Was man im privaten Umfeld häufig beobachtet, wurde jetzt in einer Studie wissenschaftlich untersucht: das Ansteckungspotenzial des Kinderkriegens.
Vor zwei Jahren betreute ich eine unkomplizierte Schwangerschaft, hatte gerade den 20-Wochen-Ultraschall durchgeführt, als am nächsten Tag die gleiche Patientin wieder in der Praxis auftauchte. Allerdings entsprach der Bauchumfang nun in etwa der 30. Schwangerschaftswoche und mir war die Verblüffung sicher deutlich ins Gesicht geschrieben.
Auf meine Frage, was denn über Nacht mit ihrem Bauch passiert sei, erklärte sie mir lachend, dass es sich um eine Verwechslung handle und ich sicher ihre Zwillingsschwester meine. Beide sind kurz hintereinander schwanger geworden und jeweils bei meiner Kollegin und mir in Betreuung.
In diesem Fall könnte man argumentieren, dass die beiden Frauen gleich alt sind, beide dasselbe soziale Umfeld hatten und ähnliche berufliche Möglichkeiten. Auch sind die genetischen Muster bei monozygoten Zwillingen nahezu identisch. All das kann schon sehr ähnliche Lebensplanungen erklären. Seltsamerweise bemerkt man diesen vermeintlich „ansteckenden“ Effekt der Fortpflanzung regelmäßig im beruflichen und privaten Umfeld.
Bundesweit gibt es ein einziges sozialwissenschaftliches Forschungsinstitut, das sich ausschließlich der Familienforschung widmet und dieses hat seinen Sitz an der Universität Bamberg. Es nennt sich Staatsinstitut für Familienforschung und untersucht seit 1994 insbesondere die Lebensbedingungen von Familien. Zusammen mit der Professur für Demografie der Universität Bamberg wurde nun eine aktuelle Studie mit dem Titel „Familie, Firmen und Fertilität: Eine Studie über soziale Interaktionseffekte“ in der Fachzeitschrift Demography veröffentlicht. In einer Pressemitteilung der Universität Bamberg wird diese näher vorgestellt.
Es geht darin um die Interaktionen zwischen den Netzwerken Familie und Arbeitsplatz bezüglich des persönlichen Kinderwunsches. Weiterhin wollte man herausfinden, ob spezifische Ansteckungseffekte existieren. Es wurden Daten aus den Niederlanden untersucht, die Angaben bezüglich Familienumfeld und Arbeitsplatz ergaben.
„Mit den Daten konnten wir zeigen: Es ist wahrscheinlicher, ein Kind zu bekommen, wenn Geschwister, Kolleginnen und Kollegen eines bekommen“, so Prof. Engelhardt-Wölfler von der Universität Bamberg. „Darüber hinaus konnten wir erstmals sogenannte Spillover-Effekte über Netzwerkgrenzen hinweg nachweisen.“
Hierbei handelt es sich um eine Art Kettenreaktion, die den Ansteckungsgrund näher beleuchtet. Praktisch bedeutet es, dass eine Person, angesteckt vom Kinderwunsch ihrer Kollegen am Arbeitsplatz, die eigenen Geschwister ansteckt. Diese wiederum stecken ihre Arbeitskollegen an. Andererseits bekommen Menschen im fertilen Alter, in deren Umfeld kaum Geburten stattfinden, mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit selbst Kinder. Über den Mechanismus, der diese vermeintliche Ansteckung verursacht, konnte die Studie allerdings keine Angaben machen.
Das Phänomen „Ansteckungsgefahr“ in Sachen Fortpflanzung ist mir aus dem eigenen Umfeld nicht neu. Ich erinnere mich gut daran, dass sämtliche Kolleginnen in der Klinik kurz nacheinander schwanger wurden. Oder dass innerhalb der Verwandtschaft stolz ein positiver Schwangerschaftstest verkündet wurde, worauf alle anderen in Betracht kommenden schnell angesteckt wurden. Vielleicht lag es auch daran, dass alle im ähnlichen Alter waren und das Ticken der sogenannten biologischen Uhr bei allen gleich laut war? Auch waren die Kliniknachtdienste stressig und der Chef ziemlich schwierig.
Nun frage ich mich allerdings, ob wir bei der Antikonzeptionsberatung etwas ändern müssen: Sollen wir nun aufgrund der Bamberger Studie neben Pillenrezept, Spiralen-Aufklärung und Kondomempfehlung zusätzlich vor einem fertilen Umfeld warnen? Wegen einer möglichen Ansteckungsgefahr?
Die Zwillingsschwestern aus unserer Praxis erwarten übrigens beide ihr zweites Kind, nahezu gleichzeitig.
Bildquelle: Tommaso Pecchioli, unsplash