Einige Parkinson-Patienten, die mit tiefer Hirnstimulation behandelt werden, können plötzlich nicht mehr schwimmen. Das betrifft selbst ehemalige Rettungsschwimmer. Wie lässt sich das erklären?
Der 69-jährige Parkinson-Patient war ein erfahrener Schwimmer. Trotz seiner Erkrankung schwamm er regelmäßig in dem See neben seinem Haus. Doch nach Einsetzen eines Neurostimulators wäre der Mann beim Sprung ins Wasser fast ertrunken, wäre ihm nicht ein Familienmitglied zu Hilfe gekommen. Er konnte plötzlich nicht mehr schwimmen.
In ihrem klinischen Bericht schildern die Mediziner aus der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich neun Fälle, in denen zuvor geübte Schwimmer durch tiefe Hirnstimulation (THS) unvermutet nicht mehr schwimmen konnten – egal, welcher Schwimmstil. Auch zwei Wettkampf- und Rettungsschwimmerinnen, die bis zu dem Eingriff trotz ihrer Parkinson-Erkrankung regelmäßig schwammen, waren nach dem Eingriff nicht mehr dazu in der Lage.
Alle Patienten waren mit den Ergebnissen der Operation sehr zufrieden, sie zeigten stabile neuropsychologische Funktionen, und ihre motorischen Symptome hatten sich wesentlich verbessert. Deshalb kam es für sie völlig unerwartet, dass sie plötzlich Nichtschwimmer waren.
Eine der Patientinnen übte das Schwimmen mit Hilfe ihrer Physiotherapeutin, erreichte aber ihr ursprüngliches Level nicht ansatzweise, wie das Video zeigt:
© Neurology Journal: Beware of deep water after subthalamic deep brain stimulation
Drei der neun Patienten stellten die THS probeweise ab, was die Koordination ihrer Gliedmaßen sofort wiederherstellte, sodass Schwimmen möglich war. Da die motorischen Parkinson-Symptome aber ebenfalls schnell zurückkamen, entschieden sich alle dazu, das Gerät so bald wie möglich wieder einzuschalten.
Es ist bekannt, dass bei der Parkinson-Krankheit Schwierigkeiten mit der Koordination gleichzeitiger motorischer Aktionen bestehen, die sich unter der Therapie mit Levodopa oder THS bessern. Dass mehrere Patienten ihre Schwimmfähigkeit verloren haben, war deshalb nicht zu erwarten, zumal eine Überprüfung der Elektroden den korrekten Sitz bestätigte und auch keinerlei Gangveränderungen festzustellen waren.
Die Aufforderung der Autoren, bei Patienten mit THS-Behandlung eine Warnung vor Ertrinken auszusprechen, ist allerdings nicht neu: Schon 2016 erschien ein Fallreport, in dem über Schwierigkeiten beim Schwimmen berichtet wurde. Mit der Anzahl der Fälle in der Schweiz verlässt die Beobachtung aber den anekdotischen Bereich: Diese Probleme waren bei neun von 217 THS-Patienten aufgetreten, ohne dass die Schwimmfähigkeit systematisch untersucht worden war. Das lässt vermuten, dass das Phänomen häufiger auftritt und nur nicht aufgefallen ist. Genauso unbekannt ist, wie viele Patienten keine Probleme mit dem Schwimmen haben.
Prof. Dr. med. Andrea Kühn, Leiterin der Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation an der Charité in Berlin berichtet von einem Patienten, der auf dieselbe Art und Weise behandelt wurde und keine Schwierigkeiten beim Schwimmen bemerkt. Er kann es eher besser, da die Beweglichkeit insgesamt besser ist. Ein anderer ihrer Patienten ist passionierter Kanu-Paddler: „Ich habe ihn zwar nicht direkt danach gefragt, aber er ist sicher seit der OP geschwommen. Wenn all diese Patienten ein Problem hätten, wäre der Zusammenhang bestimmt schon eher aufgefallen.“
Die Ursache für diesen merkwürdigen Zusammenhang ist unbekannt. Die Schweizer Neurologen nehmen an, dass THS die supplementär-motorische Rinde (SMA) anders beeinflusst als Levodopa. Funktionell ist die SMA von entscheidender Bedeutung für die Koordination unabhängiger Bewegungen der Gliedmaßen, was eine wichtige Voraussetzung für das Schwimmen ist. Auch das Gehen wird teilweise von der SMA gesteuert.
