Letztes Jahr gab es in Deutschland 1.108 Studienanfänger im Fach Veterinärmedizin. 945 von ihnen waren Frauen. Kein Problem, denkt ihr? Vielleicht ist es das aber schon. Eins vorweg: Von einer Männerquote halte ich nichts.
Der „Männer-Mangel“ ist nicht ganz neu in der Tiermedizin. Doch eine Männerquote löst das Problem meiner Meinung nach nicht – weder in der Veterinär- noch in der Humanmedizin. Im Gegenteil: Sie unterstützt ein starres und nicht mehr zeitgemäßes System, das nicht auf Frauen ausgelegt ist. Und dieses System schreit nach Veränderung. Trotzdem frage ich mich, wie es zu dieser Verteilung von Studenten und Studentinnen in der Tiermedizin kommt. Haben Frauen einfach öfter den besseren Abi-Schnitt und bezwingen somit häufiger den NC und das Auswahlverfahren zur Studienzulassung?
Oder ist die Vorstellung von der Tierärztin, die süße Kaninchen und Hundewelpen versorgt und nebenbei den Kindern der Besitzer noch spannende Geschichten zu der jeweiligen Tierart erzählt, so verbreitet, dass der Beruf für junge Männer nicht attraktiv genug wirkt?
Studienbeginn. Mit mir beginnen ca. 250 weitere Abiturienten ein Tiermedizinstudium an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Was mir sofort auffällt: Von uns sind nur geschätzt 15 Prozent männlich. Schon damals finde ich das etwas seltsam.
Das ist nun einige Jahre her, geändert hat sich seitdem nicht viel. Mein Eindruck im Studium war, dass die meisten meiner männlichen Kommilitonen schon einen persönlichen Bezug zum Berufsbild des Tierarztes hatten. Sei es, weil einer ihrer Elternteile bereits Tierarzt war, sie aus einem landwirtschaftlichen Betrieb bzw. Umfeld kamen oder durch professionelles Ausüben des Reitsports. Unter den Frauen gab es durchaus einige, inklusive mir selbst, die vor dem Studium, abgesehen von Praktika, nichts mit dem Tierarztberuf am Hut hatten.
Obwohl, so ganz stimmt das eigentlich nicht. Wenn man es genau nimmt, hatte ich doch einen Verwandten, der Tierarzt war: meinen Urgroßonkel, den ich allerdings erst mit Anfang 20 kennenlernte. Er studierte in den späten 40er Jahren, zusammen mit ca. 500 anderen Männern, und konnte sich eine Frau als Tierärztin nur sehr schwer vorstellen. Bei unserer einzigen Begegnung, ich war damals mitten im Studium, er pensionierter Tierarzt für Rinder, betrachtete er meine schmalen Arme nur kritisch und meinte kopfschüttelnd: „Also damals sind kaum Frauen auf die Idee gekommen, Tierärztin zu werden. Viel zu anstrengend!“
Nun muss man sagen, zum Glück hat sich in den letzten 70 Jahren einiges verändert und das Berufsbild des Tierarztes ist heute wahrscheinlich so vielfältig wie noch nie. Es gibt unzählige Möglichkeiten der praktisch-klinischen Spezialisierung. Während der eine sich auf eine Tierart wie Pferde oder Geflügel spezialisiert, möchte ein anderer sich der Augenheilkunde beim Kleintier oder der Reproduktion beim Rind widmen. Finden kann man Tierärzte beispielsweise auch im Gesundheits- oder Veterinäramt, im Schlachthof, in der Forschung oder in großen Unternehmen. Was ist also der Grund für den Mangel an männlichen Studenten?
Bewerbungsphase vor ein paar Jahren. Ich bin in ein paar Praxen zum Vorstellungsgespräch und Hospitieren eingeladen. Ich betrete die erste Praxis. In einem Telefongespräch vorab klang alles ziemlich gut. Die Inhaberin der Praxis ist selber noch in den Dreißigern und braucht jetzt Unterstützung, da sie die Arbeit alleine nicht mehr gestemmt bekommt. Die Praxis ist modern und gut ausgestattet. Es gibt Terminsprechstunden, das macht den Arbeitsalltag deutlich planbarer.
