Auch wenn man schon länger im Geschäft ist, lohnt es sich, die überarbeitete S3-Leitlinie zur hormonellen Empfängnisverhütung zu beachten. Denn selbst als erfahrene Gynäkologin lernt man nie aus.
Die Einführung der ersten hormonellen Kontrazeption in den 1950er Jahren glich einer gesellschaftlichen und medizinischen Revolution. Eine sichere Verhütungsmethode gewährleistete von nun an eine selbstbestimmte Familienplanung und sorgte für eine angstfreiere Sexualität.
Mittlerweile ist die Pille zwar immer noch das am häufigsten eingesetzte Antikontrazeptivum, wird aber zunehmend kontrovers diskutiert. Aus diesem Grund ist eine individuelle Beratung unter Heranziehung wichtiger medizinischer und persönlicher Aspekte unerlässlich.
Die aktuelle S3 Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gibt dabei wichtige Hilfestellungen.
Grundsätzlich teilt man hormonelle Kontrazeptiva in zwei Gruppen ein:
Zum einen in die größte Gruppe, die kombinierten oralen Kontrazeptiva (KOK), die aus einem Östrogenanteil (meist Ethinylestradiol) und einem Gestagenanteil (jeweils unterschiedliche Wirkstoffe) bestehen. Eine kleinere Gruppe der kombinierten Kontrazeptiva stellen das Verhütungspflaster und der Verhütungsring dar.
Zum anderen verschiedene Gestagenmonopräparate, die oral oder in Depotform als IUP, als Implantat oder als Injektion verabreicht werden.
Es gibt keinen Hinweis, dass die Wirksamkeit hormoneller Antikonzeptiva bei adipösen Frauen herabgesetzt ist. Allerdings sind die Daten bei Adipositas Grad II und III widersprüchlich. Möglicherweise ist ein Wirkverlust des kombinierten Verhütungspflasters bei Adipositas zu verzeichnen.
Es wird empfohlen, bei Adipositas Grad II (BMI ≥35kg/m²) und III (BMI ≥40 kg/m²) ein IUP oder nicht hormonelle Methoden zu präferieren. Auch gibt es Hinweise, dass eine hormonelle Notfallkontrazeption bei Adipositas eingeschränkt wirksam ist.
Normalerweise beginnt man die hormonelle Kontrazeption am ersten Zyklustag. Ein sogenannter Quickstart ist der Start zu jedem anderen Zeitpunkt innerhalb des Zyklus. Zuvor sollte eine Schwangerschaft laut Leitlinie „einigermaßen sicher“ ausgeschlossen werden:
Ein Quickstart sofort im Anschluss an den Arztbesuch soll zu einer besseren Therapieadhärenz führen. Zusätzlich ist in der ersten Einnahmewoche eine Barriere-Methode anzuwenden.
Bei der Anwendung des Notfallkontrazeptivums UPA (ellaOne®) bestehen Bedenken, dass ein Quickstart oder die Fortführung der vergessenen hormonellen Kontrazeption die Wirksamkeit von UPA beeinträchtigen könnte. Auf der anderen Seite besitz UPA das Potential, die Wirksamkeit hormoneller Kontrazeptiva zu reduzieren.
Die Leitlinie schließt sich der Empfehlung des Canadian Contraception Consensus an und empfiehlt den Beginn der hormonellen Kontrazeption fünf Tage nach Einnahme von UPA. Währenddessen und über weitere 14 Tage (16 Tage bei Qlaira®) sollte eine Barriere-Methode angewandt werden.
Beim Prämenstruellen Syndrom können KOK im Langzyklus zu einer Beschwerdeminderung beitragen. Bislang ist die Datenlage bezüglich eines kausalen Zusammenhanges zwischen der Einnahme von hormonellen Kontrazeptiva und depressiven Verstimmungen unklar. Die Leitlinie belässt es daher bei der Aussage, dass hormonelle Kontrazeptiva zu Stimmungsschwankungen führen können und Patientinnen darüber aufgeklärt werden sollten.
