Wie gut lassen sich die Studiennoten in MINT-Studienfächern durch die Lernorientierung der Studierenden vorhersagen? Die Prognose wird genauer, wenn nicht nur die Einschätzung der Studierenden selbst, sondern auch die Einschätzung von Mitstudenten in die Beurteilung mit einfließt.
Vor drei Jahren haben Wissenschaftler vom Institut für Psychologie der Universität Bonn in einer Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Gerhard Blickle mit der ersten Vorstudie begonnen. Das jetzt veröffentlichte Ergebnis der Studie an 116 Studierenden: Man kann die Studiennoten aufgrund des Persönlichkeitsmerkmals Lernorientierung gut vorhersagen. Zu Lernorientierung gehören die Lust am Lesen, das Bemühen um einen großen Wortschatz, eine gute Auffassungsgabe, eine hohe Lesegeschwindigkeit und die Kompetenz, viele Informationen zu verarbeiten. Die Erstautorin der Studie, die Psychologin Mareike Kholin, sagt: „Gute Noten in den Natur- und Technikwissenschaften beruhen nicht nur auf Intelligenz und Fleiß, sondern auch auf dem Wunsch, ständig zu lernen und sich zu verbessern.“ Eine so genannte agile Lernpersönlichkeit sei also für den Studienerfolg wichtig. 36 Prozent der Leistungsunterschiede in den Studiennoten könnten, so fand Kholin mit ihrem Team heraus, durch das Persönlichkeitsmerkmal Lernorientierung vorhergesagt werden. Ausgangspunkt für die Arbeit der Wissenschaftler der Universität Bonn ist die Überlegung gewesen, dass die Selbsteinschätzung von Persönlichkeitseigenschaften nicht zwingend die genaueste sein muss. Mitstudenten könnten die Stärken und Schwächen des anderen möglicherweise besser einschätzen. Prof. Dr. Blickle von der Universität Bonn erklärt: „Diese Annahme hat sich im Laufe der Untersuchungen bestätigt. Allerdings müssten die Testfragen von den Studierenden und ihren Kommilitonen mit Ernsthaftigkeit und nicht geschönt beantwortet werden, weil man beispielsweise den Kommilitonen nicht verletzen möchte.“ Das Forscherteam befragte die Studierenden mit einem Zeitabstand von einem Jahr, um die vorherigen Einschätzungen mit den späteren Abschlüssen zu vergleichen.
Zum Einsatz kommen könnten solche Tests zur Lernorientierung auf Grundlage der Studie auf den Internetseiten von Universitäten. Sie beanspruchen nicht mehr als fünf Minuten Zeit. Die Psychologin Mareike Kholin sieht durch die bessere Vorhersage ein Instrument, mit dem MINT-Studierende sinnvolle Entscheidungen für ihren künftigen Lebensweg treffen können: „In vielen Fächern gibt es gerade auf dem Weg zum nächsten Master-Abschluss hohe Durchfallquoten. Der Test kann helfen, eine sinnvolle Entscheidung zu treffen.“ Die Wahl fiel auf die MINT-Fächer, weil sie in der akademischen Landschaft einen gesellschaftlich breiten Raum einnehmen. In diesen Bereichen arbeiten derzeit bundesweit mehr als zwei Millionen Akademiker. Die MINT-Fächer hätten die Gemeinsamkeit, dass sie allesamt mathematisch strukturiert wären. „Auf andere Fächer ließe sich der Test deshalb nicht ohne weitere empirische Forschungen übertragen“, sagt Prof. Blickle. Originalpublikation: Refining the openness – performance relationship: Construct specificity, contextualization, social skill, and the combination of trait self- and other-ratingsMareike Kholin et al.; Journal of Personality Assessment, doi: 10.1080/00223891.2015.1076430; 2015