Seit vor einigen Jahren das Blutzucker-Screening in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen wurde, werden immer mehr Schwangere positiv getestet. Das führt oft zu Verunsicherungen.
Ein sogenannter Gestationsdiabetes mellitus (GDM) birgt Gefahren für Mutter und Kind. Aus diesem Grund wurde ein zweizeitiges Screening in die Mutterschaftsrichtlinien aufgenommen. Jede Schwangere hat demnach ein Anrecht auf folgendes Vorgehen:
Seit März 2012 soll jeder Schwangeren zwischen 24 + 0 und 27 + 6 SSW ein 50-g-Suchtest, der sogenannte Vortest, angeboten werden. Die Patientin trinkt im nichtnüchternen Zustand eine 50-g-Glukoselösung und bekommt eine Stunde später eine venöse Blutabnahme. Liegt der Blutzuckerwert ≥ 135 mg/dl wird ein 75-g-oraler Glukosetoleranztest (oGTT) nüchtern durchgeführt. Hierfür wird der Patientin dreimal Blut abgenommen. Lag der Vortest bereits bei > 200 mg/dl, wird die Diagnose GDM direkt gestellt und der oGTT ist obsolet. Bei der Auswertung des oGTT ergeben sich folgende Grenzwerte:
Es handelt sich dann um einen GDM, wenn mindestens ein Grenzwert erreicht wurde.
Besucht man allerdings Fortbildungen oder liest in der entsprechenden S3-Leitlinie folgende Passage, wird man nachdenklich:
„Das Screening per 50-g-Test ist das obligate Procedere nach den deutschen Mutterschaftsrichtlinien (MuRiLi), wegen der fehlenden Evidenz wird dieses zweizeitige Screening nicht von den Fachgesellschaften empfohlen. Vielen Schwangeren und Frauenärzten ist inzwischen bekannt, dass der 50-g-Test als Screening ungeeignet und nicht an den IADPSG/WHO-Kriterien validiert ist. Daher wird von informierten Frauen der 75-g-Test primär verlangt oder auch ärztlich primär angeboten, was nach deutscher Arztrecht-Lage nach entsprechender Aufklärung der Schwangeren zulässig ist (analog zu IGeL-Leistungen), nur kann er dann bei Kassenversicherten nicht abgerechnet werden.“
Bei negativem Vortest empfiehlt die Leitlinie daher eine zusätzliche Bestimmung des Nüchtern-Blutzuckers (Cut-off 80 mg/dl). Eine Bestimmung des HbA1c soll wegen der schlechten Sensitivität nicht als alleinige Bestimmung zum Screening eingesetzt werden. Weiterhin soll bei klinischen Anzeichen (asymmetrisches übermäßiges Wachstum zugunsten des fetalen Abdominalumfangs oder Polyhydramnion) unabhängig vom Vorbefund ein zusätzlicher 75-g-oGTT durchgeführt werden.
Ein primärer Einsatz des 75-g-oGTT sollte bei Schwangeren mit relevanten Risikofaktoren für das Auftreten eines GDM erwogen werden bzw. eine Testung bereits im ersten Trimenon erfolgen. Zu den Risikofaktoren gehören:
„Die Pathophysiologie des Gestationsdiabetes entspricht zu einem großen Teil der des Typ-2-Diabetes. Auf der Basis einer genetischen Prädisposition spielen vor allem Übergewicht und der Lebensstil (Ernährung, Bewegung) der Frauen eine große Rolle. Die in der zweiten Schwangerschaftshälfte physiologisch einsetzende Insulinresistenz führt im Falle eines Gestationsdiabetes bei gleichzeitig vorliegendem (zumindest relativem) Insulinsekretionsdefekt zur Hyperglykämie in der Gravidität. Neben den hormonellen Veränderungen in der Gravidität dürften auch eine veränderte Freisetzung von Adipokinen und Zytokinen aus dem Fettgewebe und der Plazenta eine Rolle spielen“, so die Leitlinie.
