Viele Joghurts und fermentierte Milchgetränke versprechen eine probiotische Wirkung, die sich positiv auf den Darm und die Abwehrkräfte auswirken soll. Für wen sind probiotische Joghurts geeignet – und wann sollten Sie lieber auf ein spezifisches mikrobiologisches Präparat setzen?
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Die Frage, für welche Personen ein probiotisches Präparat geeignet ist, ist zunächst eine Frage der Zielgruppe:
Die Leitidee von den gesunden Milchsäurebakterien ist bis heute weit verbreitet. Werbeversprechen von Joghurts oder Drinks, die zusätzlich probiotische Stämme enthalten, handeln oft von einer verbesserten Verdauung oder einer Stärkung der Abwehr, richten sich aber genau wie traditionelle Natur-Joghurts grundsätzlich an gesunde Personen. Diese nützlichen Effekte sind bei gesunden Personen jedoch nur schwer nachzuweisen, daher bewertet man Joghurts eher als sinnvollen Bestandteil einer ausgewogenen Ernährung, z.B. um den Eiweiß- und Kalziumbedarf zu decken.1 Spezielle Joghurts mit zugesetzten Bakterienstämmen sind für diese Zielgruppe meist nicht zwingend notwendig, um ein gesundes Darmmikrobiom zu erhalten.
Bei Patienten mit speziellen Krankheitsbildern, die mit einer Dysbiose assoziiert sind (z.B. Reizdarmsyndrom, Divertikelkrankheit oder bei Antibiotika-Therapien), ist es jedoch sinnvoll, auf wissenschaftlich und klinisch sehr gut erforschte Bakterienstämme und Stammkombinationen (Mikrobiotika) zu setzen. Sie haben nachweislich eine spezifische Wirkung in der entsprechenden Patientengruppe und sollten daher auch ausschließlich in der Apotheke erhältlich sein. Denn: Ausgewählte Mikrobiotika wirken nicht nur stammspezifisch, sondern auch krankheitsspezifisch.2 Dies betonte auch Prof. Joachim Labenz, Direktor der Inneren Medizin am Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen, in einem Vortrag auf dem DGIM-Kongresses 2019.
Das größte Unterscheidungsmerkmal zwischen kommerziellen Joghurts und Mikrobiotika aus der Apotheke sind die enthaltenen Bakterienstämme, denen potentiell gesundheitsfördernde Effekte zugesprochen werden. Natur-Joghurt für das positives Wohlbefinden und die bessere Verdauung hat eine lange Tradition. Seit jeher sind zwei Starterkulturen essentiell, um Milch zu Joghurt zu fermentieren: Streptococcus thermophilus oder Lactobacillus bulgaricus.3 Allerdings sind diese traditionellen Joghurtstarter bekannt dafür, dass sie den sauren Bedingungen im Magen nicht standhalten und nur mäßig an Darmepithelzellen haften können, beides kritische Schlüsselmerkmale für wirksame Mikrobiotika. Daher gibt es auch kaum Nachweise, dass sich spezifische Eigenschaften dieser Stämme positiv auf Patienten auswirken.3 Von „probiotischen Joghurts“ spricht man, wenn nachträglich probiotische Stämme hinzugefügt werden. In vielen Milchprodukten findet man z.B. zugesetzte Lactobacillus casei-Kulturen. Auf den ersten Blick ähneln diese hinzugefügten Bakterien also jenen in Mikrobiotika für besondere medizinische Zwecke.4 Verwandte Stämme sind auch in diesen mikrobiologischen Präparaten, z.B. zur Therapie der Divertikelkrankheit, enthalten.5
Auf den ersten Blick gibt es also keinen Unterschied – oder?Den gibt es nach dem aktuellen Stand der Forschung durchaus – denn „verwandt“ heißt nicht „identisch“. Selbst eng verwandte Bakterienstämme zeigen signifikante Unterschiede in ihrem Genotyp, Phänotyp und ihren Wirkmechanismen im Darm. Man spricht von stammspezifischen Eigenschaften: Eine der wichtigsten Erkenntnisse bei der Erforschung und dem Einsatz von Mikrobiotika. Zahlreiche Studien belegen, dass sich viele dieser Eigenschaften keinesfalls auf einen anderen Stamm übertragen lassen. Das gilt natürlich auch für die in klinischen Studien erforschte Wirkung bei bestimmten Indikationen.6
In einer kanadischen Studie aus dem Jahr 2017 werteten Forscher dievorhandenen Daten aus 31 Studien zu 6 verschiedenen probiotischenStämmen und Stammkombinationen aus, die Lebensmitteln wie probiotischen Joghurtshinzugefügt wurden. Hier zeigten sich durchaus positive Effekte einiger der getesteten Stämme: unter anderem eine Verringerung von Obstipation und Diarrhoe und Verbesserungen der Blutzuckerkontrolle, der Blutfette, der Mundgesundheit und des Immunstatus.7 Allerdings wurden viele dieser Studien mit Dosierungen durchgeführt, die den tatsächlichen Gehalt an Mikroorganismen im käuflichen Lebensmittel um das bis zu 25-fache überstiegen. In fast allen Lebensmitteln waren die tatsächlichen Dosierungen zu gering, um den in Studien erforschten Effekt zu erzielen.7 Bei Mikrobiotika, die zur Behandlung von Patienten eingesetzt werden, sollte daher, wie bei Arzneimitteln auch, genau die Dosis empfohlen werden, die sich in entsprechenden klinischen Studien als effektiv und sicher erwiesen hat.
Genau wie bei probiotischen Milchprodukten oder Joghurts unterliegt auchdie Herstellung von Mikrobiotika hohen Qualitätsstandards, welchesicherstellt, dass in den Präparaten auch nach 24 Monaten noch ausreichend lebende Mikroorganismen enthalten sind.8 Milchproduktehaben jedoch generell eine deutlich kürzere Haltbarkeit und sind auf Kühlung angewiesen – dadurch ist der tatsächliche Gehalt der gewünschten Bakterienstämme zum Zeitpunkt des Verzehrs kaum zu kontrollieren.Die Stabilität der enthaltenen Starterkulturen oder zugefügten Bakterien kann in dem Fall nicht in gleicher Weise gewährleistet werden. Möglicherweise können auch zugesetzter Zucker, Früchte und andere Zusatzstoffe die Überlebensfähigkeit der probiotischen Keime weiter beeinträchtigen.7,9
Nicht nur in Bulgarien ist man davon überzeugt, dass Joghurt, sofern keine Gegenanzeigen wie eine Lactose-Intoleranz vorliegen, das allgemeine Wohlbefinden bei gesunden Menschen unterstützen kann und ein wichtiger Baustein einer ausgewogenen Ernährung ist. Bei Patienten mit einem definierten Krankheitsbild, dessen Therapie von Mikrobiotika mit klinischer Evidenz unterstützt werden kann, stellt Joghurt, egal, ob mit zugesetzten Kulturen oder nicht, jedoch keinen adäquaten Ersatz dar. Hier sollten die klinisch erforschten Bakterienstämme in den entsprechenden Dosierungen zum Einsatz kommen.2,6
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