Der Hype um das Mikrobiom nimmt kein Ende. Im Gegenteil: Immer mehr Anbieter verkaufen Mikrobiom-Stuhltests. Anhand der Ergebnisse soll es möglich sein, das perfekte Essverhalten zu entwickeln und so Krankheiten vorzubeugen. Die Realität sieht anders aus.
Zeig mir deinen Stuhl und ich sage dir, was du essen sollst. Nach diesem Prinzip soll ein käuflicher Stuhl-Test funktionieren, der die individuelle Zusammensetzung des Mikrobioms analysiert und dann voraussagt, mit welcher Ernährung sich Krankheitsrisiken minimieren lassen und der Stoffwechsel optimal arbeitet. Auch im wissenschaftlichen Bereich gibt es immer mehr Studien, die dafür sprechen, dass sich das Darmmikrobiom auf Bereiche wie den Glukosestoffwechsel und die Insulinsekretion auswirkt. Welchen Nutzen haben Analysen des Darmmikrobioms tatsächlich für Patienten? Ein Überlick über bislang gesicherte Erkenntnisse.
Auf dem Gebiet der Forschung lassen Ergebnisse der viel beachteten Studie von Zeevi et al. auf personalisierte Ernährungsempfehlungen hoffen. Die Forscher nutzten „Shotgun Metagenomics“. Eine Methode, die Rückschlüsse auf Vielfalt, Diversität und Stoffwechselleistungen der Mikroorganismen in einer Probe zulässt. Sie zeigten damit, dass die Blutglukosekonzentrationen ihrer 800 Probanden nach dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel individuell unterschiedlich hoch waren, und dass dieser Effekt mit der Diversität und Qualität des Darmmikrobioms der Testpersonen im Zusammenhang stand. Demnach hatte z. B. Pizza auf manche Testpersonen weniger gesundheitlich nachteilige Auswirkungen als auf andere Probanden. Dies spricht dafür, dass sich neben den genetischen Voraussetzungen, dem Lebensstil und der Insulinsensitivität auch die Zusammensetzung des Darmmikrobioms auf den Glukosestoffwechsel auswirkt. Mikrobiome werden mittlerweile per Hochdurchsatzsequenzierung in Echtzeit untersucht und ergeben eine Datenfülle, die nur mit bioinformatischen Methoden auswertbar ist. Diese Methoden werden immer besser, beispielsweise können durch die Entwicklung von selbstlernenden Programmen aus den riesigen Datenmengen individuelle Muster, aber auch einzelne Spezies identifiziert werden, die mit bestimmten Krankheiten in Verbindung gebracht werden. Vorgehensweise bei der Mikrobiomanalyse. ©Emmagraham505 [CC BY-SA 4.0], Wikimedia Commons, adaptiert von K. Zoufal
Immer mehr Studien deuten darauf hin, dass die etwa zwei Kilogramm Bakterien, die den Darm eines Menschen besiedeln, einen wesentlich größeren Einfluss auf das Körpergewicht und die Gesundheit haben als bislang gedacht. Bekannt ist, dass diese für uns Vitamine und Cofaktoren herstellen. Mikrobiomanalysen haben dieses Wissen deutlich erweitert und lassen Assoziationen mit dem Körpergewicht erkennen: Beispielsweise ist die Art Akkermansia muciniphila bei Adipositas und Insulinresistenz seltener zu finden. Auch gibt es Hinweise, dass bakterielle Stoffwechselprodukte das Gewicht eines Menschen beeinflussen. Propionat, das Salz einer kurzkettigen Fettsäure, die Darmmikrobiota aus pflanzlichen Ballaststoffen produziert, hat positive Effekte auf das Körpergewicht und die Insulinsekretion. Sekundäre Gallensäuren werden ebenfalls von Darmbakterien gebildet und beeinflussen den Energiehaushalt. Auch mit einer Reihe von anderen Erkrankungen wurden Besiedelungsmuster, Bakteriengattungen oder einzelne Spezies in Verbindung gebracht. Beispielsweise werden bestimmte Mikrobiomveränderungen mit Typ 2 Diabetes, kolorektalem Karzinom, rheumatoider Arthritis oder Arteriosklerose assoziiert. Erkrankungen wie Depression, Reizdarm, Autismus, atopische Dermatitis, Fruchtbarkeitsstörungen oder ein erhöhtes Thromboserisiko werden ebenfalls in diesem Zusammenhang genannt.
