Bei Fieberzuständen passiert bei autistischen Kindern etwas Interessantes: Ihre Autismus-Symptome gehen zurück. Die Konzentrationsspanne verlängert sich und soziale Interaktionen nehmen zu. Wie ist das möglich?
Viele Eltern von autistischen Kindern beobachten, dass die Autismus-Symptome zurückgehen, wenn die Kinder Fieber haben: Beispielsweise verlängert sich die Konzentrationsspanne, und es gibt mehr soziale Interaktionen mit Eltern oder Gleichaltrigen. Ein bis drei Tage nach dem Fieberschub verschwinden diese Verbesserungen wieder. Das Kind in die Sauna mitzunehmen, heißes Sommerwetter oder eine Erhöhung der Körpertemperatur durch Sport führt aber nicht zu solchen Effekten. Was steckt also dahinter?
In der wissenschaftlichen Literatur finden sich kaum Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Fieber und autistischen Verhaltensänderungen, obwohl dieser vielen Eltern und Ärzten bekannt ist.
2007 wurde das Phänomen erstmals in einer prospektiven Studie mit 30 autistischen Kindern bestätigt: Unabhängig von der Höhe des Fiebers nahmen Reizbarkeit, Hyperaktivität, Stereotypie und Sprachauffälligkeiten ab. Gleichzeitig konnte nachgewiesen werden, dass die Verbesserung des autistischen Verhaltens nicht einfach nur auf die Abgeschlagenheit durch die Krankheit zurückzuführen war. Als Erklärung für die Verhaltensänderungen bei Fieber wurde eine Wechselwirkung zwischen der systemischen Immunantwort und neurobiologischen Mechanismen angenommen, z. B. durch pro- und/oder antiinflammatorische Zytokine, veränderte synaptische Funktionen und Neurotransmitterproduktion.
Erst im Jahr 2018 wurde der Effekt nochmals in einer größeren Studie näher beleuchtet, darin gaben 17 Prozent der Eltern von autistischen Kindern (362 von 2.152) an, ihn bemerkt zu haben. Diese Kinder hatten signifikant geringere nonverbale kognitive Fähigkeiten, ein schlechteres Sprachniveau und zeigten mehr repetitives Verhalten. Nach wie vor blieb aber unklar, warum Fieber bei manchen Kindern diese Wirkung hat.
Forscher vom MIT in Cambridge und von der Harvard Medical School haben was den Pathomechanismus betrifft eine Vermutung. In ihrer Studie versuchten sie, die Situation bei Mäusen mit neurologischen Entwicklungsstörungen nachzustellen.
Die Wissenschaftler erzeugten bei Mäusen ein autistisches Verhalten, indem sie bei deren Müttern während der Trächtigkeit eine Entzündung auslösten. Wurde den verhaltensauffälligen Nachkommen das bakterielle Endotoxin LPS gespritzt, so kam es zu einer Fieberreaktion, während der sich die sozialen Interaktionen der Tiere vorübergehend normalisierten.
Weitere Experimente zeigten, dass diese Mäuse während des Fieberschubs das Protein IL-17a produzierten, das an Rezeptoren in der Gehirnregion andockte, die von der Entzündung des trächtigen Muttertieres betroffen war. IL-17a reduzierte dort die neuronale Aktivität, wodurch die Mäuse vorübergehend mehr an der Interaktion mit anderen Mäusen interessiert waren. Wenn die Forscher IL-17a oder dessen Rezeptoren blockierten, trat die Symptomumkehr nicht auf. Auch hatte ein einfaches Erhöhen der Körpertemperatur der Mäuse keinen Einfluss auf das Verhalten.
„Das Bemerkenswerte an dieser Forschungsarbeit ist, dass der Effekt auf das Verhalten nicht auf Fieber allein zurückzuführen ist, sondern auf die Bildung von Zytokinen. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass das Zentralnervensystem […] während der Entwicklung oder postnatal zu einem gewissen Grad von Zytokinsignalen abhängig ist.“ Das sagt Dan Littman zu den Ergebnissen. Ein Professor für Immunologie an der New York University, der nicht an der Studie beteiligt war.
Diesen Vermutungen in größer angelegten Studien nachzugehen, wäre die Grundvoraussetzung, um Aussagen über die Theorie treffen zu können. Die Ergebnisse der MIT-Forscher beruhen auf einer Reihe von Experimenten, bei denen die Probandenzahl sehr unterschiedlich ist. Die Aussagekraft ist also dementsprechend gering. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern sich menschlicher Autismus mithilfe von Mäusen imitieren und untersuchen lässt.
Es stellt sich außerdem die Frage, ob sich der Pathomechanismus auch beim Menschen wiederfindet, denn in anderen Mausmodellen, bei denen das autistische Verhalten auf genetische Grundlagen zurückzuführen war, sahen die Forscher keine Verbesserungen bei Fieber, und es zeigte sich auch keine gesteigerte Ausschüttung von IL-17a. Wurde diesen Tieren jedoch IL-17a von außen zugeführt, so normalisierte sich ihr Verhalten.
Ein Zusammenhang zwischen Infektionen während der Schwangerschaft und Autismus bei Kindern wurde auch beim Menschen beobachtet. In einer dänischen Studie aus dem Jahr 2010 wurden die Daten von allen Kindern, die zwischen 1980 und 2005 in Dänemark geboren wurden, untersucht. Sie ergab, dass schwere Virusinfektionen während des ersten Schwangerschaftsdrittels das Risiko für Autismus verdreifachten. Schwere bakterielle Infektionen während des zweiten Schwangerschaftstrimesters waren mit einem 1,42-fach erhöhtem Autismus-Risiko verbunden. Bei den Infektionen handelte es sich zum Beispiel um Influenza, virale Gastroenteritis und schwere Harnwegsinfektionen.
Spannend ist die Frage, ob IL-17a beim Menschen in diesen Fällen ebenfalls eine Rolle spielt. Sollte dies der Fall sein, dann könnte der Antikörper Secukinumab, der bei Psoriasis eingesetzt wird und die Wirkung von IL-17a blockiert, bei empfänglichen Personen theoretisch autistisches Verhalten verstärken. Gut, dass er die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert.
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