Die Aufnahme von Licht durch Pigmente in der Netzhaut ist die Grundlage unseres Sehsinns. Der erste photochemische Schritt dieses Prozesses läuft etwa zehnmal schneller ab als bisher angenommen und beruht auf exakt choreographierten, schwingenden Molekülbewegungen.
Der Chromophor im Rhodopsin, Retinal oder auch Vitamin-A-Aldehyd genannt, leitet seine Lichtempfindlichkeit aus einer sich wiederholenden Kette von einzeln und doppelt gebundenen Kohlenstoffatomen ab. Die Absorption eines Photons durch Retinal führt zu einer extrem kurzzeitigen Schwächung einer bestimmten Doppelbindung, wodurch eine Rotation um diese Bindung ausgelöst wird. Wie schnell diese Isomerisierungsreaktion tatsächlich erfolgt, konnte lange Zeit nicht genau beobachtet werden und war im Wesentlichen von den technologischen Fortschritten im Bereich gepulster Laserquellen abhängig. Mit Femtosekunden-Lasern konnte bereits vor einiger Zeit gezeigt werden, dass die Isomerisierung innerhalb von maximal 200 Femtosekunden abläuft und, dass es sich dabei um eine vibrationskohärente chemische Reaktion handeln könnte. Das bedeutet, dass die Schwingungsbewegungen des Chromophors Retinal selbst bei der Steuerung der Isomerisierung mitwirken.
Mithilfe einer hochempfindlichen Methode aus der Ultrakurzzeitspektroskopie, die man heterodyne-detected transient grating spectroscopy nennt, haben Wissenschaftler in den Laboren von Prof. R. J. Dwayne Miller am Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie die Isomerisierungsreaktion von Rinder-Rhodopsin mit beispielloser Empfindlichkeit und vorher unerreichter zeitlicher Auflösung erneut untersucht. Diese neuen Messungen zeigten, dass die Isomerisierung auf einer Zeitskala von 30 Femtosekunden erfolgt. „Es stellt sich heraus, dass der erste Schritt des Sehens beinahe zehnmal schneller ist als bisher angenommen,“ sagt Miller, „und die molekularen Bewegungen sind durch Rhodopsin perfekt choreographiert“. Künstlerische Darstellung der Molekülbewegung in der Netzhaut. © J.M. Harms, MPSD Die Analyse der zeitaufgelösten experimentellen Daten enthüllt diese choreographierte Schwingungsdynamik, die sich aus örtlich begrenzten Streck-, Wipp- und Drehbewegungen zusammensetzt. „Eine solch schnelle Zeitskala stellt eine eindeutige Eingrenzung der vibrationskohärenten Reaktionskoordinate dar,“ sagt Dr. Philip J. M. Johnson, Erstautor der Studie. „Und diese Arbeit lässt darauf schließen, dass die Reaktion lokal an der bestimmten isomerisierenden Doppelbindung angesiedelt ist.“ „Darüber hinaus findet die Isomerisierungsreaktion innerhalb einer einzelnen Periode der relevanten Drehschwingung statt,“ fügt er hinzu. „Der Begriff der vibrationskohärenten chemischen Reaktionen wird mindestens seit den 1930er Jahren verwendet, aber erst jetzt wurden sie eindeutig nachgewiesen.“ Originalpublikation: Local vibrational coherences drive the primary photochemistry of vision Philip J. M. Johnson et al.; Nature Chemistry, doi: 10.1038/nchem.2398; 2015