31. Januar 2020: Coronaviren führen zu Hamsterkäufen und hitzigen Diskussionen. Politiker planen das weitere Vorgehen. Die WHO ruft den Gesundheitsnotstand aus.
Wer sich derzeit über Coronaviren informiert, sieht sich schnell mit Effekthascherei und mit Halbwahrheiten konfrontiert. Das aktuelle Beispiel ist ein vermeintlicher Krankheitsausbruch auf einem Kreuzfahrtschiff – später wurde schnell dementiert. Verdachtsfälle gibt es europaweit an allen Ecken und Enden, doch handelt es sich meist um die keineswegs harmlose echte Grippe.
Das könnte sich aber rasch ändern: Derzeit kommen aus Ostasien erschreckende Nachrichten. Momentan sind knapp 10.000 Menschen erkrankt und 213 gestorben, die meisten von ihnen in China (Stand: 31.01.2020, 07:00 Uhr). Und die Fallzahlen gehen rapide nach oben:
Zahl an 2019-nCoV-Infektionen (in Orange: China; in Gelb: Summe aller anderen Länder). Grafik: John Hopkins CSSE
Angesichts der aktuellen Entwicklung hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nun doch einen internationalen Gesundheitsnotstand (PHEIC) ausgerufen. Zur Erinnerung: Das war in den vergangenen 15 Jahren eher selten, nämlich bisher nur bei Influenza A(H1N1)pdm09 (April 2009), Poliomyelitis (Mai 2014), Ebolafieber (August 2014), Zikavirus (Februar 2016) und Ebolafieber (Juli 2019). Grund seien nicht die Fälle in China, sagte WHO-Präsident Tedros Adhanom Ghebreyesus. Vielmehr gehe es um die weitere Ausbreitung des Virus.
Wie geht es weiter?
Doch Forscher sind ohnehin aktiv. Seit den ersten Meldungen haben sie unermüdlich gearbeitet. Und renommierte und teure Journals wie NEJM und Wiley haben sich entschlossen, Papers über das neue Virus kostenfrei zur Verfügung zu stellen.
Auf PrePrint-Server wie BioRxiv und MedRxiv laden Forscher nach wie vor noch nicht begutachtete Artikel hoch, um schnell zu informieren – der Peer-Review-Prozess kostet Zeit. Und genau diese fehlt momentan am dringendsten. Einige Highlights aus den Publikationen:
1. Übertragung des Virus
Phan, LT et al. (28.01.2020): Die Forscher berichten anhand eines Fallberichts von der Mensch-zu Mensch-Übertragung. Nach dem Besuch in Wuhan infizierte ein symptomloser Mann seine Frau und seinen Sohn. Alle Personen hatten sich ein Hotelzimmer geteilt. Besuche auf dem Markt in Wuhan können ausgeschlossen werden.
Chan JFW et al. (24.01.2020) schildern den Fall einer siebenköpfigen Familie. Sechs Personen haben sich entweder im Haushalt oder im Krankenhaus infiziert. Der besagte Markt spielte auch hier keine Rolle.
Als mittlere Inkubationszeit geben Backer JA et al. (28.01.2020) 5,8 Tage an – bei einer Bandbreite von 1,3 bis 11,3 Tagen. Dies könne helfen, Werte für die Quarantäne festzulegen, so die Autoren.
Große Unsicherheit besteht bei der Basisreproduktionszahl R0. Sie gibt an, wie viele gesunde Menschen ein Patient im Durchschnitt ansteckt. Zhao S et al. (29.01.2020) schätzen sehr hohe Werte zwischen 2,24 und 3,58.
Auch Read JM et al. (24.01.2020) kommen auf 3,8 – was deutlich über SARS und MERS liegt. An der Größenordnung von R0 bestehen aber noch erhebliche Zweifel.
Qun Li, M (29.01 2020) erfassten Daten einer Kohorte mit 425 Infizierten. Die mittlere Inkubationszeit betrug 5,2 Tage, lag bei 5 % der Fälle aber bei 12,5 Tagen. Solche Schwankungen traten auch im weiteren Verlauf der Epidemie auf. Zum Vergleich: Bei SARS sind es 2 bis 10 Tage und bei MERS 7 Tage bis 2 Wochen.
Wissenschaftler um Chen N et al. (29.01.2020) analysierten eine Kohorte mit 99 Patienten. Sie berichten über Fieber (83 %), Husten (82 %), Atemnot (31 %), Muskelschmerzen (11 %), Verwirrung (9 %), Kopfschmerzen (8 %), Halsschmerzen (5 %), Rhinorrhoe (4 %), Brustschmerzen (2 %), Durchfall (2 %) sowie Übelkeit und Erbrechen (1 %).
Bislang gibt es keine zugelassene Behandlung von Patienten mit 2019-nCoV-Infektion. Das soll sich, wenn es nach Forschern geht, aber bald ändern. Ihr Trick ist so simpel wie genial: Sie testen bereits zugelassene Wirkstoffe auf Effekte gegen das neue Coronavirus. Das würde im Erfolgsfall viel Zeit sparen, weil keine toxikologischen Basistests mehr erforderlich sind.
Liu X et al. (29.01.2020) schlagen anhand von in-silico-Verfahren eine Reihe möglicher Hemmstoffe für die virale M-Protease vor: Colistin, Valrubicin, Icatibant, Bepotastine, Epirubicin, Epoprostenol, Vapreotide, Aprepitant, Caspofungin oder Perphenazin.
Im Unterschied dazu screenten Li Y et al. (29.01.2020) Substanzbibliotheken mit 8.000 klinisch untersuchten Proteinase-Inhibitoren. Auch hier kamen rechnergestützte Verfahren zum Einsatz, um Hemmstoffe in silico zu identifizieren. Prulifloxacin, Bictegravir, Nelfinavir und Tegobuvir entpuppten sich als heiße Kandidaten.
Auch SARS-spezifische Antikörper kommen zum Einsatz, wie Tian X et al. (28.01.2020) berichtet. Er scheint in vitro auch an 2019-nCoV zu binden. Jetzt ist die Zeit reif für klinische Tests.
Bildquelle: Andrei Slobtsov, Unsplash