Neujahrsvorsätze können etwas sehr Sinnvolles sein. Ich habe da einen bestimmten Patienten im Kopf, von dem ich hoffe, dass er 2020 keine Wunderkerzen mehr zweckentfremden wird.
An Silvester in der Urologie Dienst zu haben, ist nicht die schlechteste Sache. Man bietet in der Unfallchirurgie seine Hilfe an und verfeinert dabei seine Nahttechnik.
So wichtig ist die Nahttechnik dann aber auch nicht, um diese noch nach Mitternacht zu vertiefen. Übrigens, meine Worterkennung schlug mir gerade statt Mitternacht Mittelstrahlurin vor. Wilkommen im Leben eines schreibenden Urologen. Da hat man sich nun gerade gemütlich in seinem Dienstzimmer in die Krankenhausbettwäsche eingekuschelt, schon klingelt das Diensttelefon und kündigt eine Makrohämaturie an. Samt Silvesterüberraschung, heißt es am anderen Ende.
Arbeitet man als Urologe über längere Zeit im Krankenhaus, hat man schon viele kuriose Fälle erlebt, der nun folgende stellt dies eindrucksvoll unter Beweis. Auf der Untersuchungsliege liegt ein junger Mann im mittleren Alter mit der angekündigten Makrohämaturie. Die angekündigte Überraschung steckt noch in Form einer Wunderkerze in der Harnröhre. Eine Verdachtsdiagnose ist schnell gefunden: Perforation der Harnröhre mit spitzem Fremdkörper und blutigem Ausfluss aus dem Meatus.
Ein kurzer spitzer Schmerz gefolgt von dem blutigen Ausfluss hat den jungen Patienten so erschrocken, dass er die Wunderkerze nicht weiter anrührte und an Ort und Stelle beließ.
Neben der Standardanamnese kommen natürlich ein paar weitere Fragen auf, bevor mit der geeigneten Therapie begonnen wird. Das Warum ist schnell geklärt und recht logisch. Die Wunderkerze diente als Überraschung für die Ehefrau und zur eigenen Stimulationen des Patienten, welcher kein Anfänger in der Harnröhrenstimulation ist. Mittels Heißklebepistole wurde am unteren Ende der Wunderkerze die Spitze des Drahtes entschärft und gleichzeitig eine Einführhilfe geschaffen.
Meine Therie lautet daraufhin, dass der Draht zunächst den Plastikschutz perforiert hatte und daraufhin die Harröhre. Sonographisch zeigt sich die Harnblase völlig blande, ohne Tamponade oder Blutkoagel und die Wunderkerze konnte bis ungefähr zur Hälfte des Penis verfolgt werden.
Die nun folgende Therapie ist recht einfach. Nach Betäubung der Harnröhre mittels Instillagel erfolgt ein behutsames Zurückziehen der Wunderkerze, welche sich leicht und vollständig samt Plastikkappe entfernen lässt. Wie vermutet, hat der Draht allerdings den Plastikschutz durchbohrt und zur Verletzung der Harnröhre geführt. Eine anschließend durchgeführte retrograde Urethrographie zeigt keinerlei auffälligen Befund und keine weiteren Fremdkörper. Die Miktion funktioniert und es zeigt sich keine Makrohämaturie.
Gegen zwei Uhr nachts kann der junge Mann samt noch funktionierender Wunderkerze und der Bitte, das Prozedere nicht zu wiederholen, aus der Notaufnahme entlassen werden. Vermutlich wird die minimale Verletzung der Harnröhre folgenlos abheilen, theoretisch können aber aus Verletzung oder Entzündungen der Harnröhre auch viele Jahre später noch Harnröhrenstrikturen resultieren.
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