Bei präexistenten Depressionen haben neuere Studien gezeigt, dass die Einnahme hormoneller Kontrazeptiva nicht zu einer Verschlechterung der Symptomatik führte, in einigen Fällen wurde sogar eine Verbesserung der depressiven Symptome verzeichnet.
Bezüglich des Mammakarzinomrisikos unter hormonellen Kontrazeptiva ist die Datenlage unklar. „In Kohorten- und Fallkontrollstudien konnten sowohl kein als auch ein geringgradig erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines Mammakarzinoms beobachtet werden“, so die Leitlinie. Darüber sollten die Patientinnen aufgeklärt werden.
Ist eine Patientin bereits an einem Mammakarzinom erkrankt, sollte sie keine hormonelle Verhütung durchführen, da ein Rezidivrisiko nicht auszuschließen ist.
Hormonelle Kontrazeptiva reduzieren das Risiko, an einem Ovarialkarzinom zu erkranken. Der Effekt ist abhängig von der Dauer der Anwendung und besteht bis zu 30 Jahren nach Absetzen des Präparates.
Die Inzidenz eines Zervixkarzinoms ist bis 20 Jahre nach Absetzen erhöht, die Stärke des Effekts korreliert mit der Einnahmedauer. Hormonelle Kontrazeptiva verringern das Risiko für ein Endometriumkarzinom, ebenfalls korrelierend mit der Einnahmedauer. Ebenfalls eine Risikoreduktion ist bezüglich des Kolonkarzinoms zu verzeichnen.
Das Risiko für eine venöse Thromboembolie liegt bei Frauen innerhalb der fertilen Phase bei etwa 5/10 000 pro Jahr. Die Einnahme eines KOK erhöht dieses Risiko je nach Östrogenkonzentration und Art des Gestagenanteils um etwa den Faktor 2-4.
Während einer Schwangerschaft ist das Thromboserisiko etwa 6-fach und im Wochenbett 22-fach erhöht.
Ein KOK mit Levonorgestrel, einem Gestagen der 2. Generation, hat das günstigste Thromboseprofil. Dagegen kommt es unter dem kombinierten Verhütungspflaster doppelt so häufig zu venösen Thrombosen. Auch der Verhütungsring liegt mit einer etwa 6,5-fachen Risikoerhöhung im Vergleich zur Nicht-Anwenderin deutlich ungünstiger als Pillen mit Levonorgestrel.
Weiterhin sind folgende Parameter bei der individuellen Antikonzeptionsberatung von Bedeutung:
Nach einer sorgfältigen Risikoaufklärung unter Berücksichtigung der Eigen- und Familienanamnese, sollten bevorzugt Präparate der 2. Generation verordnet werden, insbesondere bei Erstanwenderinnen. In besonderen klinischen Situationen kann nach individueller Risikoeinschätzung und Aufklärung über das erhöhte Thromboserisiko, auch ein anderes Kombinationspräparat gewählt werden.
Patientinnen mit einem erhöhten Thromboserisiko können Gestagenmonopräparate (mit Ausnahme der sogenannten 3-Monatsspritze) erhalten. Hatte die Patientin bereits eine venöse Thrombose, sollte kein KOK eingesetzt werden, Gestagenmonopräparate (außer der 3-Monatsspritze) sind möglich.
Das Risiko für einen Myokardinfarkt (1,6-fach) oder einen ischämischen Hirninfarkt (1,7-fach) wird durch ein KOK erhöht, ebenso durch Hypertonie, Hyperlipidämie und Nikotinabusus.
Patientinnen mit einem Blutdruck ≥140/90 mmHg sollten kein KOK verordnet bekommen. Außerdem ist eine regelmäßige Blutdruckmessung alle sechs Monate durchzuführen.
Gestagenmonopräparate (ausgenommen die 3-Monatsspritze) scheinen keinen Einfluss auf das arterielle Thromboembolie-Risiko zu haben und können demnach bei Frauen mit kardiovaskulärem Risiko eingesetzt werden.
