Nicht nur der Anblick von Schokolade, sondern allein das Lesen des Wortes kann dazu führen, dass jemand mehr Kalorien in sich hinein futtert. Wie ausgeprägt der Effekt ist, hängt vom momentanen Stress und den Genen ab. Geeignete Strategien könnten helfen, zu widerstehen.
Ein riesiger Eisbecher mit Keksstücken auf der Kinoleinwand, der Duft von Pommes oder der Anblick eines fettig-glänzenden Burgers: Hinweisreize für Speisen, vor allem Gerüche und Bilder, verführen häufig dazu, spontan das jeweilige Nahrungsmittel zu kaufen – selbst, wenn man gar nicht hungrig ist oder genau weiß, dass man seiner Gesundheit damit nichts Gutes tut. Aber schon Wörter für hochkalorische Speisen reichen aus, um den gleichen Effekt zu erzielen. Problematisch ist dies vor allem für die wachsende Zahl von übergewichtigen und fettleibigen Menschen – und für Patienten mit Essstörungen wie etwa der Binge-Eating-Störung. Vor allem für sie ist es wichtig, Gegenstrategien zu entwickeln, um den „Verlockungen“ der Werbung und dem allgegenwärtigen Angebot dickmachender Speisen widerstehen zu können.
Den Einfluss solcher Wörtern hat nun ein Forscherteam um Susan Carnell vom Global Obesity Prevention Center an der Johns Hopkins University in Baltimore (USA) untersucht. Ihre Ergebnisse präsentierten die Forscher im November auf der „Obesity Week“ in Los Angeles. In ihrer ersten Studie zeigten Carnell und ihr Team 12 schlanken und 17 fettleibigen Probanden Wörter von hoch- und niedrigkalorischen Speisen und untersuchten die Gehirnaktivität mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT). Gleichzeitig sollten die Teilnehmer angeben, wie gerne sie die jeweiligen Nahrungsmittel essen wollten. Im Anschluss wurden ihnen verschiedene Speisen angeboten, von denen sie nach Belieben essen konnten. Adipöse Teilnehmer zeigten dabei eine stärkere Gehirnreaktion auf Wörter für kalorienreiche Lebensmittel – etwa „Chicken Wings“ oder „Schokoladenaufstrich“ – als schlanke Probanden. Stärker aktiviert waren unter anderem der dorsolaterale präfrontale Cortex (dlPFC) und der Gyrus Cinguli – Regionen, die mit der Verarbeitung von Gefühlen und der Kontrolle von Impulsen zu tun haben. Erlebten die Teilnehmer in einer Versuchsbedingung sozialen Stress, reagierten beide Gruppen auf die „süßen und fettigen“ Wörter mit stärkeren Aktivierungen im Gehirn. Allerdings nahmen nur fettleibige Probanden im Anschluss mehr Kalorien zu sich, als wenn sie keinen Stress erlebt hatten. „Die verstärkte Reaktion des Gehirns auf Nahrungsreize – sowohl unter Stress als auch in stressfreiem Zustand – könnte erklären, wie es zu einer erhöhten Nahrungsaufnahme und zu Gewichtszunahme kommt“, schreiben die Forscher. Die Kenntnis solcher Aktivierungsmuster könnte dazu beitragen, neuartige Medikamente zu entwickeln oder den Erfolg von Therapien zu bewerten.
An einer zweiten Studie der gleichen Autoren nahmen 35 Teenager im Alter von 14 bis 19 Jahren teil. Dabei ließ sich ein Zusammenhang zwischen der Reaktion auf Speisewörter und dem genetisch bedingten Risiko für Übergewicht beobachten – definiert durch die Anzahl der Risikoallele in allen vier untersuchten Genvarianten. Probanden mit erhöhtem Adipositasrisiko empfanden nach dem Betrachten der Speisewörter ein stärkeres Gefühl des Verlangens. Zudem war eine bestimmte Genvariante (FTO) mit einem geringeren Gefühl der Selbstkontrolle beim Essen verbunden. Und Probanden mit einem Risikoallel in einer anderen Genvariante (MC4R) neigten dazu, nach der Wortbetrachtung mehr kalorienreiche Speisen zu essen. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass genetische Risikofaktoren für Adipositas das Körpergewicht durch unterschiedliche Mechanismen beeinflussen“, schreiben die Forscher. Einer dieser Faktoren sei ein verstärktes Verlangen nach Essen, das durch Wörter, Bilder oder Gerüche von Nahrungsmitteln ausgelöst werden kann. Insgesamt legen die Studien nahe, dass Stress und Umwelteinflüsse – etwa Werbung für bestimmte Nahrungsmittel – die Gehirnaktivität verändern und so das Essverhalten beeinflussen können. „Das macht es für manche Menschen schwierig, ihre Nahrungsaufnahme angemessen zu regulieren – insbesondere für Menschen mit Adipositas oder einem genetisch erhöhten Risiko dafür“, erläutert Carnell.
