Blutverdünner werden bei Vorhofflimmern gegeben und beugen Schlaganfällen vor. Eine Studie zeigt nun, dass Antikoagulanzien wie Marcumar aber auch das Risiko für Demenz senken. Sollten gerinnungshemmende Arzneistoffe gezielt gegen Demenz eingesetzt werden?
Unter den Herzrhythmusstörungen ist das Vorhofflimmern die Form, die am häufigsten auftritt. Allein in Deutschland sind etwa 1,8 Millionen Menschen davon betroffen. Da mit den Arrhythmien auch ein hohes Risiko für einen Schlaganfall einhergeht, bekommen diese Patienten vorbeugend Antikoagulantien wie zum Beispiel das Medikament Marcumar oder eines der neueren Nicht-Vitamin-K-antagonistischen Oralen Antikoagulantien (NOAK) wie Apixaban, Dabigatran, Edoxaban oder Rivaroxaban. Diese Arzneimittel zur Hemmung der Blutgerinnung verhindern, dass sich lebensbedrohliche Gerinnsel unter anderem im Herzen bilden, die zu Schlaganfällen führen können. Schwedische Wissenschaftler sind nun der Frage nachgegangen, ob Antikoagulantien nicht nur das Risiko für Schlaganfälle mindern, sondern durch die Gerinnungshemmung auch einen positiven Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit des Gehirns haben. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich im „European Heart Journal“ veröffentlicht.
„Die Studie von Wissenschaftlern aus Stockholm schloss Patienten ein, bei denen in einem Krankenhaus die Diagnose eines Vorhofflimmerns gestellt wurde und die bis dato keine Diagnose einer Demenz hatten“, sagt Joachim Röther, Chefarzt der Neurologie an der Asklepios-Klinik in Hamburg Altona. „Man hat im Zeitraum von 2006 bis 2014 insgesamt 444.000 Patientendaten aus zwei schwedischen Registern in die Untersuchung integriert, es handelt sich also um eine riesige Datenbasis. Bei diesen Patienten hat man hat dann geschaut, welche unter ihnen eine Demenz entwickelten.“ Die Wissenschaftler haben bei diesen Patienten mit Vorhofflimmern folgende Feststellung gemacht: Die rund 50 Prozent unter jener Patienten, die antikoaguliert gewesen waren, hatten ein um 29 Prozent niedrigeres Risiko einer Demenz im Vergleich zu den Patienten, die kein Antikoagulans bekommen hatten, so der Neurologe: „Eine kontinuierliche Einnahme der Medikamente senkte das Risiko sogar um 48 Prozent. Dabei war es unerheblich, ob neue oder ältere Antikoagulantien eingenommen wurden. Der positive Einfluss auf die Verminderung des Demenzrisikos blieb gleich.“ Das Risiko einer Demenz sinkt bei Patienten, die Gerinnungshemmer einnehmen, sagt Joachim Röther. Dass Menschen mit Vorhofflimmern häufiger an Demenz erkranken als andere, ist bereits länger bekannt. Die Rolle der Gerinnungshemmer für die Erkrankung des Gehirns war zuvor jedoch nicht eindeutig bewiesen. „Diese Studie war eine riesige Kraftanstrengung und nur möglich dank der gut organisierten skandinavischen Länder, die diese unglaubliche Menge an Daten zu Verfügung hatten“, sagt Röther: „Es ist eine eindrucksvolle Studie, denn sie zeigt, dass eine konsequente Primär- und Sekundär-Prävention eines Vorhofflimmerns mit einer Antikoagulation nicht nur das Risiko für einen Schlaganfall signifikant senkt, sondern auch das Risiko einer Demenz vermindert.“
Die Ergebnisse verwunderten jedoch nicht, so der Neurologe weiter: „Alzheimer ist die häufigste Demenzform, gefolgt von der vaskulären Demenz. Letztere wird allerdings häufig nicht so stringent diagnostiziert wie Alzheimer. Bei der vaskulären Demenz führt der Untergang von Hirngewebe durch wiederholte Schlaganfälle dazu, dass viele Funktionen wie die des Gedächtnisses und der Sprache verlangsamt oder gar nicht mehr ablaufen.