Geänderte Essgewohnheiten haben schon nach kurzer Zeit deutliche Auswirkungen auf das Mikrobiom. Veränderungen des Gehaltes an Ballaststoffen, Fetten oder Protein beeinflussen das Vorkommen von 30–40 % aller enthaltenen Arten. Zeevi et al. entwickelten in ihrer Studie einen Algorithmus, mit dem sie den individuellen Anstieg des Blutzuckers nach dem Verzehr bestimmter Lebensmittel besser vorhersagen konnten (R = 0,68), als wenn nur der Kohlenhydratgehalt des Lebensmittels berücksichtigt wurde (R = 0,38). Sie stellten anhand der Daten von 800 untersuchten Personen fest, dass es eine Reihe von „Kohlenhydrat-unempfindlichen“ Personen gab, bei denen der Blutzucker auch bei hohem Kohlenhydratgehalt der Nahrung nur wenig anstieg. Diese Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass die Zusammensetzung des Mikrobioms zu individuellen Reaktionen auf Nahrungsmittel führt. Der Idealfall wäre es also, mit dem Einsenden einer Stuhlprobe ganz persönliche Ratschläge zu erhalten, welche Nahrungsmittel der eigenen Gesundheit zuträglich sind und welche nicht. Zahlreiche Anbieter von Stuhl-Mikrobiomtests in Deutschland machen sich das Interesse der breiten Öffentlichkeit am Mikrobiom zunutze. Eingesendete Stuhlproben werden auf ihre mikrobielle Zusammensetzung hin untersucht, und der Kunde bekommt einen mehrseitigen Befund, in dem Diversität, Dysbiose, Mikrobiomtyp und einzelne Artenvorkommen numerisch und grafisch dargestellt werden.
Die meisten Kunden dürften mit der Interpretation der Ergebnisse überfordert und beunruhigt sein, wenn sie erfahren, dass das Resultat nicht optimal ist oder ein erhöhtes Risiko für bestimmte Erkrankungen besteht. Deshalb wird von den Anbietern der Tests meist empfohlen, dies mit einem Arzt oder Apotheker zu besprechen. Andere bieten direkt passende Produkte für die Sanierung des Mikrobioms an und verdienen damit gleich doppelt. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) rät in einer Pressemitteilung klar von Stuhltests zur Analyse des Darm-Mikrobioms ab und bezeichnet sie als „teuer und sinnlos“. Prof. Dr. Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I des Kieler Universitätsklinikums kritisiert: „Man nutzt die Verzweiflung von Menschen aus, um ein Heilsversprechen zu machen, das hinterher nicht eingelöst werden kann.“ Schreiber hält das Vorgehen für eine unnötige Pathologisierung: „Es ist nicht möglich, eine Beziehung zwischen der Zusammensetzung des Mikrobioms und Krankheiten herzustellen. Wir können auch keine gezielten Veränderungen des Mikrobioms erreichen. Es ist derzeit nicht einmal möglich, reproduzierbare Ergebnisse zu erzielen. Es gibt keine Standards und auch keine wie auch immer geartete Qualitätskontrolle.“ Das ist wahrscheinlich der Grund, warum einige Kunden bereits beschrieben haben, dass sie an der Reproduzierbarkeit dieser Tests zweifeln oder unterschiedliche Ergebnisse und Empfehlungen von verschiedenen Anbietern erhalten haben.
So vielversprechend die Ergebnisse einiger wissenschaftlicher Studien auch klingen mögen, auf dem Weg in die Praxis und zu individuellen Ernährungsempfehlungen befindet man sich erst am Anfang. Man weiß heutzutage, dass sich eine vielseitige und ballaststoffreiche Ernährung positiv auf die Diversität der Darmbakterien auswirkt, und dass eine geringe Diversität das Risiko für Infektionen und Entzündungen erhöht. Momentan ist der allgemeine Tenor der aus den Analysen abgeleiteten Ratschlägen jedoch eine altbekannte Weisheit: Esst mehr Obst und Gemüse! In den seltensten Fällen werden wirklich individuelle Vorschläge zur Änderung der Ernährungsweise gemacht. Laut Schreiber „lässt sich keine Beziehung zur Diät herstellen, die über Gemeinplätze und das kleine 1 x 1 der Ökotrophologie hinausgeht.“ Das Potenzial ist aber durchaus groß, Schreiber schätzt: „In 5-10 Jahren werden wirklich reproduzierbare und standardisierte Tests zur Verfügung stehen. Bis zu konkreten Diätempfehlungen wird es vermutlich aber noch 10-20 Jahre dauern.“ Derzeit können Mediziner ihren Patienten aufgrund fehlender wissenschaftlicher Evidenz anhand der Stuhl-Mikrobiomanalysen also kaum mehr als allgemeine Diättipps mit auf den Weg geben. Deshalb werden die Kosten für solche Untersuchungen auch nicht von Krankenkassen übernommen.