Auch bei Essstörungen scheint das Gehirn anders auf Nahrungsreize zu reagieren. So leiden Patienten mit einer Binge-Eating-Störung unter Essanfällen, bei denen sie unkontrolliert große Mengen in sich hineinschlingen. In einer Studie [Paywall] der Mount Sinai School of Medicine in New York und der Johns Hopkins University sahen 10 Frauen mit und 10 Frauen ohne Binge-Eating-Störung Bilder von hoch- und niedrigkalorischen Lebensmitteln – oder hörten die entsprechenden Begriffe. Gleichzeitig wurden ihre Gehirnaktivität und die Verbindungsstärke zwischen verschiedenen Hirnregionen (funktionelle Konnektivität) gemessen. Frauen mit Binge-Eating-Störung zeigten bei hochkalorischen Speisen eine erhöhte Aktivität im Anterioren Cingulum – und stärkere Verbindungen zwischen diesem Gebiet und anderen Hirnregionen wie Insellappen und Kleinhirn. Das deutet darauf hin, dass die Betroffenen beim Anblick von Essen verstärkt innere Konflikte erleben – etwa zwischen dem Verlangen, zu essen und dem Wunsch, ihr Essverhalten zu kontrollieren. Allerdings seien weitere Studien nötig, um die Ergebnisse zu überprüfen.
Solche und ähnliche Untersuchungen könnten aber auch Wege aufzeigen, wie die Betroffenen den Verlockungen ihrer Umgebung besser widerstehen können. So ergab eine Studie [Paywall] von Forschern an der Universität Kapstadt (Südafrika), dass Übergewichtige lernen können, ihre Impulse besser zu kontrollieren. Die Wissenschaftler um David John Hume untersuchten 51 übergewichtige oder fettleibige Frauen, die entweder erfolgreich abgenommen hatten, weiterhin übergewichtig waren oder nach einer Diät zu ihrem ursprünglichen Gewicht zurückgekehrt waren. Die Probandinnen betrachteten Bilder von Speisen, während ihre Gehirnaktivität per EEG gemessen wurde. Frauen, die erfolgreich abgenommen hatten, zeigten beim Anblick der Nahrungsbilder in ihrer Gehirnaktivität mehr Anzeichen von Kontrolle. Gleichzeitig neigten sie weniger dazu, allein aus Lust zu essen. Solche Ergebnisse könnten helfen, zu verstehen, wie jemand mehr Kontrolle über die überall präsenten Nahrungsreize erreichen könnte, schreiben die Autoren. „Das könnte dazu beitragen, neue Therapieansätze zu entwickeln, die zu einer langfristigen Gewichtsabnahme beitragen können“, so Hume.
Sowohl die Reaktionen des Gehirns als auch das Essverhalten seien definitiv veränderbar, ist Susan Carnell überzeugt. „Deshalb sollten Menschen mit Adipositas oder erhöhtem Risiko dafür nicht die Hoffnung aufgeben – sie sind nicht dazu verdammt, dick zu sein oder zu werden“, so die Psychologin. Eine Möglichkeit sei zum Beispiel, seine unmittelbare Umgebung zu verändern, um das Risiko zu verringern, übermäßig viele Kalorien zu sich zu nehmen. „Anstatt in einem Restaurant auf die Speisekarte zu schauen, könnten die Betroffenen den Kellner bitten, ihnen nur die gesündesten Gerichte zu nennen“, sagt Carnell. „Und Orte, an denen viele kalorienreiche Gerichte angeboten werden, sollten sie eher meiden – etwa Fast-Food-Restaurants oder die Kantine.“ Wer dazu neigt, vor allem bei psychischer Anspannung zu viel zu essen, kann Strategien lernen, um Stress zu vermindern oder ihn besser zu bewältigen. Gleichzeitig können die Betroffenen üben, die Tendenz zum „Stressessen“ rechtzeitig zu erkennen und gezielt gegenzusteuern – zum Beispiel, indem sie stattdessen mit einem Freund sprechen, meditieren oder einen Spaziergang machen.