Den Wunsch nach einer Schamlippenkorrektur oder einer Brustvergrößerung höre ich als Gynäkologin nicht selten. Wann man als Arzt einen solchen Wunsch erfüllen sollte und wann nicht, ist eine schwierige Frage.
Den Begriff Enhancement kennt man in der Medizin in erster Linie aus der Radiologie. Mittlerweile wird er auch im Zusammenhang von Optimierungsvorgängen gebraucht, die menschliche Leistungsfähigkeiten und insbesondere das äußerliche Erscheinungsbild betreffen. Mediziner sprechen von ästhetischer Medizin, im Volksmund verwendet man den wertenden Begriff der Schönheitschirurgie.
In der Gynäkologie streift man diesen mitunter heiklen Bereich immer wieder im Routinealltag. Nicht selten artikulieren Frauen ihre Unzufriedenheit mit Größe und Form der eigenen Oberweite. Wenn es um eine Stillempfehlung kurz vor der Entbindung geht, werden Befürchtungen laut, dass die Brust dann hinterher nicht mehr attraktiv sei. Aus Furcht vor vermeintlichen Beckenbodenschäden ist man dann auch schnell beim Thema Wunschkaiserschnitt. In der Adoleszenz empfinden Patientinnen das Wachstum der äußeren Schamlippen manchmal als überproportional und fragen nach Korrekturmöglichkeiten. Hin und wieder ist auch eine Hymen-Rekonstruktion aus kulturellem Hintergrund Thema.
Plastisch-operative und rekonstruktive Eingriffe an der Brust nach Karzinomoperationen stehen außerhalb der Diskussion und sind Bestandteil der adjuvanten Therapie. Für eine aus psychosomatischer Sicht geglückte Verarbeitung einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung, ist ein zufriedenstellendes äußeres Erscheinungsbild unerlässlich. Hierbei sei aber angemerkt, dass bei weitem nicht alle Frauen nach Mastektomie einen operativen Wiederaufbau anstreben, sondern oft gut mit einer Prothese klarkommen. Der Großteil aller Mammakarzinom-Patientinnen erhält heute eine brusterhaltende Therapie mit meist sehr guten kosmetischen Ergebnissen.
Weiterhin gibt es Mammafehlbildungen (1), die sehr ausgeprägt sind und deren operative Korrekturen von den Krankenkassen größtenteils übernommen werden. Darunter fällt eine ausgeprägte Brustasymmetrie oder eine anlagebedingte Mammaaplasie wie das Poland-Syndrom. Die tubuläre Brust ist eine komplexe uni- oder bilaterale Fehlbildung. Bei Wunsch nach Fehlbildungskorrektur kommen auto- und heterologe Augmentationsverfahren in Frage. Eine Makromastie kann zu körperlichen Beschwerden mit Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich, Ekzemen in den Submammärfalten und Schnürfurchen führen. Von den meisten Krankenkassen wird ein Resektionsgewicht von mehr als 500 g pro Seite als medizinisch indizierte Brustverkleinerung angesehen (2).
In allen Fällen gilt, dass die Kostenübernahme einer operativen Korrektur zwingend präoperativ mit der Krankenkasse abzuklären ist. Außerdem sollten rekonstruktive und plastisch-operative Brustoperationen nur durch speziell ausgebildete Gynäkologen oder plastische Chirurgen erfolgen.
Wie verhält es sich aber bei Wünschen nach operativen Eingriffen, die auf den ersten Blick keine medizinische Notwendigkeit haben? Und wer bestimmt, wo die Grenze zu ziehen ist?
Ich denke an eine junge Frau aus der Sprechstunde, die keine sexuelle Beziehung eingehen konnte, weil sie ihre Brustgröße für viel zu klein hielt. Dadurch war sie in eine psychosomatische Krankheitskaskade hineingeraten. Aus meiner Sicht passten Form und Größe der Oberweite ästhetisch optimal zum grazilen Habitus der Frau, eine Augmentation hätte das Körperbild in meinen Augen zerstört. Andererseits ist das eigene Selbstbild individuell und es stellt sich die Frage, inwiefern Schönheit überhaupt ein objektiver Begriff ist. Meine Patientin blieb bei der Überzeugung, dass nur eine Brustvergrößerung ihrer Not Abhilfe schaffen könnte, und stellt sich bei einem plastischen Chirurgen vor. Leider habe ich das Ergebnis nicht gesehen.
