Beim Thema Herzerkrankungen stehen Frauen schlecht da. In der kardiovaskulären Sekundärprävention erhalten sie seltener eine angemessene Therapie als Männer. Der Grund scheint banal zu sein: Sie werden weniger häufig behandelt.
In einer retrospektiven Kohortenstudie untersuchten die kanadischen Forscher um Dr. Kate Smolina von der University of British Columbia, Vancouver, verknüpfte Datensätze von 12.261 Patienten, die zwischen 2007 und 2009 aufgrund eines akuten Myokardinfarkts (AMI) ins Krankenhaus eingeliefert wurden und anschließend mindestens ein Jahr lang überlebten. Insbesondere jüngere Frauen (20 bis 54 Jahre) begannen signifikant seltener eine angemessene Pharmakotherapie mit Beta-Blockern, ACE-Inhibitoren/ARBs und Statinen als Männer. Die Therapieadhärenz unterschied sich dagegen kaum - sie lag bei beiden Geschlechtern zwischen 42 und 50 Prozent. Ein Jahr nach der Entlassung erhielt nur etwa ein Drittel aller AMI-Überlebenden eine optimale Therapie, was dafür spricht, dass weitere Optimierungen im Therapiemanagement von Post-AMI Patienten notwendig sind, um die Adhärenz zu verbessern. Die Ursachen für die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Behandlungsbeginn lassen die Daten der Studie jedoch offen. „Es gibt zwei mögliche Gründe dafür, warum Frauen außerhalb der Klinik weniger kardiovaskuläre Medikamente nehmen als Männer“, erklärt Dr. Smolina. „Es ist entweder eine Folge des Verschreibungsverhaltens der Ärzte oder die Patienten nehmen die ihnen verordneten Medikamente nicht – oder beides.“ Trotzdem sind die Forscher davon überzeugt, dass es notwendig ist, verstärkt das Augenmerk auf die schlechtere Versorgung von jungen Herzinfarkt-Patientinnen zu richten. „Es ist sowohl für Ärzte als auch Patienten wichtig, sich von der traditionellen Idee zu verabschieden, dass Herzerkrankungen Männer-Krankheiten sind“, so Smolina. „Herzerkrankungen haben erst seit kurzer Zeit die Aufmerksamkeit der Forschung erhalten, sodass es möglich ist, dass Ärzte und Patienten noch immer der falschen Vorstellung unterliegen, dass diese Herzmedikamente Risiken für jüngere Frauen bergen.“
Die nun veröffentlichte Studie ist nicht die erste, die zeigt, dass gerade junge Frauen seltener wichtige Herzmedikamente erhalten. Die Unterschiede beginnen bereits bei der Primärprävention, setzen sich bei der Versorgung im Krankenhaus fort [Paywall] und bestehen auch [Paywall] bei der Sekundärprävention weiter. Doch die geschlechtsspezifischen Unterschiede betreffen nicht nur die Medikation: Bei Frauen mit STEMI dauert es beispielsweise deutlich länger, bis eine Reperfusionstherapie (Fibrinolyse oder primäre PCI) erfolgt. Kein Wunder also, dass AMI-Patientinnen noch immer eine höhere Hospitalsterblichkeit aufweisen als männliche AMI-Patienten. Bei Patientinnen mit Verdacht auf akuten Myokardinfarkt wird außerdem seltener eine invasive Diagnostik mittels Koronarangiographie durchgeführt, obwohl diese mit einer geringeren 5-Jahres-Mortalitätsrate einhergeht. Zudem ist es bei der kardiologischen Rehabilitation wichtig, geschlechtsspezifische Bedürfnisse zu berücksichtigen. Frauen leiden beispielsweise nach einem Myokardinfarkt häufiger unter depressiven Symptomen, Angst und resignativem Verhalten. Doch das Problem der geschlechtsspezifischen Versorgung fängt bereits beim differenziellen [Paywall] Einfluss von Risikofaktoren an. Erhöhte Triglyzeridwerte (≥ 150 mg/dl), Diabetes mellitus und Rauchen beispielsweise haben für Frauen deutlich schädlichere Auswirkungen als für Männer, während z. B. hohe HDL-Cholesterinwerte stärker protektiv wirken. Und auch bei der Diagnose sind wichtige Unterschiede zu beachten: Obwohl sowohl Männer als auch Frauen bei einem akuten Koronarsyndrom typischerweise über Brustschmerz klagen, ist das Beschwerdebild bei Frauen häufig facettenreicher und beinhaltet beispielsweise Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit, Rückenschmerzen oder Schweißausbrüche. Das breite Beschwerdespektrum erschwert die Diagnose und ist einer der Gründe dafür, warum es bei Frauen häufiger zu Fehldiagnosen und verspäteten Krankenhauseinweisungen kommt.
