Auf Twitter erzählen Frauen und Männer in Pflegeberufen von ihrem Arbeitsalltag. Die Berichte machen sprachlos – und verdeutlichen, warum die Pflege Nachwuchsmangel hat.
Unter dem Hashtag #respectnurses schildern Gesundheits- und Krankenpfleger gerade auf Twitter, was sie in ihrem Arbeitsalltag erleben. Die Berichte sind erschreckend – von verbalen Entgleisungen, geringer Wertschätzung und sogar sexuellen Übergriffen ist da die Rede.
So schreibt zum Beispiel ein Twitter-User:(Wenn der Tweet nicht sichtbar ist, einmal das Browserfenster aktualisieren.)
Und ein anderer erinnert sich:
Es sind sicher auch Erlebnisse wie diese, die den Nachwuchsmangel in der Pflege zusätzlich befeuern. Marcus Schmidtmann, Leiter des Anästhesie-Funktionsdienstes im Städtischen Krankenhaus Nettetal, bemerkt die Auswirkungen dieses Problems jeden Tag: „Der Nachwuchsmangel in der Pflege ist uns und der Politik natürlich schon lange bekannt. Wirkliche Reformen bleiben jedoch aus, es werden hier und da nur ein paar Löcher geflickt.“
Schmidtmann sieht eine Ursache für dieses Problem aber auch in der Pflege selbst. „Die Pflege hat es noch nicht geschafft, aus dem Schatten der Ärzte hervorzutreten. Unser Verhältnis zu dieser Berufsgruppe war in der Vergangenheit sehr devot. In dem letzten Jahrzehnt ist ein Umdenken zu diesem Verhalten spürbar. Die Pflege darf viel mehr Selbstbewusstsein haben. Wenn man bedenkt, dass wir die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen darstellen, haben wir eine wirklich schlechte bis keine Lobby“, meint Schmidtmann.
Diese Dynamik wird auch in einem Tweet zum Hashtag deutlich:
Schmidtmann erinnert sich, dass er sich zu Anfang seiner Karriere oft geschämt habe, wenn er nach seinem Beruf gefragt wurde. Das sei heute anders und habe sich in Stolz gewandelt: „Ich weiß, dass ich einen gesellschaftlichen Auftrag habe, den ich gut und gerne erfüllen möchte. Und ich weiß, dass ich mit meinem Können und Wissen auch einen wirklich guten Job mache.“
Twitter-User Wieland Rose ist dieses Ungleichgewicht in der öffentlichen Wahrnehmung auch beim aktuellen Hashtag aufgefallen:
An der Attraktivität des Pflegeberufs müsse die Politik ebenfalls mitarbeiten, so Schmidtmann. „Wird der Pflege Respekt und Anerkennung entgegengebracht? Lohnt es sich finanziell überhaupt, in einem solchen Beruf zu arbeiten? Ich denke, mit einer Professionalisierung durch eine Akademisierung der Pflege, der Einführung einer Pflegekammer und eines pflegerischen Versorgungswerkes, sowie einer weitaus höheren Bezahlung könnte man diese Fragen positiv beantworten.“ Den Mangel mit Fachkräften aus dem Ausland zu kompensieren verstärke dagegen nur den aktuellen Eindruck, dass der Beruf ungern ausgeübt werde.
Mögliche Lösungsansätze hat Schmidtmann auch parat: „Eine Adaption des derzeitigen DRG-Systems mit Hinzunahme der pflegerischen Tätigkeiten würde die Arbeit der Pflege transparenter gestalten. Natürlich entstehen so höhere Kosten, doch der hohe pflegerische Standard rechtfertigt das.“ Lanfristig müsse sich aber auch jeder Arbeitgeber in der Pflege Gedanken zu modernen Arbeitszeitmodellen machen. Denn die derzeitigen Modelle, bei denen Pflegekärfte zwölf oder vierzehn Tage ohne Ausgleich arbeiten, würden bald auslaufen, denkt Schmidtmann. „Die Generation Z wird vermehrt die Work-Life-Balance im Fokus haben. Dies bedarf in der Umsetzung wesentlich mehr Personal als heutzutage.“
Bestimmte Fachbereiche der Pflege oder auch ein Einstieg in die Forschung scheinen gerade für viele Berufseinsteiger attraktiver als die klassische Pflege. Schmidtmann hat dafür Verständnis – fordert aber auch, mehr Anreize für den Pflegeberuf zu schaffen.
„Natürlich haben Funktionsbereiche in der Pflege ihren Reiz. Dazu zähle ich auch die Pflegeforschung. Doch die Basis der Pflegenden, das eigentliche Kerngeschäft unserer Berufsgruppe, die Pflege kranker Menschen, das muss mehr beworben werden“, so Schmidtmann.
Auch ein Pfleger auf Twitter bemerkt immer wieder, dass die Entscheidung für diesen Berufszweig oft auf Unverständnis stößt:
Die Attraktivität des Pflegeberuf müsse schlussendlich auch mit einer wesentlich höheren Vergütung gesteigert werden, so Schmidtmann. Er spricht sich für eine Verdopplung des bisherigen Gehalts aus. „Man könnte jetzt sagen, dass dies unhaltbar wäre, aber man bedenke, dass eine professionelle Pflege sehr viele Kompetenzen und Attribute aufweisen muss, um im Alltag zu bestehen. Hier gebe ich nur nachfolgende Schlagworte: Verantwortung, Krankheit, Tod, Trauer, Hilflosigkeit, Trost, Nähe, Empathie, Sympathie, Antipathie, Ausscheidungen, Gerüche, Ekel …“, meint Schmidtmann.
Zu oft werde dann argumentiert, dass es doch der Job sei, findet auch ein Twitter-User:
Schmidtmann gibt zu bedenken: Deutschland müsse sich langfristig fragen, welchen Stellenwert die Pflege in der Gesellschaft habe und welchen Preis man bereit sei, dafür zu zahlen.
Bildquelle: Jasmin Sessler, Unsplash