Am Wetter lässt sich nichts ändern, man kann sich nur entsprechend darauf vorbereiten. Auch die Digitalisierung ist unausweichlich, ob man will oder nicht. Kollegen, die beim Thema den Kopf in den Sand stecken, nerven langsam gewaltig.
Digitalisierung im Gesundheitswesen ist in aller Munde, wird allerorts besprochen, jedoch in den wenigsten Orten tiefgreifend verstanden. Doch sie hat weder gestern erst begonnen, noch ist es eine frei zu wählende Entscheidung, sich dafür oder dagegen auszusprechen. Das Netz, die Digitalisierung ist wie das Wetter, man kann es nicht ändern, aber man kann sich darauf mehr oder weniger gut vorbereiten.
Generell ist festzustellen, dass uns Deutschen eine ablehnende Haltung gegenüber Neuerung und Veränderung innewohnt. Als zweiten limitierenden Faktor sehe ich in Deutschland die Tatsache, dass immer alles erst zur Perfektion gebracht werden muss, bevor es installiert wird.
Während andere Länder wie beispielsweise Estland und Singapur mit großem Mut und Elan Teile der Digitalisierung vorangetrieben und erfolgreich implementiert haben, befinden wir uns nach wie vor in der Phase des „erfolgreichen Zauderns und Zögerns“. Der Deutsche an sich versucht sich, an Zweifeln und Bedenken aufzuhängen, statt Möglichkeiten zu sehen. Gerne wähle ich eine Analogie aus dem privatwirtschaftlichen Bereich, um die Vorteile der Digitalisierung klarzumachen und gleichzeitig die sehr überschaubaren Risiken darzustellen: Die Taxi App.
Zu Beginn war sicherlich keiner der „Droschkenchauffeure“ sonderlich erfreut über eine Neuordnung der Auftragsvergabe im Deutschen Taxigewerbe. Mit zunehmender Penetration der App(s) wurde jedoch rasch klar, dass die digital planenden Fahrer den analogen (in diesem Fall jenen, die sich auf Funk bzw. stationäre Abrufe an Stellplätzen verließen) deutlich voraus sein würden. Dies zeigte sich in einer gesteigerten Anzahl an Fahrten und einer Reduktion der Leerfahrten.
In Analogie zur Medizin bleibt klar zu sagen: Wer sich einmal auf die digitale Terminvergabe eingelassen hat, erkennt rasch, welche Zeiten oder Aufwände gespart werden können und wieviel einfacher der Praxisalltag doch sein kann. Selbstverständlich stellt die digitale Terminvergabe nur die Spitze des Eisbergs dar und keinesfalls das Ende des Potenzials, das wir in der Digitalisierung erkennen. In greifbarer Zukunft wird uns Ärzte die Technik bei der Auswertung von Daten noch detaillierter und teilweise selbständig unterstützen. Die künstliche Intelligenz wird zum Co-Piloten bei der Sichtung von radiologischen Aufnahmen, Algorithmen wie beispielsweise Ada helfen bei der Identifikation seltener Erkrankungen.
Prophylaxe, Metaphylaxe, Therapie und Nachsorge werden durch Apps wie beispielsweise Veta Health unterstützt und gefördert. Rehabilitation endet nicht mehr mit dem Verlassen der Klinik sondern geht dank Caspar Health digital weiter. INVEOX macht bereits heute den Pathologen das Leben leichter, die Diagnosenfindung schneller und sicherer. Dem psychisch Leidenden wird der Weg zum Therapeuten beispielsweise durch Selfapy erleichtert und sein Leiden gelindert. Die Liste dieser plastischen Exempel lässt sich fortführen, jeden Tag wird sie um spannende digitale Helferlein ergänzt. Als jemand, der permanent und wiederholt über Vorteile der Digitalisierung referiert und publiziert, darf ich betonen, dass die Ängste zwar vorhanden, jedoch weitgehend unbegründet sind.
Kein Heilberufler wird zum transparenten Menschen, keine Datenweitergabe ist endgültig oder irreversibel. Warnen darf ich lediglich davor, Daten unkontrolliert an Drittanbieter im Ausland weiterzugeben bzw. hier in die Falle der großen Konzerne aus Fernost oder den USA zu tappen. Vielmehr rate ich dazu, lokale Spieler, deren Geschäftsmodelle nach Deutschem Recht auf deutschen Servern stattfinden, zu vertrauen. Zudem haben wir seit diesem Jahr die Möglichkeit staatlich untersuchte und somit offiziell zugelassene Medizinprodukte digitaler Natur in den Einsatz zu bringen.
Was die Digitalisierung in der gesundheitlichen Versorgung angeht, hinken wir im Ländervergleich ganz schön hinterher. Die 2019 publizierte Studie der Bertelsmann Stiftung stellt Deutschland an Position 16 von insgesamt 17 untersuchten Ländern dar, wir bilden mit das Schlusslicht. Das gilt es zu ändern, das kann jeder für sich in die Hand nehmen und loslegen.
Man muss nicht jedem Trend hinterherlaufen und nicht jede Modeerscheinung mitmachen. Auf die Digitalisierung der Medizin trifft dies beides aber nicht zu. Hier geht es wirklich um etwas. Wir sind gut damit beraten, lieber gestern als morgen damit anzufangen, die Zukunft zu gestalten – zum Wohle der absoluten Hauptperson in unserem Beruf: des Patienten.
Es gilt das Leitbild, „wer nicht mit der Zeit geht, der muss mit der Zeit gehen.“ Vom Stillstand aus hat sich noch nie etwas entwickelt. Liebe Kollegen, probiert es aus, geht den ersten Schritt, wagen wir es.
Bildquelle: Nariman Mesharrafa, unsplash