Immer mehr Diabetiker entwickeln auf eigene Faust Systeme aus Insulinpumpe und Glukosemessung. Jetzt wird auch die Industrie wach.
Ständig messen, spritzen, nachjustieren: Manch ein Typ-1-Diabetiker hat sich diesen Alltag erleichtert, indem er Insulinpumpe und Glukosemesssystem gekoppelt hat. Wie das geht? Oft durch ambitionierte Pionierarbeit, bei der Algorithmen entwickelt und Übertragungssignale geknackt werden. Durch die Verbindung über eine Recheneinheit entsteht ein sogenanntes Closed-Loop-System.
Die Gründe für Diabetiker und deren Angehörige, auf eigene Faust solche Systeme zu entwickeln, sind vielfältig. Neben dem persönlichen Ehrgeiz einiger Computer-Nerds, sind es vor allem Eltern, die den kontinuierlich gemessenen Blutzuckerspiegel ihrer Kinder aus der Ferne überwachen und steuern wollen. Aber auch Patienten, die einfach nicht aufwachen, wenn ihr System nachts Alarm gibt, möchten mehr Sicherheit.
Indem diese Menschen im Internet ihr Wissen geteilt haben, sind in der Vergangenheit Foren und Plattformen wie Open APS (Open Source Artificial Pancreas System) entstanden. Dort tüfteln mittlerweile Softwareentwickler, Programmierer und Ingenieure aus aller Welt gemeinsam an drei Open-Source-Loop-Systemen. Sie verändern die Welt des Diabetes, indem sie ihre Quellcodes zur Verfügung stellen. In der DIY-Community hilft man sich gegenseitig, so dass man sich mit Sorgfalt und Geduld auch ohne Programmierkenntnisse ein Closed-Loop-System basteln kann.
Die Juristin Saskia Wolf war Ende Mai 2016 eine von knapp zwölf Loopern mit Typ-1-Diabetes in Deutschland, heute sind es schon 500. Während der Wechseljahre hatte sie besonders nachts mit einer stark schwankenden Insulinempfindlichkeit zu kämpfen, woraufhin sie sich an Open APS wendete. „Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr fing ich Feuer“, so Wolf.
Einige Zeit später hatte sie es geschafft: „Wie angenehm ein ungestörter Schlaf ist, kann sicher jeder nachempfinden, dessen Kind endlich einmal durchschläft. Mir geht es damit deutlich besser: Ich kann nahezu alarmfrei schlafen, ich bin tagsüber ausgeruhter und leistungsfähiger, ich bin seitdem generell seltener krank. Ich bin auch wieder mutiger geworden, weil ich keine Angst mehr vor Unterzuckerungen habe.“ Ihre Werte liegen zu etwa 97 Prozent im Zielbereich von 70 bis 180 mg/dl und das ohne Low-Carb-Ernährung.
Trotzdem ist ein Closed-Loop-System kein simpler Automatismus, der alles selbst regelt. Die Therapie muss schon vorher optimiert sein, die Werte müssen im Auge behalten werden, und die Einstellungen erfordern immer wieder Anpassungen. Heute reist Wolf durch Deutschland, um Experten und Laien von den Möglichkeiten solcher Systeme und ihren Erfahrungen zu berichten.
Die Marke Eigenbau hat aber Tücken. Denn es handelt sich um einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch der Medizinprodukte, wodurch Haftungsansprüche gegenüber dem Hersteller verfallen. Diabetologe Prof. Reinhard Holl gibt zu bedenken: „Wer damit am Straßenverkehr teilnimmt, geht ein hohes Risiko ein. Treten bei nicht-zugelassenen Produkten Fehlfunktionen auf und wird dabei beispielsweise unbemerkt eine überhöhte Insulindosis abgegeben, kann dies zu einer schweren Unterzuckerung und damit auch zu Unfällen führen.“
Das kann strafrechtliche Konsequenzen und Haftungsforderungen nach sich ziehen. Ärzte dürfen ihre Patienten daher nicht auf solche Foren und Eigenbau-Systeme aufmerksam machen.
Das ist aber auch nicht mehr notwendig. Seit September ist in Deutschland ein lang ersehntes Hybrid-Closed-Loop-System verfügbar, das die basale Insulinabgabe basierend auf im Abstand von fünf Minuten gemessenen Sensorglukosewerten automatisch anpasst.
Zu den Mahlzeiten müssen noch die abgeschätzte Menge an Kohlenhydraten eingegeben und die von der Pumpe vorgeschlagene Bolus-Korrektur bestätigt werden. Außerdem sind täglich zwei konventionelle Blutzuckermessungen zur Kalibrierung des Sensors nötig.
Bildquelle: Andrik Langfield, Unsplash
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