Die Samenflüssigkeit eines US-Amerikaners enthält nach einer Knochenmarkspende vor vier Jahren ausschließlich die DNA des deutschen Spenders. Was bedeutet das für die Rechtsmedizin?
Ein US-Amerikaner, der 2015 gespendetes Knochenmark erhalten hatte, erfuhr bereits vier Monate nach seiner Spende, dass die DNA in seinem Blut komplett durch die seines zehn Jahre jüngeren, deutschen Spenders ersetzt wurde. Nun, vier Jahre später, wurde er von der Nachricht überrascht, dass seine Samenflüssigkeit unerwarteterweise ebenfalls vollständig die DNA des Spenders enthielt. Proben von Lippen, Zunge und Wangen enthielten den erwarteten Mix aus eigener und Fremd-DNA. In seinen Haaren ließen sich bisher bloß vereinzelte Allele finden, die dem Spender zugeordnet werden können.
Dass Knochenmarkspenden den genetischen Fingerabdruck verändern können, ist bekannt, doch wurde bisher kaum untersucht, wie sich dies außerhalb des Blutes auswirkt und welche Konsequenzen dies beispielweise für die Rechtsmedizin hat.
Der Patient hatte 2014 die Diagnosen akute myeloische Leukämie und myelodysplastisches Syndrom erhalten. Durch die Arbeit auf einer Polizeistation kam der IT-Spezialist in Kontakt mit der damaligen Chefin des kriminaltechnischen Labors, die ihn überzeugte, sich als „Versuchskaninchen“ für eine Fallstudie zur Verfügung zu stellen. So kam es bereits vor der Spende zu Wangenabstrichen, um diese als Vergleichsproben verwenden zu können. Nach dem Eingriff wurden dann zu verschiedenen Zeitpunkten immer wieder Proben aus Blut, Wange, Zunge, Lippen, Haaren und Samenflüssigkeit untersucht, was zu dem überraschenden Ergebnis führte.
Was dies letztendlich für die Zeugung eines Babys bedeutet, kann zumindest dieser Patient nicht zeigen, da er sich vor Jahren einer Vasektomie unterzog. Diese wird aber auch als Grund für die veränderte Samenflüssigkeit-DNA-Probe vermutet, denn üblicherweise sollten die Blutzellen des Spenders nicht neue Samenzellen produzieren. Wie genau dies abgelaufen sein könnte, soll noch genauer untersucht werden.
Ausgeschlossen, dass es noch mehr solche Fälle gibt, ist es nicht. Bei einer steigenden Anzahl von Knochenmarkspenden bedeutet das für die Kriminaltechnik besondere Vorsicht bei der Analyse von Täter-DNA. So könnten DNA-Proben durch Verunreinigungen bei der Sammlung, aber eben in seltenen Fällen auch aufgrund von Chimären uneindeutig sein. In Bezug auf den aktuellen Fall wird darauf aufmerksam gemacht, bei Personen, die eine Transplantation erhalten haben, stets nach Haarproben zu fragen, da diese noch vollständig die ursprüngliche DNA enthielten.
Einen spektakulären Fall, bei dem zumindest die DNA im Blut eine falsche Fährte legte, gab es im Jahr 2004: Nach einem sexuellen Missbrauch war ein DNA-Profil des Täters in der Datenbank abgeglichen worden. Sie ergab einen Treffer, doch der angebliche Täter saß bereits im Gefängnis. Es stellte sich heraus, dass er zuvor eine Knochenmarkspende von seinem Bruder erhalten hatte, der daraufhin verurteilt wurde. Auch bei der Identifizierung von stark verletzten und unkenntlichen Opfern kam es zu Verwirrungen, da beispielsweise männliche DNA in der Leber des Opfers, aber weibliche DNA der Spenderin im Blut festgestellt wurde.
Quellen: © Chris Long, Brittney Chilton / Heather Murphy, New York Times
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