Wir in der Vor-Ort-Apotheke müssen unsere Zukunft aktiv gestalten, sonst ist es bald aus mit uns. Von Ernährungsberatung über Medikationsanalyse zur Chroniker-Betreuung: Diese Maßnahmen können wir ergreifen.
Ist die öffentliche Apotheke noch zu retten? Die Digitalisierung schreitet voran und mit ihr die Bedrohung durch ausländische Apotheken, die sich nicht an deutsches Recht halten (müssen?). Plattformen, die den Kunden das Komplettpaket der Online-Arztkonsultation und des anschließenden Medikamentenversandes auf dem Silbertablett servieren, schießen wie Pilze aus dem Boden – weit bevor das E-Rezept überhaupt auf dem Markt ist. Die Apotheke vor Ort scheint Gegnern wie Doc Morris oder Amazon nicht gewachsen zu sein. Wird sie verschwinden? Was kann sie anbieten, was die Mitbewerber nicht können? Sind es gar Dienstleistungen, die sie aus dem Sumpf der zunehmenden Bedeutungslosigkeit ziehen können?
Dass die Zukunft des Einkaufs grundsätzlich nicht mehr in den Innenstädten, sondern im Wohnzimmer zu Hause stattfinden wird, ist eigentlich sicher. Das wird zwar allenthalben mit blumigen Worten bedauert, doch sind trotzdem immer mehr Paketboten auf den Straßen unterwegs. Neulich gestattete uns ein Kurierfahrer, der die Apotheke anfuhr, einen Blick in das Wageninnere: Es war wie ein Blick in eine Zukunft, die wir uns so gar nicht vorstellen möchten. Da lagen Päckchen über Päckchen von Online-Apotheken aus dem In- und Ausland. Das tat weh, aber es ist offenbar das, mit dem zukünftig gerechnet werden muss, ob man das nun persönlich als gefährlich oder schlecht erachtet oder nicht.
Mit dem E-Rezept erwarten Online-Apotheken ein kräftiges Wachstum, die Vor-Ort-Apotheker tun sich hingegen noch schwer mit der Etablierung einer einzigen großen und gemeinsamen Plattform. Doch immer mehr Menschen werden ihre Einkäufe wahrscheinlich online über eine einzige Plattform erledigen wollen. Ein einzelner Warenkorb mit Elektronikartikeln, Arzneimitteln und Lebensmitteln für den täglichen Bedarf spart Zeit. Selbst wenn die Apotheken sich also noch rechtzeitig um eine entsprechende Online-und App-Präsenz und deren Bewerbung kümmern, bleiben sie mit ihrer gewünschten separat agierenden Plattform möglicherweise genau so unbeachtet, wie ein Tante-Emma-Laden neben dem Einkaufszentrum.
Der Gesundheitsminister wirbt in den letzten Monaten darum, dass die Apotheke sich neu erfinden soll, nämlich nicht mehr ausschließlich als zentraler Punkt, der Arzneimittel ausgibt und dazu berät, sondern als pharmazeutisches Dienstleistungszentrum. Impfungen sollen hier zukünftig genau so angeboten werden wie … Wie was eigentlich? Als Außenstehender hat man den Eindruck, dass vom Großteil der Apothekerschaft hauptsächlich Ablehnung kommt und ausschließlich versucht wird, das etablierte System noch so lange wie möglich am Laufen zu halten. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich beklagte dies beim Eppendorfer Dialog am 4. Dezember in Hamburg. Doch aus der Nähe betrachtet gibt es durchaus Bewegung.
Im Bereich der Medikationsanalyse sei hier das Beispiel „Athina“ genannt, eine Fortbildung für Apotheker zum Thema Arzneimitteltherapiesicherheit in Apotheken. Die Landesapothekerkammer erklärt sie auf ihrer Homepage folgendermaßen:
„Bei einer Medikationsanalyse werden mit dem Patienten zwei Termine vereinbart. Zunächst bringt der Patient alle seine Arzneimittel in die Apotheke. Die Präparate werden durch den Apotheker erfasst und die Medikation strukturiert analysiert.
