Der gegenseitige Austausch von Blutstammzellen mit den umgebenden Gewebezellen im Knochenmark ist bei der Selbsterneuerung essenziell. Für zukünftige Leukämie-Therapien ist die Erkenntnis besonders interessant. Dort stehen bisher lediglich defekte Stammzellen im Fokus.
Infolge eines Unfalls, bei dem viel Blut verloren wurde oder ein Erreger während einer Infektion Blutzellen zerstört hat, werden Stammzellen aktiviert. Das gesamte System wechselt nun zur Bildung von Blutzellen von einem Ruhe- in einen Alarmmodus. Die aktivierten Blutstammzellen bilden alle Blutzelltypen neu, um den Verlust auszugleichen oder den Erreger zu bekämpfen. Gleichzeitig wird der Stammzellen-Pool über Selbsterneuerung aufrechterhalten. Damit beginnt auch eine komplexe Kommunikation zwischen Blutstamm- und Gewebezellen, die bisher noch nicht genau untersucht worden ist. „Wir wollten in unserer Studie herausfinden, welche Signale aus dem Gewebe wichtig für den Erhalt und die Funktionalität der Stammzellen sind, und welche Signale von den Blutstammzellen die Mikroumgebung beeinflussen“, erklärt Prof. Robert Oostendorp von der III. Medizinischen Klinik am TUM Klinikum rechts der Isar. Mit Dr. Rouzanna Istvánffy und Dr. Baiba Vilne aus seinem Team untersuchte Oostendorp in gemischten Kulturen aus Gewebe- und Stammzellen die Kommunikation zwischen den beiden Zelltypen.
Um das komplexe System aus Signalwegen zu entwirren, nutzten die Wissenschaftler eigene Ergebnisse aus der Analyse von Faktoren, die bei der Wechselwirkung der Gewebe- und Stammzellen hoch- oder herunterreguliert werden. Sie verknüpften diese mit den Signalwegen. Diese Informationen führten sie dann in einem bio-informatischen Computermodell zusammen. Anschließend bestätigten sie das computergenerierte Signalweg-Modell ausführlich in Zellexperimenten. „Das Ergebnis war durchaus interessant: das ganze System funktioniert als Feedback-Schleife. Im Alarmzustand beeinflussen zuerst die Stammzellen das Verhalten der Gewebezellen – diese dann rückwirkend auch wieder das der Stammzellen und zwar für einen sehr wichtigen Schritt: Sie regen die Stammzellen zur Selbsterneuerung an“, fasst Oostendorp die Ergebnisse zusammen.
Mit den Ergebnissen der Wissenschaftler lässt sich nun ein klares Bild zeichnen: im Alarmmodus geben die Stammzellen Signalstoffe ab, die wiederum Gewebezellen dazu veranlassen den Botenstoff CTGF abzusondern. Dieser ist essentiell für den Erhalt der Stammzellen über die Selbsterneuerung. Fehlt CTGF allerdings, altern die Stammzellen und können keinen Nachschub bilden. „Unsere Erkenntnisse könnten für Therapien gegen Leukämie wichtig sein. Hier sind die Stammzellen hyperaktiv und teilen sich unkontrolliert“, so Oostendorp. „Leukämische Blutzellen befinden sich im ständigen Alarmmodus und wir würden daher eine ähnliche Wechselwirkung mit den Gewebezellen erwarten“. Bisher seien aber nur die eigentlichen defekten Stammzellen im Fokus. „Aus unserer jetzigen Sicht wäre es wichtig, auch die Umgebungszellen in Therapieansätze zu integrieren, da sie starken Einfluss auf das Teilungsverhalten der Stammzellen haben“, sagt der Wissenschaftler. Originalpublikation: Stroma-derived connective tissue growth factor (CTGF) maintains cell cycle progression and repopulation activity of hematopoietic stem cells in vitro Rouzanna Istvánffy et al.; Stem Cell Reports, doi: 10.1016/j.stemcr.2015.09.018; 2015