“ Andere Formen wie etwa die sekundären Demenzen entstehen durch Grunderkrankungen, die nicht hirn-organisch sind. Entsprechend können sich kognitive Störungen zurückbilden, wenn die Behandlung der Grunderkrankung erfolgreich ist. Krankheiten, die eine sekundäre Demenz zur Folge haben, sind zum Beispiel Infektionskrankheiten wie AIDS oder die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, chronische Vergiftungen wie Alkoholismus, aber auch ein Vitamin-B-Mangel, Stoffwechselstörungen oder Schilddrüsenerkrankungen. „Bei der vaskulären Demenz kommt es zu kognitiven Einschränkungen und zu schlaganfallartigen Symptomen, bedingt durch Durchblutungsstörungen des Gehirns“, erklärt Röther. „Daher liegt es nahe, dass durch ein Medikament, das Schlaganfälle verhindert, auch weniger Demenz-Symptome auftreten.“ Durchblutungsstörungen im Gehirn werden vermieden, so Neurologe Jurai Kukolja. Warum das so ist, erklärt Juraj Kukolja, Oberarzt der Klinik für Neurologie an der Uniklinik Köln: „Die Antikoagulantien selbst haben keinen unmittelbaren Effekt auf die Kognition“, sagt er. „Das geringere Risiko für die Entwicklung einer Demenz erklärt sich durch die Vermeidung von Durchblutungsstörungen des Gehirns und die dadurch bedingten kognitiven Störungen.“ Die Art der kognitiven Störung hinge dabei stark von der Lokalisation der Schlaganfälle ab: „Je nach betroffenen Arealen können zum Beispiel die Sprache, die Orientierung oder das Gedächtnis beeinträchtigt sein. Weitere Probleme, die auftreten können, sind Exekutiv-Funktionsstörungen sowie ein Unvermögen, zu planen, sagt Kukolja.
Zur Vermeidung der Alzheimer-Krankheit eigneten sich die Antikoagulation jedoch nicht, so Kukolja: „Die Alzheimer-Erkrankung wird nicht durch Schlaganfälle verursacht. Tatsächlich ist ihre Ursache trotz der Erstbeschreibung vor mehr als 100 Jahren immer noch nicht vollständig verstanden.“ Man gehe davon aus, dass die Erkrankung durch eine Akkumulation pathologischer Peptide und Proteine verursacht werde, so der Neurologe. Die Hauptrollen spielten hier das Beta-Amyloid und phosphoryliertes Tau-Protein: „Da anfangs meist gedächtnisrelevante Strukturen wie der Hippocampus und der entorhinale Cortex betroffen sind, kommt es im Initialstadium zunächst zu Gedächtnisstörungen.“ Eine ursächliche Therapie bestehe bislang nicht, sagt Kukolja: „Da das System cholinerger Neurone besonders betroffen ist, können die Krankheitssymptome allerdings durch eine Therapie mit Acetylcholinesterase-Hemmern gemildert werden.“ Klare Empfehlungen für eine effektive Prävention der Alzheimer-Erkrankung gebe es bislang nicht, sagt er, doch eine zunehmende Anzahl von Studien lege nahe, dass eine gesunde Lebensführung, insbesondere regelmäßiger Sport und die Kontrolle der Gefäßrisikofaktoren, das Risiko dieser Form der Demenz senke. Allerdings können Erkrankungen der Hirndurchblutung wie Schlaganfälle eine bestehende Alzheimer-Erkrankung potenzieren, sodass die Demenz schneller voranschreitet oder sich schlagartig verschlechtern kann, so Kukolja: „Der Grund ist, dass beide Erkrankungen kognitive Defizite verursachen und Kompensationsmechanismen des Gehirns zum Erliegen kommen.“
Einer vaskulären Demenz würde man jedoch nicht ohne Indikation einer kardiovaskulären Erkrankung wie etwa Vorhofflimmern mit Antikoagulantien vorbeugen, sagt Röther: „Natürlich birgt die Einnahme eines Blutverdünners auch immer ein gewisses Blutungskomplikationsrisiko. Darum muss die Voraussetzung immer sein, dass der Patient ein Vorhofflimmern hat.“ Die Botschaft der Studie an die Mediziner sei eine andere, so der Neurologe: „Wenn der Patient ein Vorhofflimmern und einen CHA2DS2-VASc-Score von mehr als zwei Punkten hat, dann besteht ganz klar die Indikation für eine Antikoagulation und zwar nicht nur, um den Schlaganfall zu reduzieren, sondern auch die Gefahr einer Demenz.“