Ein Kleinkind wird wegen akutem Abdomen in eine Kinderklinik überwiesen. Wie sich herausstellt, ist es nur eine Obstipation. Für solche unklaren Fälle gibt es zum Glück Kinderärzte. Zumindest im Moment noch.
Der Druck, der auf Kinderkrankenhäusern und Kinderärzten lastet, ist enorm. Es fehlt an Nachwuchs und viele Kliniken schließen oder müssen drastisch einsparen. Das hat dramatische Konsequenzen. Welche das sind, erklärt ein betroffener Arzt im Gespräch mit den DocCheck News.
In Deutschland praktizieren um die 15.000 Kinderärzte, rund 5000 davon in Kliniken. Viele allgemeinpädiatrische Krankenhäuser haben es schwer, wirtschaftlich zu arbeiten. Die Zahl der Kinderkliniken ging innerhalb der letzten 20 Jahre kontinuierlich zurück. Vor allem die Einführung der vieldiskutierten Fallpauschale im Jahr 2004 brachte die Pädiatrie in finanzielle Schwierigkeiten. Die Medizin für Erwachsene ist eben anders als die Pädiatrie. In den beiden Bereichen wird zum Teil völlig unterschiedlich diagnostiziert und behandelt, das wirkt sich bei der Abrechnung oft zum Nachteil für Kinderärzte aus.
Was bedeutet das konkret für die Versorgung unserer Kinder? Und unter welchem Druck stehen dadurch die Kinderärzte?
Besonders die kleineren Häuser, welche allgemeinpädiatrische Abteilungen haben, und nicht noch Frühchen-Medizin betreiben, spüren den Kostendruck. Ein Kind ist eben nicht einfach nur ein kleiner Erwachsener. Die Herangehensweise, gerade in der Diagnostik, unterscheidet sich zum Teil erheblich von der bei Erwachsenen. Mal schnell Blut abnehmen? Kann auch mal 20 Minuten dauern. Was genau tut dem Patienten weh? Können Kinder leider oft nicht beschreiben. Kurz ein MRT machen? Geht nur unter Sedierung. Bei der Behandlung von Kindern muss man Vieles beachten. Aber warum sieht das die Politik nicht?
„Die Kinderheilkunde lebt viel von der Kommunikation und Beobachtung, gerade in der Allgemeinpädiatrie" beschreibt Andreas Klein, Assistenzarzt in einer Klinik für Kinder und Jugendliche, das Problem. „Dort ist nur wenig interventionell zu tun und damit hauptsächlich Dinge, die schlecht bezahlt und nicht vernünftig von den Kassen berücksichtigt werden.“
Er sieht als mögliche Folge ein strukturelles Problem. „Durch die Schließung vieler Stationen, muss natürlich viel von den ambulanten Praxen abgefangen werden. Oft haben sie es schwer, wenn sie Kinder einweisen wollen, da die Kliniken insbesondere im Winter schon voll sind.“ Aus seiner Sicht ist ein weiteres Ergebnis der vielen Schließungen von Kinderkrankenhäusern auch ein Mangel an Ausbildungsstätten für angehende Kinderärzte. Somit komme es eben auch im Bereich der ambulanten Kinderarztpraxen, insbesondere in den ländlichen Regionen, zu Personalmangel und damit auf die Dauer zu einer Unterversorgung.
Wenn es nicht mehr genügend Kinderärzte gibt, müssen die Kollegen Allgemeinmediziner eben ran. Das ist jedoch für die Versorgung der Kinder nicht ganz optimal, so Klein. „Nicht umsonst wird sich in der Medizin immer weiter spezialisiert. Es gibt ganz eigene Erkrankungen und eine spezielle Vorsorge.“
Er erinnert sich an einen konkreten Fall: „Es gibt einfach viele Dinge, die können Hausärzte oft nicht so gut beurteilen, weil man hierfür viele Kinder gesehen haben muss. So kam es auch mal vor, dass ein Kleinkind mit der Diagnose Akutes Abdomen von Internisten überwiesen wurde. Letztendlich handelte es sich um eine simple Verstopfung.“ Als weiteres Beispiel nennt der Arzt das azetonämische Erbrechen, das so manchen Internisten ratlos machen könnte. Dabei handelt es sich um heftige Brechanfälle, welche ohne erkennbare pathologische Ursache auftreten.
