Für die Apotheke vor Ort war gestern ein wichtiger Abend. Petitions-Held Benedikt Bühler sprach sich im Bundestag für das Rx-Versandverbot aus. Tut er Apothekern wirklich einen Gefallen?
Mit über 420.000 Unterzeichnern hat eine Petition zum Rx-Versandverbot alle Rekorde gebrochen. Benedikt Bühler, ein 20-jähriger Pharmaziestudent, hatte den Stein ins Rollen gebracht. Er selbst konnte seine Argumente sogar vor dem Petitionsausschuss vortragen. Was treibt ihn an?
Bühler spricht von sicheren Arzneimitteln, aber auch von der Apotheke als Ort sozialer Wärme. Das hört jeder Kollege gern; das wärmt doch unser Herz. Aber es geht womöglich um mehr. Bühlers Facebook Seite zeigt ganz klar, dass er nicht nur Mitglied bei der CDU ist, sondern aktiv in Ausschüssen oder Beiräten handelt. Das klingt nach politischen Ambitionen. Auch ein Jens Spahn hat mal klein angefangen. Und Benedikt Bühler hat sein Thema gefunden, um deutschlandweit Aufmerksamkeit zu erregen. Dass er gegen einen führenden Christdemokraten argumentiert, muss ihm nicht schaden. Spahn ist in den eigenen Reihen umstritten. Er hat im Kampf um den CDU-Vorsitz die erste große Niederlage eingesteckt.
Doch zurück zu pharmazeutischen Themen. Bühler argumentiert, dass eine sichere Arzneimittelversorgung nur über deutsche Apotheken möglich sei. Fakten sprechen dagegen. Selbst in der heimischen, legalen Lieferkette sind schon Plagiate aufgetaucht. Und bei securPharm gibt es Ausnahmen in Form der sogenannten White List. Dass Versender aus anderen EU-Nationen – und nur die sind gemeint – tatsächlich unsicher sind, lässt sich nicht belegen. Eine Ausnahme: Bei sommerlichem Wetter wird es Arzneimitteln im Karton schnell zu heiß. Allerdings betrifft das auch deutsche Arzneimittelversender und nicht nur die „großen Grünen“ aus den Niederlanden. Hier sind tatsächlich Nachbesserungen zu tätigen. In der Lebensmittelbranche sind entsprechende Lösungen seit Jahren im Einsatz.
Auch das Argument, Vor-Ort-Apotheken würden besser beraten, steht auf tönernen Füßen. Dazu wären sie laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), § 20, zwar verpflichtet. Doch die Realität sieht anders aus. Ich selbst habe mehrfach bei Triptanen oder auch bei einem Antibiotikum die Erfahrung gemacht, dass der Kunde nur informiert wird, warum er ein Präparat der Firma X bekommt, weil Y nicht im Rabattvertrag ist. Schluss. Es gibt gut beratendes Personal – aber das berüchtigte Schubladenziehen ist ebenso weit verbreitet. Und der Berufsstand selbst sperrt sich gegen verpflichtende Fortbildungen, wie man sie von Ärzten längst kennt. Das freiwillige Fortbildungszertifikat der Apothekerkammern ist Augenwischerei. Wer in Deutschland flächendeckend von guter Beratung spricht, irrt sich. Ganz abgesehen davon, dass sich immer noch PKA im Handverkauf „verlaufen“.
Weiter geht es mit Statistiken. Jahr für Jahr berichtet der Deutsche Apothekerverband (DAV) beim Wirtschaftsforum von düsteren Prognosen durch den Rx-Versand. Und Jahr für Jahr treten diese nicht ein. Versender profitieren im OTC- und Kosmetikbereich, aber das Rx-Segment stagniert. Warum ist das so? Patienten benötigen Präparate oft zur Akutmedikation. One Day Delivery ist zurzeit nicht mehr als ein großes Wort.
Trotzdem ist die Zahl an öffentlichen Apotheken rückläufig. Aber niemand – auch nicht Bühler – hat jemals nachgewiesen, dass es am Versandhandel mit Rx-Arzneimitteln liegt. Die Wahrheit hört man eben ungern: In Dörfern und Kleinstädten sind die Arbeitsplätze rar. Junge Menschen ziehen weg, während ältere dableiben. Der Supermarkt schließt, dann die Bank, der Metzger, die Arztpraxis – und die Apotheke. Seit Jahren sinkende Vergütungen für Apotheken, gemessen an der Inflationsrate, an Tariflöhnen und an GKV-Einnahmen, machen die Sache noch schlimmer: ein Trend, der nichts mit Arzneimittelversendern zu tun hat. Dagegen ist kein Kraut von Apothekern gewachsen.
Was wir beobachten, ist eine Entwicklung in allen Branchen. Der Tante-Emma-Laden beziehungsweise der kleine Kiosk sind schon lange verschwunden. Große Geschäfte prägen das Bild – auch bei der Apothekerschaft. Die Pharmazie ist immer noch lukrativ, aber nur für Inhaber mit großen Betriebsstätten oder mit mehreren Filialen. Kleine One-Man- respektive One-Woman-Shows sind passé.
Viele Apothekenleiter haben längst erkannt, dass digitale Technologien heute notwendig sind – und dass Service das Zauberwort ist. Niemand mag Amazon & Co., aber davon lässt sich vieles lernen:
Bühlers Ansinnen, Apotheker mit dem Rx-Versand zu schützen, löst nicht das grundlegende Problem: Eine Branche muss sich wandeln; erfolgreiche Apothekenleiter haben das längst erkannt und umgesetzt. Reiner Protektionismus von staatlicher Seite verlängert nur den Sterbeprozess von Betriebsstätten, deren Zeit eigentlich schon lange abgelaufen ist. Und Kunden haben das recht, selbst zu entscheiden.
Bildquelle: romana klee, flickr