Die Prävalenz des GDM ist in den letzten 15 Jahren weltweit deutlich angestiegen (Literaturangaben variieren zwischen 1,9 % und 25 %) und lag 2016 in Deutschland bei fast 6 %.
Gründe sieht man einerseits in der Veränderung des Screeningverfahrens und der Einführung neuer diagnostischer Grenzwerte, zum anderen aber auch in der Zunahme wesentlicher Risikofaktoren wie erhöhtes mütterliches Alter und Adipositas.
Prinzipiell besteht bei GDM ein erhöhtes Risiko für hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Depressionen, Frühgeburtlichkeit, Infektionen und kindliche Fehlbildungen. Die Rate an Geburtsverletzungen, Kaiserschnitten und postpartalen Blutungen ist höher als im Normalkollektiv. Patientinnen haben nach GDM ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und die Ausbildung eines metabolischen Syndroms.
Beim Neugeborenen kann es zur Ausbildung einer sogenannten diabetischen Fetopathie kommen, einem komplexen Krankheitsbild mit unterschiedlichsten Anpassungsstörungen. Spätere Adipositas und Diabetes beim Kind scheinen nach GDM wahrscheinlicher zu sein. Das Wiederholungsrisiko nach GDM ist in den Folgeschwangerschaften europäischer Frauen bis zu 50 % erhöht.
Wird in der gynäkologischen Praxis ein GDM diagnostiziert, ist eine enge Zusammenarbeit mit einem Diabetologen gefordert. Dieser legt die Einteilung in einen diätetischen Diabetes oder insulinpflichtigen Diabetes fest und betreut die Schwangere diesbezüglich mit. Der betreuende Gynäkologe sollte die verschiedenen Risikofaktoren unter GDM bei der Schwangerschaftsvorsorge im Auge behalten. Ein sonographisches Organscreening mit Echokardiographie zum Fehlbildungsausschluss, häufigere fetale Biometrieuntersuchungen mit Rückmeldung an den Diabetologen, engere CTG-Intervalle und Vorstellung in einem Perinatalzentrum zur Entbindung sind erforderlich.
Da es Hinweise gibt, dass sich die fetale Morbidität bei insulinpflichtigem GDM durch Einleitung mit 40 + 0 SSW verringern lässt, soll dies angeboten werden.
Ab einem geschätzten Gewicht von 4.500 g sollte bei einer Schwangeren mit GDM ein primärer Kaiserschnitt empfohlen werden.
Postpartal soll nach 6–12 Wochen ein 75-g-oGTT durchgeführt und die Patientin regelmäßig diabetologisch betreut werden. Das betrifft auch eine frühzeitige Diagnostik und Therapie des GDM in einer Folgeschwangerschaft.
Durch die Einführung eines Screenings und die Zunahme von Risikofaktoren wird ein Gestationsdiabetes häufiger diagnostiziert. Das führt einerseits zur Verunsicherung der Schwangeren, andererseits ermöglicht es eine frühzeitige Therapie und genauere Überwachung von Risikoschwangerschaften. Erfahrungsgemäß bleibt es oft bei einer leichten Erhöhung der Blutzuckerwerte, diätetischen Beratung und etwas engeren Schwangerschaftsüberwachung.
Ich versuche, zu beruhigen und die Vorteile einer frühzeitigen Diagnostik und Therapie in den Vordergrund zu stellen. Ärzte und Hebammen sind hier – wie so häufig – gefordert, sich ausreichend Zeit für ein erklärendes Gespräch zu nehmen, in dem die Sorgen und Ängste unserer Patientinnen gehört und nach Möglichkeit entkräftet werden. Wegen der kritischen Bewertung des Vortests erhoffe ich mir ein Umdenken hin zu einem vorsichtigeren Umgang mit dem Screening.
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