Dass Frauen nicht einfach weibliche Männer sind, zeigt sich auch bei der Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen. Beispielsweise ist bekannt, dass die Geschlechter unterschiedlich auf bestimmte Medikamente ansprechen: Klasse 3-Antiarrhythmika (Kaliumkanalblocker) führen bei Frauen häufiger zu Nebenwirkungen in Form von malignen Arrhythmien. Außerdem treten bei Frauen häufiger Blutungskomplikationen auf als bei Männern, was bei der Wahl der Antikoagulation eine Rolle spielt. Doch nicht alles schlägt bei Frauen schlechter an, es gibt auch bestimmte Therapieformen, die bei Frauen bessere Ergebnisse liefern: Beispielsweise sprechen Frauen mit Herzinsuffizienz und Linksschenkelblock besser als Männer auf eine kardiale Resynchronisationstherapie (CRT) an – und das sogar weitgehend unabhängig von der QRS-Dauer, während Männer nur bei einer QRS-Dauer ≥ 150 ms eine hohe Ansprechrate aufweisen [Paywall]. Dies wirkt sich auch auf die Mortalität aus: Frauen mit Herzinsuffizienz und Linksschenkelblock profitieren stärker von einer CRT-Implantation als Männern. Es ist daher sehr bedauerlich, dass CRT-Systeme trotzdem noch immer häufiger bei Männern als bei Frauen zum Einsatz kommen. Doch nicht nur das Herz von Frauen reagiert anders als das von Männern, die Geschlechter unterscheiden sich auch im Hinblick auf die Pharmakokinetik. Ursachen der unterschiedlichen Verstoffwechselung von Wirkstoffen sind:
Aus diesem Grund kann beispielsweise bei Herzglykosiden und Gerinnungshemmern eine Dosisanpassung erforderlich sein, die über eine reine Anpassung an das Körpergewicht hinausgeht. Bei Beta-Blockern ist zu Beginn der Therapie zwar eine Dosistitration angezeigt, doch trotzdem werden sie bei Frauen im Vergleich zu Männern aufgrund der unterschiedlichen Bioverfügbarkeit häufiger überdosiert.
Das Ziel der geschlechtsspezifischen Medizin besteht jedoch nicht einfach nur darin, Frauen besser zu versorgen, sondern es geht vor allem darum, auf Besonderheiten von Erkrankungen bei Männern und Frauen aufmerksam zu machen, die zugrundeliegenden Ursachen für die geschlechtsspezifischen Unterschiede zu erforschen und sicherzustellen, dass Präventions- und Therapiemaßnahmen angemessen auf die Geschlechter abgestimmt werden. „Wir gehen davon aus, dass es wichtig ist, dass wir Männer und Frauen differenziert betrachten, und dass wir bei beiden die Probleme ihrer Erkrankung als geschlechtsspezifische Probleme wahrnehmen“, erläutert Prof. Vera Regitz-Zagrosek, Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung in der Medizin (GiM) an der Berliner Charité. „Gendermedizin ist nicht Frauenmedizin – sie will einfach, dass beide Geschlechter adäquat berücksichtigt werden.“