In vitro gezüchtete Darmorganoide sind ideale Modelle für Untersuchungen der Hormonausschüttung und Transportmechanismen im Verdauungstrakt. Die Mini-Därme können der Ernährungsforschung dabei helfen, neue Therapieformen für Diabetiker und Übergewichtige zu entwickeln.
Der Darm beeinflusst unseren Immunstatus, den Stoffwechsel und nimmt die übers Essen zugeführten Nährstoffe auf. Spezielle Zellen in der Darmwand erkennen dabei anhand von Sensoren, ob und welche Hormone passend dafür ins Blut ausgeschüttet werden müssen. Inkretin-Hormone steuern unter anderem Blutzucker, Appetit und Fettstoffwechsel. Diabetiker oder Adipöse werden bereits erfolgreich therapiert mit Medikamenten, die auf der Wirkweise dieser Hormone beruhen. Doch noch zu wenig ist bekannt über die Inkretin-Ausschüttung – wie genau läuft sie ab? Eine neue Methode, die vor allem in der Stammzellenforschung und für die regenerative Medizin angewandt wird, kann ein robustes Darmmodell zur molekularen Erforschung der Inkretin-Ausschüttung in vitro erhalten. Dafür müssen die Forscher der TU München zunächst kleine Darmstücke isolieren, die auch Stammzellen enthalten – in diesem Falle kommen sie von Mäusen. Im nächsten Schritt im Reagenzglas regt eine Nährlösung die Stammzellen an, sich dreidimensional zu einer Organstruktur zu entwickeln. Nach wenigen Tagen entsteht ein für die Forschung brauchbares Organoid in kugeliger Form von der Größe eines Viertelmillimeters.
„Das Besondere für unsere wissenschaftliche Arbeit am Organoid des Darmes ist, dass wir die Aktivität in seinem Inneren beobachten können“, erklärt Dr. Tamara Zietek vom Lehrstuhl für Ernährungsphysiologie. „Die Mini-Därme zeigen essentielle Funktionen eines echten Darms“, sagt die Wissenschaftlerin der TUM. Die Darm-Organoide können aktiv Nährstoffe und Medikamente aufnehmen, Hormone nach einer Aktivierung durch Nährstoffe ausschütten und Signale in der Darmzelle weitergeben, um diese Prozesse zu steuern. Die Darstellung zeigt rechs das im Reagenzglas gezüchtete Organoid und links die Grafik erklärt seine Funktionen. © TUM/ Zietek „Diese Vorgänge in ein und demselben In-vitro-Modell zu untersuchen war bislang nicht möglich, weil die herkömmlichen Modelle nicht für all diese Messungen geeignet sind“, sagt die korrespondierende Autorin Zietek. Zudem könne sie mit den einmal generierten Mini-Därmen über Monate hinweg arbeiten, da sie im Labor vermehrt werden könnten. „Dadurch reduziert sich die Zahl der Versuchstiere drastisch“, sagt die Wissenschaftlerin.
Das Verfahren hat Zietek zusammen mit Dr. Eva Rath vom Lehrstuhl für Ernährung und Immunologie entwickelt: Die beiden Wissenschaftler haben interdisziplinär die Technologie der Organoid-Kultivierung mit der molekularen Ernährungsforschung verknüpft. Nun weisen sie nach, dass die Mini-Därme ideale Modelle für Untersuchungen von Hormonausschüttung und Transportmechanismen im Verdauungstrakt sind. „Für die gastroenterologische Grundlagenforschung, aber genauso den biomedizinischen und pharmakologischen Bereich ein großer Fortschritt“, urteilt Zietek. Im nächsten Schritt gehe es um die Arbeit mit Mini-Därmen gezüchtet aus menschlichen Darmbiopsien: „Wir stehen bereits in Kontakt mit einem Krankenhaus, um für uns benötigtes Forschungsmaterial zu erhalten.“ Diese Methode kann in Anbetracht der steigenden Zahl von Diabetikern und Übergewichtigen der Ernährungsforschung dabei helfen, neue Therapieformen zu entwickeln.
Originalpublikation:
Intestinal organoids for assesing nutrient transport, sensing and incretin secretion Tamara Zietek et al.; Scientific Reports; doi: 10.1038/srep16831; 2015