Nach unserem Rundgang durch die Praxis wurde eine der Tierarzthelferinnen beauftragt, die Tochter aus der Kita abzuholen. Zwanzig Minuten später haben wir also eine 3-jährige Assistentin in der Nachmittagssprechstunde, die uns mit ihrem Wassereis auf Schritt und Tritt durch die Behandlungsräume folgt und zwischendurch auf dem Computermonitor Peppa Wutz schauen darf.
In einer weiteren Praxis hält die junge Tierärztin die erste Hälfte der Sprechstunde mit ihrem vor die Brust gebundenen Säugling ab. Sie ist sehr routiniert und erfahren und man merkt, dass sie lange in einer großen Klinik gearbeitet hat. Ich kann zwischendurch jedoch manchmal nicht hinsehen, aus Angst, einer der nur wenige Zentimeter vom Kopf des Babys entfernten tierischen Patienten könnte doch einmal zuschnappen.
Diese Erfahrungen sind für mich ein Abbild dessen, was viele selbstständige (weibliche) Tierärzte mit Kindern erwartet. Was sollen sie auch tun? Wenn der Partner nicht eine Zeit lang zu Hause bleiben und einen Teil der Care-Arbeit übernehmen kann oder will, wäre die Alternative, die Praxis für diese Zeit zu schließen. Aus betriebswirtschaftlicher und logistischer Sicht undenkbar.
Für viele Tierärzte ist klar: Je eher man es hinbekommt, sein Privatleben in die Praxis zu integrieren, desto eher lässt sich beides stemmen. Nicht umsonst kommt es häufig vor, dass beide Partner in einer Praxis zusammen arbeiten und sich so gegenseitig den Rücken freihalten können. In meinem Umfeld bekomme ich dennoch mit, dass sich manche Kollegen und Kolleginnen eine Veränderung wünschen. Damit sind vor allem flexiblere Arbeitszeiten und eine gewisse Planbarkeit gemeint. Man möchte sich etwa auch mal freitags um 20 Uhr zum Theater verabreden – ohne die Angst, dass man es mal wieder nicht schafft, weil zwei Minuten vor Feierabend doch noch ein Patient hereinschneit.
Ganz zu schweigen davon, dass man pünktlich sein möchte, wenn die Kinder aus der Grundschule oder Kita zurück kommen. So musste die siebenjährige Tochter einer ehemaligen Kollegin öfter mal nach der Schule ein bis zwei Stunden vor dem Fernseher warten, bis sie zusammen Mittag essen konnten. Und das, obwohl die Kollegin nur in Teilzeit arbeitete.
Klar, auch in meiner Traumvorstellung sind Privatleben und Praxis zwei getrennte Bereiche, die nicht ständig miteinander verschwimmen. Das ist aber leichter gesagt, als umgesetzt.
In den sozialen Medien wird die stattfindende Verweiblichung der Tiermedizin ebenfalls viel und oft unter Tierärzten diskutiert. Meistens im Zusammenhang mit dem aktuellen Generationenkonflikt. Die Tierärzte der Generation Babyboomer erreichen so langsam ein Alter, in dem sie ihre Praxen und damit ihr Lebenswerk gerne in die Hände eines jungen, engagierten und dynamischen Tierarztes übergeben wollen. Ihr Problem ist nur: Es gibt zu wenige Abnehmer. Dass manchmal die einzige Lösung darin besteht, ihre Praxis an einen der Großkonzerne und damit an Anicura (Mars) oder Evidensia (Nestlé) zu verkaufen, macht die ganze Sache nicht unbedingt besser.
Für den Nachwuchsmangel werden viele mögliche Gründe vermutet, wenn man sich etwa Diskussionen auf Facebook anschaut oder mit Kollegen darüber spricht. Dazu gehört etwa die fehlende Bereitschaft, eine derart große (finanzielle) Verantwortung auf sich nehmen zu wollen. Auch von unrealistischen Ansprüchen der neuen Generation an Arbeitszeiten und Gehalt ist oft die Rede oder gar von einer unüberlegten und naiven Studienfachwahl.
