Im Flugzeug erleidet ein Passagier offenbar einen Schlaganfall. Die Maschine muss schnellstens landen und der Mann medizinisch versorgt werden. Doch ein zufällig anwesender Arzt zweifelt den Fall an.
Das Flugzeug hat gerade die Reiseflughöhe erreicht, da ertönt die Durchsage: „Ist ein Arzt an Bord?“ Sofort meldet sich ein Mediziner bei der Flugbegleiterin. Sie berichtet ihm aufgeregt, dass ein Fluggast einen Schlaganfall erlitten hätte.
Der Arzt eilt zum Sitz des Patienten und wundert sich zunächst, dass er einen jungen, trainierten Mann vor sich hat – kein typischer Schlaganfallpatient. Doch beim Anblick seines Gesichts scheint sich die Vermutung der Flugbegleiterin zu bestätigen: Die komplette rechte Gesichtshälfte ist gelähmt, sein rechtes Auge kann er nicht mehr schließen. Außerdem spricht er undeutlich.
Sonstige Beschwerden hat der Patient aber nicht, er kann sich normal bewegen und hat keine kognitiven Einschränkungen. Auch Vorerkrankungen hat der junge Mann offenbar keine. Aber sollte es sich hier tatsächlich um einen Schlaganfallpatienten handeln, dann muss das Flugzeug möglichst bald landen, um den Patienten schnell medizinisch versorgen zu können.
Doch der hinzugerufene Arzt zweifelt an der Sache. Vor allem der Zeitpunkt des Einsetzens der Symptome passt eher zu einer anderen Erkrankung. Der Patient berichtet, er litt wenige Minuten zuvor an starken rechtsseitigen Kopf- und Ohrschmerzen. Schon beim Abheben des Flugzeugs spürte er ein starkes Druckgefühl im Ohr, das weiter anhält. Er erzählt weiter, dass erst gestern seine Erkältung mit Schnupfen abgeklungen sei.
Der Mediziner vermutet die Ursache der plötzlich einsetzenden Fazialisparese im Fliegen selbst. Beim Steigflug reduziert sich der Druck in der Kabine. Ist die Eustachische Röhre verstopft, kann sie den Druck zwischen Umgebung und Mittelohr nicht ausgleichen. Das führt zum unangenehmen Druckgefühl in den Ohren und im schlimmsten Fall zu einem Barotrauma. Der Druck könnte auch die Gesichtsnerven beeinträchtigen, vermutet der Arzt.
Der Patient erhält zusätzlichen Sauerstoff über die Sauerstoffmaske und soll Übungen durchführen, um den Druck im Ohr auszugleichen: Dazu gehören Gähnen, Schlucken und das Valsalva-Manöver. Nach 15 Minuten bessern sich seine Symptome und das Ohr ist wieder frei. Einige Minuten später ist die Lähmung vollständig verschwunden und der Patient beschwerdefrei. Das Flugzeug muss nicht vorzeitig landen.
Nach der Landung recherchiert der Arzt den ungewöhnlichen Fall. Das Phänomen scheint häufiger bei Tauchern aufzutreten, seltener bei Flugzeugpassagieren. Man nimmt an, dass der Effekt auf eine ischämische Neurapraxie des Gesichtsnervs zurückzuführen ist. Diese wird durch einen erhöhten Mittelohrdruck verursacht, der den Gesichtsnerv in einem freigelegten Gesichtskanal komprimiert.
Allerdings ist es ein seltenes Phänomen, das meist keine Behandlung erfordert. Die Beschwerden – so unheimlich sie auch sein mögen – verschwinden von selbst.
Textquelle: Annals of Internal Medicine Bildquelle: Suhyeon Choi, Unsplash