Patientinnen, die unter einer Migräne mit Aura leiden, haben ein erhöhtes Risiko für einen ischämischen Hirninfarkt (5,9/100 000) im Vergleich zur Normalbevölkerung (2,5/100 000). Unter einer zusätzlichen KOK erhöht sich das Risiko (36,9/100 000) weiter. Deshalb sollen in diesem Fall nur Gestagenmonopräparate verordnet werden. Auch eine hormonelle Notfallkontrazeption ist möglich.
Bei Neuauftreten einer Migräne mit Aura unter einer hormonellen Kontrazeption (KOK oder Gestagenmonopräparat) sollte diese abgesetzt werden.
KOK beschleunigen nicht die Rückbildung von funktionellen Ovarialzysten. Das gilt sowohl für spontan entstandene Zysten als auch nach ovarieller Stimulation. Aus diesem Grund ist eine Therapie mit einem KOK keine Indikation bei Ovarialzysten.
Bezüglich des Einsatzes von KOK in der Stillperiode ist die Datenlage nicht ausreichend. Bei Gestagenmonopräparaten ist weder ein negativer Einfluss auf die Milchmenge, die Milchqualität, noch auf das Wachstum des Kindes zu verzeichnen. Sie können damit während des Stillens angewandt werden.
Patientinnen mit Diabetes Typ 1 oder Typ 2, bei denen weder sekundäre Gefäßschäden, noch ein Hypertonus oder Nikotinabusus vorliegt, können mit einem KOK verhüten. Ab einem Alter von 35 Jahren steigt hierbei allerdings das kardiovaskuläre Risiko signifikant an.
Bei einer fokal nodulären Hyperplasie der Leber können sowohl ein KOK als auch Gestagenmonopräparate verordnet werden. Bei hepatozellulären Leberzelladenomen und malignen Lebertumoren stellen beide Verhütungsmethoden keine vertretbare Option dar.
Bei Hirsutismus kann ein KOK mit antiandrogenem Gestagenanteil verordnet werden. Auf die möglichen Risken, insbesondere die erhöhte Thrombosegefahr, und auf Alternativen ist hinzuweisen.
Ein signifikanter Anstieg des Körpergewichts wurde unter einer KOK Anwendung nicht beobachtet.
Bei menstruations-assoziierten Beschwerden ist ein KOK im Langzyklus der konventionellen Anwendungsweise überlegen.
Es bestehen immer wieder Befürchtungen, dass hormonelle Kontrazeptiva einen negativen Einfluss auf die Knochengesundheit vor Erreichen der Peak Bone Mass mit etwa dem 20. Lebensjahr haben. Ob es davor zu einem ungünstigen Einfluss des Frakturrisikos unter einem KOK kommt, kann derzeit nicht beantwortet werden.
Bei der 3-Monatsspritze gibt es bezüglich der Knochengesundheit eine definitive Aussage: Sie ist kein Kontrazeptivum der ersten Wahl und sollte so kurz wie möglich eingesetzt werden.
Bei Patientinnen mit Anorexia nervosa ist das primäre Ziel zur Steigerung der Knochendichte die Therapie der Grunderkrankung, begleitet von Gewichtszunahme und Wiedereinsetzen der Menstruation. Zur Steigerung der Knochendichte sollte kein KOK eingesetzt werden, eine transdermale Östrogensubstitution mit oraler Progesterongabe kann erwogen werden.
Die aktualisierte S3-Leitlinie zur hormonellen Kontrazeption hat neben einer Wiederholung von Altbewährtem auch eine Vertiefung und Bestätigung der alltäglichen Praxisroutine gebracht.
Manches, was man sich selbst hergeleitet oder in anderen Publikationen gelesen hatte, wird nun aufgegriffen und schafft Klarheit in schwierigen Situationen, wie etwa die Vorgehensweise bei der Notfallkontrazeption.
Auch lässt sich das eine oder andere getrost über Bord werfen, beispielsweise die vermeintliche Therapie von Ovarialzysten mittels KOK. Manches bleibt aufgrund uneinheitlicher Studienlage offen, wie so häufig in der Medizin.
Vielleicht ein Anreiz für diejenigen, die gerne in die Forschung gehen möchten? Wie denkt ihr über diese Änderungen?
Bildquelle: Boba Jaglicic, Unsplash