Die Uni Heidelberg tut es, die Uni Bonn tut es und viele andere Universitäten in Deutschland tun es auch: Sie haben kein einziges Ergebnis aus klinischen Studien veröffentlicht, obwohl sie dazu verpflichtet sind.
„Das Ausmaß, in dem deutsche Universitäten die Ergebnisse ihrer klinischen Studien nicht melden, ist schockierend“, sagt Till Bruckner von der britischen Organisation TranspariMED. Er ergänzt: Dies schade Patienten, untergrabe die öffentliche Gesundheit und sei auch eine Verschwendung öffentlicher Mittel.
Fakt ist: Die Ergebnisse medizinischer Studien müssen in einer EU-Datenbank veröffentlicht werden. Doch viele deutsche Universitäten halten sich nicht daran. Sie publizieren die Ergebnisse klinischer Studien nur selten in dem europäischen Register EudraCT (European Union Drug Regulating Authorities Clinical Trials).
Nur rund sieben Prozent der medizinischen Studien aus Deutschland sind darin eingetragen. Europaweit liegen 63 Prozent aller Studienergebnisse im Register vor. Das geht aus einer von Transparimed und der deutschen Buko-Pharmakampagne hervor. Beide Organisationen setzen sich dafür ein, dass Ärzten alle Daten zur Verfügung stehen: ein Beitrag für mehr Evidenz.
Zum Hintergrund: Seit 2014 müssen Sponsoren klinische Studien in der EU nicht nur registrieren, sondern deren Ergebnisse nach Abschluss der Auswertung innerhalb von zwölf Monaten im Register EudraCT veröffentlichen. Bei pädiatrischen Studien sind es nur sechs Monate. Die Regeln gelten unabhängig von Artikeln in Fachzeitschriften.
Um herauszufinden, wie oft die europäischen Regularien in der Praxis umgesetzt werden, nahmen sich die Forscher alle 35 hochschulmedizinischen Zentren aus Deutschland vor. In der EudraCT-Datenbank hatten Unis 1.312 klinische Studien registriert. Davon sind 477 Studien nachweislich vor mehr als einem Jahr abgeschlossen worden. Sprich: Positive oder negative Ergebnisse hätten längst veröffentlicht werden müssen. Allerdings liegen nur für 32 dieser Studien (6,7 Prozent) Ergebnisse im Register vor. Zu den 445 Arbeiten (93,3 Prozent) war nichts zu finden.
Tatsächlich handelt es sich hier um eine Auffälligkeit im deutschen System, wie internationale Vergleiche zeigen. Die Grafik macht deutlich, wie unglaublich schlecht Deutschland im Vergleich zu britischen und amerikanischen Hochschulen dasteht.
Grafik: © Buko-Pharmakampagne/ TranspariMED
Tatsächlich sollte man Deutschlands Hochschulen aber nicht über einen Kamm scheren, denn es gibt – wie Bruckner andeutet – große Unterschiede. Um Details herauszufinden, bietet sich der EU Trials Tracker an: ein Tool der University of Oxford.
Über die Startseite oder die Volltextsuche lassen sich Fakten zu den Studien verschiedener Sponsoren abrufen. Münster steht mit einer Veröffentlichungsrate von 61 Prozent an der Spitze, gefolgt von Regensburg und Würzburg. Einige Unis haben weniger als zehn Prozent ihrer Resultate in EudraCT publiziert – so manche Einrichtung kommt auf null Prozent.
Grafik: © Buko-Pharmakampagne/ TranspariMED „Klinische Studien dienen dazu, die bestmöglichen Therapien zu finden“, so kommentiert Jörg Schaaber von der Buko-Pharmakampagne die Resultate. „Umso enttäuschender ist es, dass die meisten deutschen Universitäten es nicht schaffen, ihre Forschungsergebnisse in das EU-Register einzutragen.“ Jede Studie, deren Ergebnisse nicht veröffentlicht würden, verzerre das Wissen über Medikamente bei Ärzten oder bei anderen Forschern.