Beim zweiten Termin erhält der Patient einen übersichtlichen Medikationsplan und Informationen zu seinen Arzneimitteln. Der Apotheker prüft auch, ob die Präparate zu einander passen. Häufig kommt es beispielsweise vor, dass Patienten fast identische Arzneimittel gleichzeitig einnehmen. Der Apotheker macht Vorschläge, wie sich die Wirkung der Arzneimittel optimieren lässt, wie sich Nebenwirkungen vermeiden lassen und sogar, welche Arzneimittel nach Rücksprache mit dem Arzt abgesetzt werden könnten.“
Diese Dienstleistung, die knapp 70 Euro kostet, muss der interessierte Patient allerdings selbst tragen. Eine Abrechnung über die Krankenkasse ist noch nicht möglich, wäre aber zum Wohle der Patienten wünschenswert.
Weitere Angebote, die hier genannt werden sollen: eine Ernährungsberatung, eine Betreuung von Diabetikern, jungen Müttern, eine Hautsprechstunde, Inkontinenzberatung oder das Thema Raucherentwöhnung. Das sind alles Themen, die aus dem Apothekenalltag nicht wegzudenken sind, die meistens viel Zeit kosten und bisher nicht honoriert werden. Es sei denn der Kunde zahlt für diese Beratung freiwillig. Doch ist genau das doch eigentlich die Kernaufgabe der Pharmazeuten, eine Aufgabe die sie auch deutlich lieber erledigen als das ständige Kümmern um Lieferengpässe oder die korrekte Erfüllung von Rabattverträgen.
Wie sinnvoll eine enge Begleitung von chronisch kranken Menschen durch Apotheker ist, wurde ganz aktuell im British Journal of Clinical Pharmacology thematisiert. Abdullah Alsheri von der University of Birmingham analysierte mit seinem Team 21 randomisierte kontrollierte klinische Studien, um das Potential von Pharmazeuten zu eruieren, das zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen genutzt werden kann. Untersucht wurde sowohl das Medikamentenmanagement als auch die Aufklärung der Patienten über ihre Krankheit sowie Vorschläge zur Änderung ihres bisherigen Lebensstils und der körperlichen Beurteilung. Die Anpassung der individuellen Medikation und die Identifizierung von Kontraindikationen und Wechselwirkungen gingen also Hand in Hand mit praktischen Tipps zum Lebensstil und der Erfassung und Bewertung der körperlichen Situation.
Die Ergebnisse dieser Meta-Analyse sprechen eine klare Sprache: Die pharmakologisch betreuten Patienten erlebten eine signifikante Senkung des systolischen Blutdrucks, des HbA1C-Wertes und des LDL-Cholesterins. Zusätzlich wussten die Patienten nach dieser Betreuung besser, mit den verschriebenen Medikamenten umzugehen und sie sicher anzuwenden. Abdullah Alshehri sieht hier eine deutliche Chance für das Gesundheitssysteme und politische Entscheidungsträger, die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität sowie die negativen körperlichen Auswirkungen von Diabetes zu senken. Eine stärkere Beteiligung von Apothekern in der medizinischen Versorgung könnte somit die Kontrolle von Medikamenten und Beschwerden bei Chronikern verbessern.
Bisher finanziert sich die Apotheke vor Ort vor allem über den Stücknutzen, es wird Zeit hier umzudenken, denn die „Stücke“ werden weniger, wenn der Online-Markt weiterhin wächst – und das wird er. Ein Angebot von medizinischen und pharmazeutischen Dienstleistungen gibt es bereits, doch das darin liegende Potenzial wird bislang von vielen Apotheken verschenkt, weil die Abrechnungsmöglichkeit fehlt.
Einige Standesobere haben dies bereits erkannt, wie auch die Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, Dr. Kerstin Kemmritz. Beim Eppendorfer Dialog sagte sie ganz klar, dass sie die Apotheken als „Gesundheitsmanager, Gatekeeper und Therapiebegleiter“ sieht und wünschte sich für die Zukunft pharmazeutische Dienstleistungen als Standardleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Frage ist jedoch, ob die Apotheker dieses Umdenken überhaupt wollen. Die Befürchtung bleibt, dass vielen von ihnen andernfalls auf lange Sicht nur noch ein Platz als Außenstelle von DocMorris bleiben wird.
Bildquelle: Motoki Tonn, Unsplash