Klein erklärt es so: „Kinder können bei einem Mangel an Kohlenhydraten verstärkt Ketonkörper bilden, welche ein erstes Erbrechen auslösen. Es kommt zum Elektrolytverlust und zur Übersäuerung. Im Zuge dessen bilden sich weitere Ketonkörper, welche dann erneutes Erbrechen auslösen. Ein Teufelskreis, der ganz einfach durch Infusionen durchbrochen werden kann. Wenn man es weiß. „Wenn es keine flächendeckende Versorgung im Bereich der Kinderheilkunde mehr gibt, ist die Gesundheit und die Versorgung von Kindern deutlich eingeschränkt.“
Doch nicht nur die Kinderärzte in den ambulanten Praxen, haben mittlerweile Schwierigkeiten, die hohe Patientenzahl zu bewältigen. Auch an den Kinderkliniken und auf den pädiatrischen Abteilungen setzt die Politik eher auf Masse statt Klasse. So reduzierten viele Ober- und Assistenzärzte ihre Arbeitszeit, da die Arbeitsbelastung so groß geworden sei, dass eine volle Stelle kaum noch zu bewältigen sei, so Klein. „Wenn man Familie hat, gilt das sowieso, aber auch Ärzte ohne Familie reduzieren ihre Arbeitszeit immer häufiger, wegen der hohen Arbeitsbelastung.“ Um genau das zu vermeiden, schlägt der Assistenzarzt folgendes vor: „Meiner Meinung nach wäre auch ein ärztlicher Betreuungsschlüssel angebracht, da es zur Zeit nur einen Personalschlüssel in der Pflege gibt, der ja zu Recht auch immer wieder angepasst wird. Warum es diesen jedoch nicht für ärztliches Personal gibt und ein Arzt im Prinzip unendlich viele Patienten versorgen soll, kann nicht gut gehen und geht auch jetzt schon oft nicht gut.“ Für die Kliniken sei dies natürlich ein Gewinn, da sie Personal haben, welches in weniger Zeit mehr arbeite, und somit entsprechend günstig sei. Eine Kontinuität, wie sie gerade für Kinder von Vorteil wäre, bliebe so aber auf der Strecke.
Was müsste also passieren, um diesen Abwärtstrend zu stoppen? Klein nennt hier zwei zentrale Punkte: Mehr Geld und einen Puffer an Betten. „Eine ausreichende Finanzierung der Pädiatrie und ein Vorhalten der nötigen Bettenkapazität wären wichtig. Durch die saisonalen Schwankungen ist dies natürlich nicht so einfach. Es sollte aber auch einfach nicht so sein, dass es in einem Land wie Deutschland im Winter zu einer Unterversorgung kommt, weil alle Betten belegt sind und die Notaufnahme überfüllt ist. Es kann nicht sein, dass wir eigentlich stationäre Patienten eine ganze Nacht in der Notaufnahme parken müssen, weil nirgendwo Platz ist.“ Klein findet, dass neue Zeiten auch neue Arbeitsmodelle erfordern. Auch auf saisonale Unterschiede müsse man besser eingehen. „Grade in Zeiten, wo viele nur in Teilzeit arbeiten wollen, könnte man Stellen schaffen, die im Sommer weniger und dafür im Winter mehr arbeiten. Stationen, die im Winter mehr Raum in einem Krankenhaus einnehmen können als im Sommer wären nötig. Diese Dinge müsste man strukturell ändern.“
Ob das jedoch in nächster Zeit passieren wird, ist fraglich. Kritisiert werden die vorherrschenden Missstände von Medizinerseite schon seit vielen Jahren, die Politik zeigt sich aber gewohnt träge. So erklärte die bayerische Gesundheitsministerin Huml Ende letzten Jahres dem BR, dass deutschlandweit einige Fallpauschalen für die Behandlung von Kindern bereits angepasst worden seien, dies aber nicht reiche. „Wir müssen das noch weiter ausweiten.“ Nach einem konkreten Vorschlag klingt das noch nicht.
PS: Wer mit der Situation der Kinder- und Jugendmedizin unzufrieden ist, kann eine laufende Petition unterstützen.
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