Die Autoren nennen mehrere Beispiele, wie deutsche Unis mit Ergebnissen umgegangen sind: So wollte die Charité mit ihrer Studie 2008-005213-22 herausfinden, ob sich mit dem Grüntee-Extrakt Sunphenon® Schäden bei Multipler Sklerose minimieren oder kognitive Funktionen verbessern lassen. Gegenüber Schaaber bzw. Bruckner erklärten die Autoren per E-Mail: „Wir sind gerade dabei, die statistische Auswertung abzuschließen. Eine Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift und die Einträge in die entsprechenden Datenbanken sind in Vorbereitung.“ Das klingt optimistisch, nur wären solche Angaben bereits Anfang 2017 erforderlich gewesen.
Auch eine klinische Studie der LMU München (2013-004956-39) bekommt ihr Fett ab. Ziel war es, herauszufinden, wie man die Behandlung nierentransplantierter Patienten verbessern kann. Die Studie wurde im Mai 2016 abgeschlossen, so dass die Ergebnisse bis spätestens Ende Mai 2017 im europäischen Register veröffentlicht werden müssen. Recherchen in PubMed und Google Scholar führten zu keinen Treffern. „Wenn die LMU München nicht schnell handelt, um die Ergebnisse dieser Studie zu veröffentlichen, wird die Zeit und der Aufwand, den Nierentransplantationspatienten freiwillig aufbringen, vergeblich gewesen sein, und der potenzielle Nutzen und Schaden der neuen Behandlung könnte für immer dem medizinischen Wissen verloren gehen“, kritisieren die Autoren der Analyse.
Wie sich das Phänomen erklären lässt, brachten Bruckner und Schaaber nicht in Erfahrung. Es gibt aber mehrere bekannte Szenarien. Im einfachsten Fall hat eine Studie nicht die gewünschten Resultate geliefert. Personal ist an den meisten Lehrstühlen knapp, und so verzichtet man darauf, Resultate in EudraCT einzuspeisen. Darüber hinaus landen negative Ergebnisse oft nicht in wissenschaftlichen Journalen, was zum bekannten Publikationsbias führt: Positive Befunde sind leichter zu publizieren als solche mit „negativen“, also nicht-signifikanten Ergebnissen und finden sich zudem häufiger in relevanten Fachzeitschriften wie Nature oder Science.
Das erklärt die negativen Trends nur teilweise. Wandern Gelder von industriellen Sponsoren in Hochschultöpfe, gibt es oft Klauseln, die Veröffentlichungen jeder Art ohne Zustimmung des Geldgebers verbieten. Darüber redet niemand gern. Der Johannes Gutenberg-Universität Mainz flogen Verträge vor mehreren Jahren mächtig um die Ohren. Sie hatte insgesamt 150 Millionen Euro über die Boehringer Ingelheim Stiftung erhalten. Das Verwaltungsgericht Mainz verpflichtete die Universität zur Offenlegung aller Vereinbarungen (Urteil vom 11.05.2016, Az. 3 K 636/15.MZ).
Hinzu kommt aber fehlendes Wissen über europäische Regularien – oder vielleicht sogar mangelndes Unrechtsbewusstsein. Dem NDR zufolge hätten sich auf Anfrage zahlreiche Unis damit herausgeredet, die Veröffentlichung sei nicht verbindlich. Doch sie irren sich gewaltig. Außerdem verwiesen Hochschulen auf die Datenbank PharmNet.Bund – ein Portal, das von internationalen Forschern aber kaum zur Kenntnis genommen wird.
Jetzt ist die Politik gefragt. Im Artikel schlagen die Autoren mehrere Maßnahmen vor:
Was sagen Experten zu den Forderungen? „Ich bin dafür, dass die öffentliche Förderung durch Institutionen wie die DFG, die Deutsche Krebshilfe oder das Forschungsministerium davon abhängig gemacht werden sollte, ob vorher durchgeführte Projekte in der vorgeschriebenen Weise veröffentlicht worden sind“, erklärt Jürgen Windeler. Er ist Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
„Und wenn sie das nicht sind, dann muss eben die Förderung solange ausgesetzt werden, bis die Ergebnisse da stehen, wo sie stehen sollten.“ Geld ist immer ein gutes Druckmittel.
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