Am eigenen Leib spüren viele Praxisinhaber: Zu viele Absolventinnen gehen dem praktischen Arbeitsmarkt durch einen Wechsel in andere Berufsfelder mit angenehmeren und planbaren Arbeitszeiten und besseren Gehältern verloren. Andere bleiben gleich sehr lange aufgrund der Familienplanung fern (die auch manchmal belächelnd titulierte „Flucht in die Frucht“) oder arbeiten sogar nie als Tierärztinnen.
Eindrücklich waren für mich auch die Zahlen der Statistik zur Tierärzteschaft der Bundestierärztekammer (BTK), aus denen hervorgeht, dass beispielsweise im Jahr 2018 unter den 906 Tierärzten in Elternzeit nur 8 Männer waren. Der Frauenanteil aller Tierärzte in Deutschland lag in diesem Jahr bei 61 % – ihr Anteil bei den Tierärzten in Elternzeit bei über 99 %. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass sich eben auch unter den angestellten Tierärzten Männer und Frauen leider noch nicht zu gleichen Teilen für die Care-Arbeit zuständig fühlen. Mit eigener Praxis ist ein Fernbleiben natürlich sowieso so gut wie unmöglich.
Was nun? Eine Männerquote bei der Studienplatzverteilung halte ich wie gesagt für wenig hilfreich. Einen ersten Wandel könnte vielleicht die Neuerung im Auswahlverfahren für Studienplätze bedeuten, in dem seit diesem Jahr neben dem Abischnitt auch der sogenannte Medizinertest Vorteile bringt. Denn wie wir alle wissen, machen gute Noten nicht automatisch einen guten Arzt oder Tierarzt aus.
Oder gar eine systematische Umstrukturierung weg von der Einzelpraxis hin zu Gemeinschaftspraxen? Hierbei wären das Risiko und der Arbeits(zeit)aufwand auf mehrere Parteien aufgeteilt.
Die großflächige Übernahme durch Investorengruppen und damit der praktische Tierarzt nur noch als Angestellter? Eine beängstigende Vorstellung, welche aber mit unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen und der Option auf Mutterschutz und Elternzeit Vorteile in Hinsicht auf die Familienplanung mit sich bringen könnnte.
Oder schafft man eine stärkere Unterstützung im Sinne der Familienplanung? Hier könnte man weibliche Praxisinhaberinnen mithilfe organisierter Kinderbetreuung sicherlich entlasten.
Ein Anheben der Gebührenordnung für Tierärzte (GOT) und in Folge dessen auch der Gehälter angestellter Tierärztinnen, wie unter anderem der Bund angestellter Tierärzte (BaT) es fordert? Damit könnte man Anreize schaffen, damit es sich auch finanziell für Frauen lohnt, ihren Fokus mehr auf die Karriere zu setzen. Oder es müssten eben mehr Partner von Tierärztinnen Elternzeit nehmen, damit sie so schneller wieder in die Praxis zurück können.
Ich denke, die Probleme sind sehr vielschichtig und die Lösungen sicherlich nicht so einfach, wie hier angerissen. Fakt ist: Laut Bundestierärztekammer sind 85 Prozent der Studienanfänger – und somit der zukünftigen Tierärzte – weiblich.
Ich persönlich denke aber nicht, dass Frauen generell Verantwortung oder das finanzielle Risiko scheuen, wie oft behauptet wird. Eine eigene Praxis zu führen, bringt ja durchaus auch Vorteile mit sich. Niemand schreibt einem vor, wie man arbeiten soll und man kann seinen Arbeitsplatz, inklusive dem zwischenmeschlichen Umgang, aktiv gestalten.
Ich denke, dass viele in den heutigen Strukturen schlicht und einfach keine guten Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sehen und deshalb oft ein Angestelltenverhältnis vorziehen. Wenn dieses dann auch noch mit guter Bezahlung, flexibleren Arbeitszeiten und einem wertschätzenden Umgang einhergeht, wie es teilweise in praxisfernen Branchen der Fall ist, gehen diese Tierärzte dem praktischen Arbeitsmarkt verloren. Schade eigentlich.