Stell dir vor, eine Studie wurde gerade veröffentlicht. Die Ergebnisse sind bahnbrechend. Du willst einen Blick hineinwerfen. Und dann liest du dieses eine lästige Wort.
Das Wort heißt: Paywall. Dadurch wird interdisziplinäres, wissenschaftliches Arbeiten an vielen Stellen unmöglich gemacht – oder zumindest deutlich erschwert. Dann nämlich, wenn Studien und Forschungsergebnisse hinter einer Paywall verschlossen sind. So kritisiert unter anderem die britische Tageszeitung The Guardian den Stand der Dinge im Bereich Scientific Publishing und fordert mehr freie Zugänge zu internationalen Forschungsergebnissen.
„Wissenschaftlicher Fortschritt wird momentan durch eine Sache vereitelt: Paywalls“, schreibt Jason Schmitt, Experte für Open Access und Online Education, in seinem Artikel mit dem vollmundigen, aber deutlichen Titel „Paywalls blockieren wissenschaftlichen Fortschritt. Forschung sollte jedem zugänglich sein.“ Jedes Jahr würden über den durch Paywalls geblockten Content fast 20 Milliarden Pfund (ca. 23 Milliarden Euro) von Forschung und Lehre an profitorientierte Verlage gehen, so Schmitt.
Diese Kosten entstehen durch die Abonnements von Journals. Denn Universitäten und Bibliotheken müssen ihren Studenten und Mitarbeiten möglichst alle dieser Fachmagazine zur Verfügung stellen können. Dabei gibt es aber zwei Probleme: Zum einen erscheint jedes Paper, in der Regel, immer nur in einem Magazin. Für die Institutionen besteht aber die Notwendigkeit, möglichst viel für Studenten, Forschung und Lehre abbilden zu können. Und dann ist da zum anderen auch der Zwang, aktuell, relevant und prestigeträchtig zu bleiben. Abos entsprechender Journals erscheinen hier als ein Muss.
So werde praktisch jeder Preis, den Verlage aufrufen, gezahlt, heißt es in einer Analyse von Priceonomics. Die Folge: Preise für Abos von Journals seien in den vergangenen Jahren um über 600 % gestiegen. Drei große Verlage beherrschen den Markt; namentlich sind es Elsevier, Springer und Wiley, die etwa 42 % aller wissenschaftlichen Publikationen im Bereich Wissenschaft, Technik und Medizin veröffentlichen. Der Markt ist inzwischen milliardenschwer.
Auf Basis dieser Zahlen lässt sich hochrechnen: Die Einnahmen des wissenschaftlichen Verlagswesens rangieren zwischen der Musik- und Filmbranche. Allerdings seien sie dabei deutlich unter deren Ausgaben, heißt es schon in einem älteren Beitrag des Guardian. Der größte der drei Riesen, Elsevier, habe 2010 eine Gewinnmarge von 36 % feiern können – das ist deutlich mehr als Google, Amazon oder Apple für das Jahr angaben. Der Verlag fuhr mit knapp 2 Milliarden Pfund an Einnahmen einen Gewinn von über 724 Millionen Pfund ein.
Während die Verlage finanziell erheblich profitieren, werden Universitäten so oft in die paradoxe Situation gedrängt, für die Veröffentlichungen ihrer eigenen Forschungen zusätzlich zahlen zu müssen. Denn in den meisten Fällen stellen sie die Forschungsfonds und Gehälter der Wissenschaftler, die zu den Arbeiten beitragen.
Neben dieser offensichtlichen Problematik gibt es aber auch einen wissenschaftlich-ethischen Aspekt. „Journals haben sich von einem Mittel, um Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, in einen Marker für Prestige verwandelt. Die wichtigste Qualifikation eines Wissenschaftlers ist heutzutage die Historie seiner Veröffentlichungen“, schreibt Alex Mayyasi, ehemaliger Datenjournalist, in einem Artikel zu Paywalls. Doch auch falscher Stolz und die Angst, von einer anderen Art der Veröffentlichung nicht profitieren zu können, treibe Forscher immer wieder in diese Falle.
Kritiker der Bezahlhürde betonen immer wieder, dass die Vernetzung über ein flexibles und freies Internet eigentlich ein Segen für Wissenschaft und Bildung sei. Wissen sei schneller, leichter und damit billiger verfügbar, als noch vor einigen Jahren.
Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, reagierte zum Beispiel Elsevier abwiegelnd, berichtet Mayyasi: Die Preise und damit verbundenen hohen Gewinne seien gerechtfertigt, man beschäftige schließlich hochqualifiziertes Personal zur Editierung und verwende komplexe Verfahren für Dinge wie Formatierung, Druck und Verbreitung der Texte.
Eine Investorenanalyse der Deutschen Bank deckt das Widersprüchliche dieser Argumente auf. „Wir versuchen nicht, die Arbeit der 7.000 Mitarbeiter von REL [Reed Elsevier] klein zu machen. Wir beobachten nur, dass, wenn dieser Prozess wirklich so komplex, kostenintensiv und wertschöpfend wäre, wie der Verlag behauptet, eine 40 % Gewinnmarge nicht verfügbar wäre“, heißt es dort.
Besonders prekär: Das eigentliche Redigieren der meisten Artikel erfolge über Peer Reviews, schreibt der Guardian. Damit ist die freiwillige und kostenlose Arbeit von Wissenschaftlern gemeint, die die Beiträge ihrer Kollegen gegenlesen und dabei sowohl inhaltlich als auch grammatikalisch überprüfen. Bei ihnen landet das Geld also nicht.
Schon seit einiger Zeit können sich selbst die wohlhabendsten Universitäten, darunter die Harvard University, nicht mehr alle Abonnements zu wissenschaftlichen Journals leisten. Hier muss ebenso dringend ein Umdenken stattfinden wie in den Köpfen der Forscher, die eine Veröffentlichung in einem namhaften Journal als erstes und vielleicht einzig wichtiges Ziel ihrer Arbeit sehen.
Natürlich müsste dafür erst ein Anreiz geschaffen werden – modernes Forschen muss sich modernen Verhältnissen anpassen und dafür den jahrhundertealten Rahmen der journalgebundenen Veröffentlichungen sprengen. Dazu gibt es verschiedene Ansätze. Möglich wäre zum Beispiel eine Art Flatrate, mit der man mehrere Journals auf einmal abonnieren könnte.
Das gibt es in ähnlicher Form zwar schon, doch das Konzept ist verbesserungswürdig. Denn momentan protitieren vom Bündeln der Abos wieder nur die Verlage. Sie verbinden dabei unbeliebtere Journals, die sie sonst nur schwer an den Leser bringen könnten, mit renommierten Fachpublikationen.
Kritiker bemängeln zurecht, dass Universitäten so gezwungen seien, weniger nützliche und kaum prestigeträchtige Veröffentlichungen kaufen zu müssen, um an relevante und für die eigene Arbeit unabdingbare Texte zu kommen.
Wie auch immer die Lösung aussehen könnte: Ein Anfang wäre das Einreißen der Bezahlmauer.
Bildquelle: Nijwam Swargiary, unsplash