Ein Antibiotikum fürs Nachbarskind, Schmerzmittel für die Mutter und die Pille für die Freundin: Ist das bei allen Ärzten die gängige Nebenher-Verschreibungspraxis?
Richtlinien der amerikanischen, britischen und kanadischen medizinischen Gesellschaften raten Ärzten ausdrücklich davon ab, sich selbst, Familienmitgliedern oder Freunden Medikamente zu verschreiben. Trotzdem scheint dies eher die Regel als die Ausnahme zu sein, wie eine Studie aus Irland zeigt.
In Deutschland gibt es hingegen keine Richtlinie zu informell ausgestellten Rezepten und Ärzte können mit einem Berufsnachweis in der Apotheke Medikamente kaufen, solange sie nicht in fremden Fachgebieten „wildern“.
Nur wenige möchten Auskunft geben
Studien zu Selbst-Verordnungen sowie zu informell ausgestellten Rezepten finden sich nur sehr wenige und wenn überhaupt, dann in den USA und Irland. In Deutschland scheint dieses Thema bisher niemandem wichtig genug für eine systematische Untersuchung zu sein. Möglicherweise möchten viele nicht, dass die persönlichen Verschreibungsgewohnheiten offengelegt werden.
Um dies Problem zu umgehen, wurde im Frühjahr 2017 eine anonymisierte Online-Umfrage in einer geschlossenen Facebook-Gruppe für Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen in Irland durchgeführt: Ein Fragebogen mit 16 Punkten sollte Auskunft über ihre Qualifikation sowie Art und Empfänger inoffiziell verschriebener Medikamente liefern.
Von 4.445 Ärzten, die etwa ein Fünftel der irischen Ärzteschaft repräsentierten, nahmen 729 an der Umfrage teil (16 %), vorwiegend junge Assistenzärzte aus Krankenhäusern. Frauen waren häufiger auskunftsbereit als Männer. Zwei Drittel der Befragten hatten einen Hausarzt und die meisten davon (81 %) suchten ihn auch nach ihrer Approbation weiterhin auf. Das spielte für ihre persönliche Verschreibungspraxis aber keine Rolle.
67 Prozent der Ärzte hatten sich selbst Rezepte ausgestellt, mit steigendem Alter und nach abgeschlossener Facharztausbildung häufiger. Häufiger als für den persönlichen Gebrauch verschrieben sie aber Medikamente für Familienangehörige (72 %) sowie für Freunde und Kollegen (je 59 %).
Fast alle (93 %) waren von den Empfängern dazu aufgefordert worden: Ärzte stehen also möglicherweise unter dem Druck, Angehörigen und Bekannten Medikamente zu verschreiben.
Einige greifen zu Betäubungsmitteln
Die über 30-Jährigen neigten doppelt so häufig zur Selbstmedikation wie ihre jüngeren Kollegen und sie verschrieben mit höherer Wahrscheinlichkeit Psychopharmaka. Zwischen drei und sieben Prozent der Befragten hatten sich selbst mit einem Benzodiazepin, einem Opiat oder einem anderen Psychopharmakon behandelt, obwohl dies eindeutig untersagt war. Unter den „schwarzen Schafen“ fanden sich mehr Männer, Anästhesisten und Chirurgen.
Medikamente, die für den persönlichen Gebrauch, Familieangehörige, Freunde oder Kollegen informell verschrieben wurden
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Nach Hartnett Y et al.: Physician, heal thyself: a cross-sectional survey of doctors' personal prescribing habits. J Med Ethics. 2019 Dec 3. pii: medethics-2018-105064. doi: 10.1136/medethics-2018-105064.
Shoppen mit dem Arztausweis
In Deutschland gibt es keine Richtlinie zu informell ausgestellten Rezepten, und Ärzte können mit einem Berufsnachweis in der Apotheke Medikamente kaufen, solange sie nicht in fremden Fachgebieten "wildern". Dr. Nazifa Qurishi, Fachärztin für Innere Medizin und Infektiologie, erläutert, dass bei Präparaten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, besondere Regeln gelten: „Wenn es sich um einen Notfall handelt, kann ein Arzt in die Apotheke gehen und ein BTM-Präparat für sich selbst, Angehörige oder Bekannte kaufen, hat dann aber die Pflicht, ein entsprechendes BTM-Rezept innerhalb von 24 Stunden nachzureichen.“
Sie selbst ist bisher selten in die Verlegenheit gekommen, von Freunden oder Verwandten zur Ausstellung von Rezepten aufgefordert zu werden: „In meinem Familien- und Freundeskreis ist das zum Glück nicht so gängig und passiert nur selten. Es ist immer besser, wenn der Hausarzt die Rezepte ausstellt. Solange es eine Ausnahme ist und sich um ein Folgerezept handelt, z. B. am Feiertag oder weil der Hausarzt im Urlaub ist, dann kann man dem Bekannten schon mal sein Blutdruckmedikament aufschreiben, aber das sollte eine einmalige Sache bleiben – oder man wird zum Hausarzt dieser Personen.“ Sie selbst beschreibt, dass sie für ihre schilddrüsenkranke Mutter den offiziellen Weg geht, wenn sie Rezepte besorgt und ihr anschließend die erforderlichen Medikamente vorbeibringt. Bei BTM-pflichtigen Medikamenten würde sie immer dazu raten, dass die Rezepte dort geholt werden, wo sie ursprünglich aus medizinischer Indikation ausgestellt wurden.
Harmloses oder riskantes Vorgehen?
Gründe, warum in den Richtlinien anderer Länder von der informellen Verschreibungspraxis generell abgeraten wird, sind z. B. ethische Bedenken und der Schutz Dritter: Persönliche Beziehungen und Interessenskonflikte können dazu führen, dass nicht der übliche Weg für die Diagnosestellung gegangen wird und gerade bei sensiblen Angelegenheiten ein Mangel an Objektivität besteht, womit die Patientensicherheit gefährdet wäre. Man nimmt an, dass der einfachere Zugang zu Medikamenten eine Ursache für Substanzmissbrauch unter Ärzten ist. Zudem stehen Selbstdiagnosen und -behandlungen mit einem höheren Selbstmordrisiko unter Ärzten im Zusammenhang.
Die Autoren der Studie geben außerdem zu bedenken, dass möglicherweise kein Versicherungsschutz vorliegt, wenn es bei einem jenseits der normalen beruflichen Tätigkeit ausgestellten Rezept zu Nebenwirkungen oder einem Behandlungsfehler kommen sollte. Qurishi sagt dazu: „Für jedes Rezept, egal ob ich es in der Praxis ausstelle oder privat, habe ich die Verantwortung, das darf man nicht vergessen.“
Wie haltet ihr es mit dem Verschreiben nebenbei? Wurdet ihr überhaupt schon darauf angesprochen – und war es dann nervig? Schreibt einen Kommentar und erzählt von diesen Situationen.
Bildquelle: Joseph Pearson, unsplash