Pharmazeutische Hersteller haben das Thema Laienwerbung in den sozialen Netzwerken entdeckt. Doch statt mit den Verwendern in offenen Austausch zu treten, versuchen sie eher, Verordnungen auszulösen und Probleme kleinzureden. Dabei werden die Spielregeln des Heilmittelwerbegesetzes sehr flexibel interpretiert.
Keine große Überraschung: Benötigen Patienten Informationen zu Erkrankungen, zu Medikamenten oder zu Verhütungsmethoden, recherchieren sie erst einmal online. Neben rein informativen Seiten schätzen Konsumenten vor allem User-generated content wegen dessen vermeintlicher Authentizität. Dazu zählen Foren, Bewertungsportale oder Online-Enzyklopädien. Viele Inhalte stammen aus der Feder findiger PR-Strategen.
Bestes Beispiel sind Online-Angebote zum Thema Kontrazeption: „Steffi wird im Laufe Ihres Lebens 29 Jahre verhüten. Eine lange Zeit und Grund genug, sich immer wieder über neuere Verhütungs-Optionen zu informieren. Auch Du hast die Wahl – ein Leben lang. Magst Du für den Anfang mal ein neues Leben anprobieren?“, schreibt MSD SHARP & DOHME. „Denk beim Arzttermin dran.“ Bei Dr. Kade / Besins Pharma erfahren Leserinnen: „Du bist schön! Damit du dich auch immer wohl fühlst, haben wir dir die wichtigsten Tipps und Grundlagen rund um die Themen Body, Beauty & Klamotten zusammengestellt.“ Jenapharm spielt entsprechende Inhalte bei Facebook über die Fanpage LiebeSLeben: „Mist - Pille vergessen! Ist euch das auch schon mal passiert? (...) Das muss nicht sein, denn es gibt auch Verhütungsmethoden, an die ihr nicht täglich denken müsst. Mehr Infos dazu findet ihr hier: www.langzeitverhuetung.com.“ Gemäß Telemediengesetz müssen Anbieter immer Ross und Reiter nennen. Grund genug, nach alternativen Strategien zu suchen.
Agenturen veröffentlichen unter Pseudonymen Postings in sozialen Netzwerken. An der Spitze stehen wenig überraschend Facebook und Twitter. Vermeintlich seriöse Wikipedia-Artikel werden ebenfalls mit PR-trächtigen Aussagen ergänzt, was der Community nicht immer auffällt. Ihr Ziel ist, Produkte beziehungsweise Präparate zu loben oder negative Aussagen zu entkräften. Für mhoch3 (Modern Mind Marketing) aus Wien ist der Schuss jetzt nach hinten losgegangen. Nach Berichten im Magazin „Datum“ sprach der österreichische Ethik-Rat für Public Relations eine Rüge gegen die Agentur aus. Sie soll in sozialen Netzwerken tausende Beiträge ohne klar erkennbaren Absender erstellt haben. Für Bayer Austria lobten Pseudouser Mirena®-Intrauterinpessare oder entkräften unerwünschte Reaktionen. „Die jahrelange und weitreichende Zusammenarbeit mit mhoch3 in sensiblen Themenbereichen wie der Debatte über die umstrittene Hormonspirale Mirena® ist scharf zu kritisieren [...]“, heißt es vom Ethikrat. Bayer Austria gab sich reumütig und gelobte offiziell Besserung. Außer dieser Rüge ist nichts passiert. Eine Anzeige verlief im Sande. Laut Staatsanwaltschaft Köln „unterfallen Postings von Dritten nicht dem Heilmittelwerbegesetz, soweit diese nach außen hin als private Nutzer oder Verbraucher auftreten“ (Az.: 117 UJs 1/15). Weitere Verfahren sind nicht anhängig - wer den Schein wahrt, hat juristisch nichts zu befürchten.
Nach der Kontroverse um mhoch3 sind Agenturen vorsichtiger geworden, halten an ihrer Praxis jedoch fest. DocCheck fand eine Studentin aus Berlin, die aktuell von ähnlichen Erfahrungen berichtet. Sie hat als freie Mitarbeiterin für mehrere Agenturen gearbeitet, auch im Medizinbereich. Lenas (Name geändert) Aufgabe war, neue E-Mail-Accounts bei diversen Providern anzulegen. Damit erstellte sie Phantasieprofile bei Facebook, bei Twitter, aber vor allem bei Foren auf Special-Interest-Seiten. Frage- und Antwortportale wie die Netdoktor Community oder Gutefrage.net waren ebenfalls sehr beliebt. Anschließend erhielt Lena genaue Anweisungen, zu welchen Themen und in welchen Foren sie etwas veröffentlichen musste. Ging es beispielsweise um OTC-Hypnotika, suchte sie nach bereits laufenden Diskussionen. Alternativ legte sie neue Threads an. Um kein Aufsehen zu erregen, wurden auch neutrale Beiträge oder kritische Texte zu ganz anderen Themen verfasst. Rechtschreibfehler oder Inhalte ohne Groß-/Kleinschreibung sollten Authentizität suggerieren. Ziel war, Produktnamen oder positive Eigenschaften einfließen zu lassen.
Mit scheinbarem Wissen aus sozialen Netzen ausgestattet, gehen Patienten zum Arzt. Frauen wünschen sich beispielsweise eine bestimmte Pille, der Kreis schließt sich. Dazu einige Fakten aus den USA: Seit Konzerne medizinische Laien legal zu Rx-Präparaten adressieren dürfen, hat sich das Verschreibungsverhalten deutlich verändert. Auf den Rezeptblöcken landen häufiger Pharmaka, für die ein Hersteller intensiv geworben hat. Glaubt man Kölner Richtern, bietet das Heilmittelwerbegesetz keinen Schutz gegen dubiose Postings. Portalbetreiber sehen im Zweifelsfall weg und freuen sich über große Nutzerzahlen. Das verbessert ihre Mediadaten und garantiert gute Anzeigenpreise. Verpflichtende Klarnamen wären der Tod sozialer Netzwerke: Niemand diskutiert mit seiner wahren Identität über Krankheiten. Bleibt nur, Patienten zu sensibilisieren, damit sie Inhalte kritisch hinterfragen.