Die bilaterale THS des Nucleus subthalamicus, wie sie bei den neun Schweizern durchgeführt wurde, verbessert motorische Fluktuationen, Bradykinese und Tremor. Eine Stimulation des Globus pallidus internus wirkt sich ähnlich aus, eine vergleichbare Tremorentlastung ist aber weniger wahrscheinlich. Ob es bei diesem Zielpunkt ebenso zur Beeinträchtigung der Schwimmfähigkeit kommt, ist unklar. Kühn berichtet von einer Dystonie-Patientin mit THS an dieser Stelle, die nach wie vor ambitionierte Schwimmerin ist: „Sie hat überhaupt keine Probleme, aber der Globus pallidus internus als anderes Zielgebiet hat natürlich auch andere Konnektivitätsmuster. Ich kenne aber auch keinen Parkinson-Patienten aus unserer Kohorte, der von Problemen beim Schwimmen berichtet hat.“
Seit 30 Jahren tappt man bei der THS im Dunkeln, was ihre genaue Wirkungsweise betrifft: Experten diskutieren darüber, ob THS lokale neuronale Elemente unterdrückt oder aktiviert, das Signal-Rausch-Verhältnis verbessert oder den Informationsfluss innerhalb der zerebralen Netzwerke moduliert. So bleibt die THS Gegenstand umfangreicher Forschungen, bei denen zunehmend ganze Hirnnetzwerke untersucht werden, das „menschliche Konnektom“.
Kühn und Kollegen haben beispielsweise bei 20 Parkinson-Patienten jeweils mit ein- und ausgeschalteter THS eine funktionelle Magnetresonanztomografie durchgeführt und die Konnektivitäten im gesamten Gehirn miteinander verglichen. Der lokale Einfluss der THS auf den Nucleus subthalamicus erklärte etwa die halbe Varianz der globalen Konnektivitätserhöhung innerhalb des motorischen Netzwerks. Weiter schwächte die THS bestimmte pathologische, Parkinson-spezifische Verbindungen und normalisierte das Netzwerkprofil in Richtung gesunder Kontrollen.
In manchen Fällen kommt es durch THS zu Nebenwirkungen wie Gedächtnisstörungen, Stimmungsschwankungen oder Koordinationsverlust, ohne dass sich die Symptome wesentlich bessern. Forscher der Washington University School of Medicine in St. Louis sind diesem Geheimnis vor kurzem ein Stück weit auf die Spur gekommen, indem sie ebenfalls mit Hilfe einer präzisen funktionellen MRT für zehn Personen individuelle 3D-Karten der funktionellen Netzwerke in den Basalganglien und im Thalamus für das Sehen, die Motorik, Aufmerksamkeit, zielgerichtetes Verhalten und in Ruhe erstellt haben.
Dabei konnten sie individuell variable und konservierte Merkmale identifizieren, die eine Erklärung dafür liefern, warum es manchmal zu unterschiedlichen Ergebnissen kommt: Die Elektroden für die THS werden an Knotenpunkten positioniert, an denen sich neurologische Netzwerke kreuzen und Informationen austauschen. Diese Netzwerke sind jedoch individuell minimal unterschiedlich positioniert, sodass Elektroden, die anatomisch korrekt sitzen, bei verschiedenen Personen unterschiedliche Netzwerke beeinflussen können.
Die motorische Integrationszone, in der Motorik und zielgerichtetes Handeln zusammentreffen, befand sich bei allen zehn Personen an der gleichen Stelle, während andere Netzwerke und ihre Schnittpunkte von Person zu Person unterschiedlich positioniert waren. Solche individuellen Kartierungen könnten zukünftig dabei helfen, die Elektroden noch genauer zu platzieren, so dass die Therapie bei mehr Menschen erfolgreich ist und weitere Indikationen zugänglich werden. Der Beweis, dass die Ergebnisse der THS mit individuellen funktionellen Netzwerken assoziiert sind, steht allerdings noch aus.
Die THS hebt die Lebensqualität vieler Parkinson-Patienten ganz erheblich. Kühn beschreibt, dass viele ihrer Patienten von einem „zweiten Leben“ sprechen: „Sie nehmen wieder aktiv am Leben teil, was sie vorher nicht mehr konnten.“ Dies wurde auch bei dem Projekt „Printed by Parkinsons“ deutlich, das in der Charité durchgeführt wurde: Ein Patient schildert beispielsweise, dass er nach der OP mit dem Klettern begonnen hat. Ein weiterer Patient berichtet, dass er bei fast allen Alltagstätigkeiten Hilfe benötigte und nun wieder Spaß am Leben hat, weil er selbständig ist und seinen Hobbys nachgehen kann.
Kühn hält die THS für Parkinson-Patienten unter 70 Jahren, die nicht mehr mit Medikamenten zurechtkommen, für eine gute Option, die noch zu wenig angewendet wird. „Die Patienten profitieren extrem von der Therapie, und zudem sparen sie viele Medikamente ein, die Nebenwirkungen haben und einen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Krankheit haben.“ Ob die Therapie im Einzelfall geeignet ist, kann nach Überweisung in spezialisierte Zentren geprüft werden.
Bildquelle: Jesse van Vliet, flickr