Krebszellen im Körper finden und erkennen, ob sie gefährlich sind – diesem Traum kommen Forscher etwas näher. Der Name des potentiellen Kandidaten: Cucurbituril. Das Molekül verbessert den Kontrast der MRT-Aufnahmen im Vergleich zu bisherigen Mitteln etwa 100-fach.
Die Magnetresonanztomographie (MRT) basiert auf einer Wechselwirkung aus Magnetfeldern und Radiowellen mit Wasserstoffatomen. Neben dem Wasserstoff kann bei dem Verfahren auch das Edelgas Xenon genutzt werden, um Bilder von unserem Innenleben zu erzeugen. Mit speziell vorbereitetem Xenon können Signale des harmlosen Edelgases, das vom Patienten eingeatmet wird, im MRT deutlich empfindlicher nachgewiesen werden als die des Wasserstoffs. Bei der jetzt von den Wissenschaftlern entwickelten Methode funktionieren die ringförmigen Cucurbiturile wie eine Schleuse. Die Xenon-Atome werden durch den Ring geschleust und quasi markiert. Das im MRT ausgesandte Signal kann dann Areale mit und ohne Cucurbiturile klar unterscheiden. Solche „Schleuser-Moleküle“ kannte man schon früher. Aber das Cucurbituril kann sehr viel mehr Xenon in der selben Zeit markieren und die Messung dadurch deutlich genauer machen. In ihrer jüngsten Untersuchung treiben Dr. Andreas Hennig von der Jacobs University in Bremen und seine Berliner Kollegen vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie Berlin (FMP) den Schleusen-Trick nun noch einen Schritt weiter. Sie haben herausgefunden, wie man das Schleusentor des Cucurbiturils gezielt öffnen und schließen kann. Als Schlüssel dient ein Enzym namens Lysin-Decarboxylase. Dieses Enzym erzeugt einen Stoff, der den Hohlraum des Cucurbituril-Rings besetzt. In seiner Gegenwart schließt das Cucurbituril also seine Schleusen. In der Folge kann weniger Xenon markiert werden, entsprechend verändert sich das vom MRT gemessene Signal.
Was das ganze nun mit Krebs zu tun hat? Die Lysin-Decarboxylase ist mehr als nur der Schlüssel zum Cucurbituril. Das Enzym spielt auch eine entscheidende Rolle beim Wachstum von Tumoren und kann zeigen, ob ein Tumor bösartig ist. Im Umkehrschluss können Hennig und seine Kollegen also aus blockierten Schleusen, die anzeigen, dass Lysin-Decarboxylase vorhanden ist, auf die Malignität eines Tumors schließen. „Diese Schleusen schalten zu können, ist ein Riesenschritt auf dem Weg zu einer effizienten Früherkennung von Krebs. Besonders bemerkenswert ist, wie effizient wir sie öffnen und schließen konnten“, erklärt Hennig. „Das unterstreicht das große Potenzial unserer Methode für die Medizin. Die Xenon-MRT, idealerweise mit einer Vielzahl von Kontrastmitteln, die verschiedene Zelltypen markieren, könnte schon kleine Tumorherde deutlich zeigen und individuelle Diagnosen ganz ohne Biopsien erlauben. Die Methode hat zudem den großen Vorteil, dass es im Gegensatz zu klassischen, radioaktiven Kontrastmitteln keine nennenswerte Strahlenbelastung für den Patienten gibt.“ Meilenstein in der Krebsdiagnostik: Forscher der Jacobs University entwickelt Methode zur besseren Erkennung von Tumoren. © Jacobs University
Ganz so weit ist es allerdings noch nicht. Weiterführende Studien sind nötig, um die Methode aus dem Reagenzglas zum Patienten zu bringen. Zunächst wollen Hennig und sein Kollege Dr. Leif Schröder vom FMP die Empfindlichkeit der Messung in Zellkulturen verbessern. Außerdem gilt es, den Enzymschlüssel noch präziser zu bedienen und nach weiteren Schlüsselmolekülen suchen. „Unsere ersten Experimente mit Cucurbituril waren ein ziemlicher Schuss ins Blaue. Die entstandene Methode ist viel sensitiver, als wir jemals erhofft hätten. Das war auch für uns eine Riesenüberraschung”, erzählt Hennig. Originalpublikationen: Supramolekulare Assays zur Lokalisation von Enzymaktivität durch Verdrängungs-induzierte Änderungen in der Magnetisierungstransfer-NMR-Spektroskopie mit hyperpolarisiertem 129Xe Matthias Schnurr et al.; Angewandte Chemie, doi: 10.1002/ange.201507002 ; 2015 Identification, classification, and signal amplification capabilities of high-turnover gas binding hosts in ultra-sensitive NMR Matthias Schnurr et al.; Chemical Science, doi: 10.1039/C5SC01400J ; 2015