für zwei Rezepturen der Weltgesundheitsorganissation (WHO), die der Weltapothekerverband FIP veröffentlicht hat. Eine Mischung aus Isopropanol, Wasserstoffperoxid, Glycerol und Wasser kann jede Apotheke vor Ort herstellen, um sich und die Kunden im Bedarfsfall zu versorgen. Blöd nur, dass es bei den meisten Lieferanten auch einige der nötigen Zutaten für diese Rezepte nicht mehr gibt (DocCheck berichtete).
Wir haben jetzt übrigens eine Situation, die sehr deutlich zeigt, warum die Apotheken vor Ort gerade in solchen Notzeiten unverzichtbar sind. Rezepturen stellt nämlich keine Versandapotheke aus dem Ausland her, um sie zu erschwinglichen Preisen abzugeben. Auch bei der zeitnahen Ausgabe dringend benötigter Medikamente gibt es zurzeit keine funktionierende Alternative. Darüber sollte man auch mal nachdenken.
Einen Plan, an den sich jede Apotheke halten, kann gibt es also nicht. Gäbe es ihn, so wären folgende Punkte zu bedenken:
Das Arbeitsaufkommen wird vermutlich steigen und wenn sich die Situation verschärft, wird auch der Anteil der Kunden steigen, die sich die benötigten Medikamente lieber mit einem Boten schicken lassen möchten. Daher ist im Vorfeld daran zu denken, hier mehr Personal abzustellen, das telefonische Fragen annehmen, per Chat für die Kunden da sein und Bestellungen via App abrufen und bearbeiten kann. Auch der Botendienst sollte bei Bedarf ausgeweitet werden können.
Für den Schutz der Mitarbeiter, die im direkten Kontakt zu erkrankten Personen stehen, muss gesorgt sein. Ist ein Teil des Personals erkrankt, besteht vielleicht die Möglichkeit, dass andere dafür ihre Zeiten verlängern? Wird diese Möglichkeit rechtzeitig diskutiert, kann beispielsweise die Kinderbetreuung der eigentlich in Teilzeit arbeitenden Personen frühzeitig sichergestellt werden.
Im Influenzapandemieplan steht außerdem, dass im Falle eines Falles die Notdienste von 24 auf 48 Stunden ausgeweitet werden müssen. Ist auch für diesen Fall ausreichend Personal verfügbar? Dies gilt im besonderen Maße für Apothekenleiter, die mehrere Apotheken im Filialverbund betreiben und normalerweise die Dienste selbst übernehmen. Gibt es möglicherweise in solch einem Fall Überschneidungen, sollten diese jetzt schon besetzt werden.
Mitarbeiter, die auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, sollten überlegen, wie sie zur Arbeit kommen, sollten Busse und Bahnen ausfallen.
Im Notfall muss jeder wissen, wie er sich selbst schützen kann. Eine Unterweisung durch die Apothekenleitung muss daher jetzt stattfinden. Hier ist es sinnvoll, eine Gefährdungsbeurteilung nach der Biostoffverordnung vorzunehmen. Ein entprechendes Formular zum Ausfüllen durch die Apothekenleitung oder die verantwortliche Person bietet die Bundesapothekerkammer an.
Ist kein Mundschutz verfügbar, den ein Bote beim Ausliefern der Medikamente an eine erkrankte Person tragen kann, müssen alternative Szenarien erdacht werden. Möglicherweise kann der Patient die Lieferung per Überweisung oder PayPal vorab bezahlen und bekommt die Medikamente dann in einer Tüte an die Tür gehängt, so dass die Übergabe ohne direkten Kontakt stattfindet. Hier gibt es sicher auch andere gangbare Wege, über die aber im Vorfeld nachgedacht werden muss.
Zum Schutz (nicht nur) der Mitarbeiter gehört auch die Aufklärung der Bevölkerung über grundlegende Hygienemaßnahmen. Hier kann es helfen, gut sichtbare Schaubilder aufzustellen, damit beispielsweise das Anniesen und Anhusten des Personals durch die Kunden unterbleibt. Der ASB hat ein solches Schaubild gestaltet, aber auch zahlreiche Krankenkassen zeigen ein ähnliches auf ihren Seiten.
Quelle: ASB via Twitter
Desinfektionsmittelspender sollten für Kunden und für das Personal bereitstehen. Ein Plan sollte außerdem erstellt werden, der festlegt, in welchen Abständen oder nach welchen Vorfällen der Kundenbereich im Handverkauf und die Fußböden gesäubert werden müssen. Hier ist es am besten, Zeiten festzulegen, die abgezeichnet werden.
Es sollte auch daran gedacht werden, für ausreichende Belüftung der Räumlichkeiten zu sorgen. Noch sind Einmalkittel sporadisch über den Großhandel verfügbar. Sie sollten für das Personal in ausreichender Menge für einen Influenzapandemiefall ohnehin in den Apotheken liegen.
Die LAK Baden-Württemberg schreibt dazu:
„Für Apotheken liegt das Augenmerk weiterhin auf der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Stellen Sie den Wochenvorrat mit Arzneimitteln sicher und prüfen Sie die Arzneimittelvorräte besonders hinsichtlich Erkältungsmitteln (fiebersenkende Arzneimittel, Antibiotika, Antitussiva). Es gibt derzeit noch keine Arzneimittel zur kausalen Behandlung von Corona-Virus-Erkrankungen.“
Das sollte während der Erkältungssaison ohnehin bereits passiert sein. Zusätzlich könnten Überlegungen dahingehend sinnvoll sein, was möglicherweise innerhalb der nächsten Monate knapp werden könnte. Welche Wirkstoffe werden in Krisengebieten hergestellt? Wer bei diesen Wirkstoffen für sich einen erhöhten Bedarf sieht, dem sei geraten, sich rechtzeitig zu bevorraten.
In einer Apotheke fallen viele bürokratische Akte an. Eine Prioritätenliste kann hier für Ordnung sorgen – besonders in hektischen Zeiten wie jetzt. Die vorrangige Aufgabe ist die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung. Zweitrangig sind nun sicherlich Dinge wie beispielsweise Inventurlisten. Wichtiges sollte vor Unwichtigem erledigt werden, dazu braucht man klare Vorgaben.
In diesem Sinne: Die Ärmel hochkrempeln ist angesagt, aber Panik ist nicht angebracht. Verknüpft mit dem Wort „Krise“ steckt in der Wortherkunft auch noch die „Chance“, etwas zum Positiven zu verändern!
Bildquelle: Daniil Silantev, Unsplash