Auf der anderen Seite gibt es Patientinnen, die Hinweise auf offensichtliche Abweichungen des normalen Köperbildes völlig ausblenden. Spricht man das gesundheitliche Risiko einer Adipositas an, der ästhetische Aspekt ist dabei oft nur ein Randthema, begibt man sich nicht selten auf ein gewaltiges kommunikatives Minenfeld. Diese Gespräche erfordern viel Sensibilität und Taktgefühl.
Professor Giovanni Maio, Medizinethiker an der Universität Freiburg, widmet in seinem Lehrbuch „Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin“ (3), ein ganzes Kapitel dem Thema „Enhancement und wunscherfüllende Medizin“.
Ganz allgemein warnt er zunächst einmal vor einem gewissen Konformitätsdruck, der aus Angst vor sozialer Benachteiligung den Weg zum ästhetischen Chirurgen wählen lässt: „In jedem Fall müsste einer Medizin, die sich als helfend versteht, eher daran gelegen sein, das Selbstvertrauen zu stärken, als diese Menschen noch dabei zu unterstützen, dem Konformitätsdruck nachzugeben.“ Für den bekannten Medizinethiker ist Attraktivität und Schönheit zwar etwas, was mit der äußeren Form korreliert, aber für ihn spielen Ausstrahlung und Natürlichkeit einer Person eine ebenso wichtige Rolle. „Wer Schönheit nur mit einer bestimmten äußeren Form in Verbindung bringt, zeigt damit ein reduktionistisches Verständnis von Schönheit. Schönheit ist letztlich das, was der ganze Mensch zum Ausdruck bringt, also nicht die Form allein“, so Maio.
Er bekräftigt dies noch, indem er darlegt, dass Schönheit als Äußerlichkeit mittlerweile zur Ware geworden sei, und die ästhetische Medizin nutze diese gesellschaftliche Entwicklung zu ihrem eigenen finanziellen Vorteil aus, anstatt zu erkennen, dass Schönsein auch immer etwas mit der Unverwechselbarkeit des Einzelnen zu tun hat. Besonders gut hat mir sein abschließender Gedanke gefallen: Ohne eine Grundhaltung der Dankbarkeit für den Sinn und den Wert des bereits Gegebenen, so Maio, wird es dem Menschen schwerfallen, so etwas wie Erfüllung zu finden. „Je mehr optimiert wird und je mehr damit das Gefühl der Dankbarkeit für das Gegebene ausgeklammert wird, desto mehr wird der Mensch in eine Tretmühle gezwungen, in der es nie ein Genug gibt.“
Dabei kommen mir Patientinnen aus der Mammakarzinom-Nachsorge in den Sinn, die immer wieder davon berichten, wie gerne sie ihre ursprüngliche Brust zurückerhalten würden, trotz heute ästhetisch sehr guter Ergebnisse.
Spannend finde ich den Gedanken, inwiefern Enhancement etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Menschen, die äußerlich attraktiv sind, haben in Konkurrenzsituationen meist die besseren Chancen. Wäre Enhancement der gerechte Ausgleich?
Privatdozent Jan-Christoph Heilinger ist akademischer Geschäftsführer des Kompetenzzentrums Ethik an der Universität München. Er beschreibt die Situation folgendermaßen (4):
„Außerdem ist Enhancement mit Blick auf Gerechtigkeitsstandards zu bewerten: Sind solche Interventionen nicht immer ein Luxusgut, für das knappe Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen, verbraucht werden? Haben nicht ohnehin nur diejenigen Zugang zu Enhancement-Optionen, die gesellschaftlich bessergestellt sind und die damit ihre privilegierte Position noch weiter ausbauen? Eine bereits bestehende soziale Kluft könnte durch Enhancement somit weiter vergrößert werden. Gerechtigkeitsüberlegungen könnten aber auch für den Einsatz von Enhancement sprechen: Wenn etwa mit Hilfe von Biotechnologien denjenigen, die von der Natur eher benachteiligt wurden, ohne aber aus medizinischer Sicht behandlungsbedürftig zu sein, zu einer deutlichen Steigerung ihrer Fähigkeiten verholfen werden kann. So könnten bestehende Ungerechtigkeiten verringert werden.“
„Das Große ist nicht, dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein.“(Sören Kierkegaard)
Quellen:
Bildquelle: . liane ., Unsplash