Die Zahl der öffentlichen Apotheken ist auf dem Tiefpunkt. Woran liegt das? Von Wertvorstellungen, Wirtschaft und Politik.
Die Zahl der Apotheken in Deutschland hat Medienberichten zufolge einen Tiefststand erreicht. Zum 30. Juni 2020 waren es 18.907 Betriebsstätten, laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) sind das um 168 Apotheken weniger als Ende 2019.
„Was uns am meisten Kopfschmerzen bereitet, ist, dass der Nachwuchs beim Weg in die unternehmerische Selbstständigkeit zunehmend zögerlich wird“, wird Verbandspräsident Friedemann Schmidt zitiert. „Weil wir keine verlässlichen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, keine klare pharmazeutische und wirtschaftliche Perspektive haben. Darauf warten wir jetzt seit fast vier Jahren.“
Was also läuft schief? Werfen wir einen Blick auf die unterschiedlichen Baustellen.
Ein massives Problem sind die fehlenden Arbeitskräfte. Der Personalmangel in öffentlichen Apotheken ist groß, vor allem bei Approbierten und PTA. Deshalb bieten Chefs nahezu alle erdenklichen Arbeitszeitmodelle an, von wenigen Stunden in der Woche über Teilzeit in beliebigem Maße bis hin zur Vollzeit.
Jahr für Jahr erfasst die ABDA statistische Zahlen über öffentliche Apotheken. Alle Zahlen beziehen sich auf Ende 2019. Der Frauenanteil bei Approbierten betrug 73,1 Prozent – unter den Inhabern waren es nur 49,1 Prozent. Bei Pharmazeuten im Praktikum (PhiP), also Personen direkt nach der akademischen Ausbildungsphase, nennt die ABDA 75,4 Prozent. Noch extremer ist der Anteil bei Pharmazeutisch-technischen Assistenten (PTA: 96,6 Prozent) beziehungsweise bei Pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten (PKA: 98,1 Prozent).
„Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf macht die Jobs in den Apotheken interessant“, schreibt die ABDA. „Dazu gehört beispielsweise die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten.“ Das klingt gut, mag man denken. In Wirklichkeit steckt darin ein immenses Risiko. Angestellte, die lange Zeit nur auf geringfügiger Basis arbeiten, vor allem PKA oder PTA, müssen mit Versorgungslücken im Alter rechnen. Die Rente ist schon lange nicht mehr sicher und bei niedrigem Lohn lässt sich nicht viel auf die hohe Kante legen. Die betriebliche Altersvorsorge als zweite Säule der Absicherung reicht nicht unbedingt aus.
Vieles ist möglich, wenn es darum geht, in welcher Form man in einer Apotheke tätig ist. Im Angestelltenverhältnis kann man ohne besondere Führungsaufgaben arbeiten oder man kann eine Filiale leiten, man kann aber auch eine Apotheke – oder gar einen Filialverband mit bis zu vier Betriebsstätten – besitzen.
Für welchen Weg man sich entscheidet, hängt nicht nur vom jeweiligen Beruf und den Aufgabenbereichen ab. Zahlen bestätigen, was Interviews im Rahmen der Studie „Zukunftsbild Heilberufler 2030“ bereits früher belegt hatten: Es geht nicht nur um den Job, sondern auch um die Work-Life-Balance. 49 Prozent aller Apothekerinnen und 43 Prozent aller Apotheker sehen sich perspektivisch außerhalb öffentlicher Apotheken, etwa in der Industrie, der Hochschule beziehungsweise der Verwaltung. Kolleginnen oder Kollegen, die es dennoch hinter den HV-Tisch zieht, haben unterschiedliche Vorstellungen. Frauen ziehen eine Anstellung vor (23 Prozent). Nur 9 Prozent von ihnen gaben zu Protokoll, sich künftig mit einer Einzelapotheke selbständig machen zu wollen. Männer zieht es eher in die Selbständigkeit, dann aber mit einem Apothekenverbund (20 Prozent).
Wie die apobank auf Basis von Befragungen berichtet, stehen bei der Lebensplanung von Frauen Werte wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz (70 versus 61 Prozent) weiter oben als bei Männern, während die unternehmerische Karriere (24 versus 42 Prozent) und die berufliche Karriere (44 versus 48 Prozent) für ihn höhere Priorität haben.
Beim Thema Familie scheinen sich Apothekerinnen und Apotheker jedoch anzunähern: Nur noch für 18 Prozent der Frauen steht Familiengründung in den kommenden drei Jahren an (2016: 27 Prozent). Und Kindererziehung wird mit 27 Prozent der befragten Frauen seltener genannt (2016: 31 Prozent). Bei Männern ist der Anteil derer, die sich in der nahen Zukunft ihren Kindern widmen wollen, von 16 auf 20 Prozent gestiegen.
Genau hier beginnt die Sache, schwierig zu werden. Apothekenleiter sind im Durchschnitt 51,5 Jahre alt. Nach Schätzung der ABDA wird in den nächsten zehn Jahren ein Drittel der Apothekenleiter aus Altersgründen nicht mehr arbeiten. Man erinnere sich: Mehr als 70 Prozent der nachrückenden Generation ist weiblich und wünscht sich eher eine Anstellung als eine eigene Apotheke (oder mehrere). Da wird die Übergabe schnell zum Glücksspiel.
Hinzu kommt: Apotheken, die zum Verkauf stehen, unterscheiden sich erheblich hinsichtlich ihres Nettoumsatzes. Wer auf deutlich weniger als 1,5 Millionen Euro pro Jahr (ohne Mehrwertsteuer) kommt, wird nur wenig Personal anstellen können, und mit der Work-Life-Balance ist es schnell dahin. Damit hat das oft zitierte Apothekensterben nicht nur eine wirtschaftliche Dimension durch die stetig sinkende Vergütung, gemessen an Löhnen, GKV-Einnahmen oder am Bruttoinlandsprodukt. Viele Jugendlichen sind einfach nicht mehr bereit, 50 oder mehr Stunden pro Woche zu arbeiten, etliche Notdienste gar nicht mitgerechnet.
OHG: Gemeinsam stärker
An den Fakten lässt sich wenig rütteln – an den Rahmenbedingungen schon eher. Und das geht sogar, ohne nach politischer Hilfe zu rufen.
Wie wäre es mit einer Apotheken-OHG? Mehrere Pharmazeutinnen oder Pharmazeuten teilen sich die Inhaberschaft, vertreten sich im Krankheitsfall oder während familiärer Auszeiten, stemmen aber auch Investitionen gemeinsam. Damit stehen Arbeiten in Teilzeit und die Tätigkeit als Chefin oder Chef nicht mehr in Widerspruch. Nur die betriebswirtschaftlichen Zahlen müssen stimmen.
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