Wenn es um die Versorgung von Sterbenden geht, versucht der eine oder andere, sich zu drücken. Das gilt auch für Ärzte. Dabei sollte es eigentlich um den Patienten gehen. Ein Kommentar von Chris Schumann.
Eines vorweg: Ich möchte darauf hinweisen, dass ich noch Student im 10. Fachsemester bin und meine praktische Erfahrung sich auf meine Tätigkeit als Krankenpfleger in der Intensivkrankenpflege vor und während des Studiums bezieht.
Palliativmedizin ist meiner Meinung nach ein wunderschönes und leider immer noch vernachlässigtes Fachgebiet, das einem selbst auch überraschend viel zurückgibt. Im Studium kommt es leider immer noch zu kurz und im Alltag reichen die personellen und materiellen Ressourcen zur angemessenen Versorgung aller Sterbenden meiner persönlichen Erfahrung nach immer noch nicht aus. Auch heute noch gibt es medizinisches Personal (häufig leider Ärzte), das sich vor der Versorgung von Sterbenden zu drücken versucht.
Beispiele: Ein onkologischer Patient mit infauster Prognose und Schnappatmung, der noch 10 bis 20 Minuten vor Eintritt des Todes auf die Intensivstation verlegt wird. Oder eine Notfallpatientin mit MOV und trotz maximaler ITS-Therapie sich zunehmend verschlechternder Hämodynamik – bei ihr wird nach Eintreffen der Angehörigen mit Patientenverfügung eine Katecholamintherapie nicht beendet, sondern nur mit dem Hinweis „Soll sich doch der Dienst drum kümmern“ (der in 3 Stunden kommt) bedacht.
Die Versorgung Schwerstkranker und Sterbender gehört genauso selbstverständlich zum ärztlichen und pflegerischen Berufsbild wie die Versorgung von Neugeboren oder „rettbarer“ Notfälle. Keine dieser Tätigkeiten ist mehr oder weniger wert als die andere.
Herr Spahn hat vor kurzem erst wieder betont, wir haben eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Dann sollte es auch selbstverständlich sein, dass wir allen Patienten ausreichende palliativmedizinische Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Aber dieser Anspruch bedeutet nicht, dass ein Mensch über seinen Tod nicht selbstbestimmt entscheiden darf. Die freie Entscheidung über das eigene Lebensende ist ein grundlegendes Recht von jedem Menschen und dafür benötigen wir beides: Sterbehilfe und die bestmögliche Palliativmedizin.
Ein Mangel auch nur einer dieser Optionen stellt eine schwere Verletzung des Selbstbestimmungsrechts und der Würde des Menschen dar. Kein Sterbender darf zum Suizid gedrängt werden, weil die palliativmedizinische Versorgung unzureichend ist, aber auch bei optimaler Versorgung darf niemand zum Leben gezwungen werden, wenn er oder sie die individuelle Lebenssituation trotz aller möglichen Interventionen als unerträglich erlebt.
In der Schmerztherapie gibt es Entscheidungen, die stehen nicht mir, sondern alleinig dem Patienten zu. Zum Beispiel, ob er die bestmögliche Schmerztherapie, aber ohne Einschränkungen seiner kognitiven Fähigkeiten wünscht und dafür möglicherweise Restsymptome akzeptiert. Oder ob er sich für absolute Schmerzfreiheit, auch um den Preis einer Sedierung, entscheidet. Genauso habe ich auch nicht zu entscheiden, ob ein Patient sich für einen assistierten Suizid oder eine paliativmedizinische Behandlung entscheidet.
Ich sehe meine zukünftige Aufgabe als Arzt darin, die Patienten zu beraten und ihnen die für sie jeweils bestmögliche Entscheidung zu ermöglichen und sie anschließend auf dem gewählten Weg zu begleiten. Dabei darf meine persönliche Meinung keine Rolle spielen (auch wenn ich davon ausgehe, dass ähnlich wie bei einem Schwangerschaftsabbruch niemand zur Mitwirkung am ärztlich assistierten Suizid gezwungen werden wird. Somit wäre medizinisches Personal, das aus persönlichen Gründen einen assistierten Suizid ablehnt, ausreichend berücksichtigt).
In der Praxis wird sich wahrscheinlich ein Mittelweg am häufigsten finden. Dabei werden Schwerkranke einen Antrag auf ärztlich assistierten Suizid stellen und diese Möglichkeit als eine Art Plan B zurückhalten, während sie sich in die paliativmedizinische Behandlung begeben, ohne jemals auf den Plan B zurückgreifen zu müssen. Viele, die nie schwerkranke oder sterbende Menschen betreut haben, werden sich vielleicht fragen, was das Ganze dann bringen soll? Beruhigung. Jeder dieser Patienten wird in Zukunft die Paliativmedizin in dem Wissen in Anspruch nehmen können, dass es einen Ausweg gibt, wenn die Beschwerden für individuell unerträglich erachtet werden. Und genau das ist ein Fortschritt, für den ich unseren Verfassungsrichtern sehr dankbar bin.
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