„Kollegin, meinst du, du darfst als erste in den OP?“ Der denkt wohl, er könnte mich ausstechen. Da liegt mein chirurgischer Kollege falsch.
Paul hat Dienst. Der Allgemeinchirurg ist ein Chirurg aus dem Lehrbuch. Die Ärmel hochgekrempelt, die vor Stolz geschwellte Brust, das Goldkettchen um den Hals. Alles passt. Er ist aber auch verantwortungsbewusst und hat ein Teddybären-Herz.
Jetzt sitzt er neben mir in der Notaufnahme und hämmert wie wild auf seine Tastatur. Im 2-Finger-Schreibsystem. Die Fehlerquote ist so hoch, dass er noch ungehaltener wird. Damit gewinnt er kein Wettrennen.
„Meine Finger eignen sich für andere Tätigkeiten. Nicht für solchen Zettelkrams. Mit meinen Händen fasse ich lieber andere Sachen an, weißt du? Die können auch echt zärtlich sein. Da hat noch jede angefangen, zu schnurren.“ Er zwinkert mir zu.
Ich rolle lachend mit den Augen. „Dann hoffe ich sehr für dich, dass deine Katze nicht irgendwann zubeißt.“
Es ist 23:30 Uhr und die zwei Patienten, die auf sein Konto gingen, werden entlassen.
Die anderen Patienten, die er mitbeurteilen muss, gehören den Internisten. Fall 1: abführen. Fall 2: vielleicht doch noch OP ?
Der Internist macht hinter Pauls Rücken die Bewegung eines Sprinters nach. Das Zeichen, dass ich mich beeilen muss, wenn meine Oma mit der Schenkelhalsfraktur noch vor Fall 2 in den OP soll.
Paul dreht sich um, als ich meinem Oberarzt anrufe und dem OP-Personal Bescheid gebe. Er verzieht die Augen zu Schlitzen.
„Die Wette gilt. Bis du deinen ganzen Organisationskram für Prothesen erledigt hast, liegt mein Patient auf dem Tisch. Aber ich wärme das Bett schon mal für dich vor, bis du aus dem OP kommst.“ Er hält mir seine Hand zum High five entgegen.
Ich schlage ein. „Der Anästhesist ist schon auf dem Weg hier in die Notaufnahme. Bemüh dich nicht. Ich tippe im 10-Finger-System. Der Zettelkrams ist schneller erledigt, als du Cholezystektomie sagen kannst. Wenn ich vor dir aus dem OP komme, gibst du mir einen Kaffee aus. Und zwar einen Richtigen, aus dem Bistro - nicht aus der Cafeteria.“
Als der Anästhesist bei uns ankommt, stehen wir mit zwei perfekt organisierten Prä-OP-Protokollen bereit. Die Patienten sind von unserer Seite fertig vorbereitet.
Paul verschränkt die Arme hinter dem Kopf und schaut mir bei der Arbeit zu. Ich habe nämlich, im Gegensatz zu ihm, noch mehr wartende Patienten. „Deine Finger sind wirklich flink. Was kannst du denn sonst noch mit denen anstellen?“ Paul grinst über das ganze Gesicht.
Bevor ich entsprechend antworten kann, kommt der Anästhesist von seinen Aufklärungen zurück.
Er legt den Kopf schief: „Ich telefoniere mal mit euren Oberärzten. Sollen die sich doch schlagen, wer als Erstes in den Saal darf. Aber vielleicht ist auch das Sectio-Team fertig, dann könnt ihr gleichzeitig ran.“ Paul hebt die Augenbrauen: „Das ist das perfekte Wettrennen.“
Um 02:15 Uhr verlasse ich den OP-Saal 2, gehe aber noch kurz an OP-Saal 3 vorbei. Paul steht konzentriert am Tisch, Fall 1 entpuppte sich wohl auch noch als OP-Kandidat.
„Ich gehe dann mal ins Bett, Paul. Gute Nacht! Du weißt ja, wo mein Zimmer ist. 7 Uhr, ein Schuss Milch, kein Zucker.“ Ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Warte bloß. Ich komme gleich nach.“
Ich schätze, den OP-Schwestern werde ich morgen eine Erklärung schuldig sein. Gerüchteküche abkühlen.
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