Apothekenleiter kommen in die Jahre. Demografische Tendenzen machen auch vor der Pharmazie nicht Halt. Jetzt ist guter Rat teuer: Viele Kollegen scheitern bei der Übergabe ihrer Apotheke. In der Fläche drohen Versorgungslücken. Doch davon will der Gesetzgeber nichts hören.
Deutschland verändert sich. Sinkende Geburtsraten stehen einer steigenden Lebenserwartung gegenüber. Aus statistischer Sicht wächst der Anteil älterer Menschen überproportional an. Dieser demografische Wandel ist mittlerweile hinter dem HV-Tisch angekommen, wie eine aktuelle Studie des Hessischen Apothekerverbands (HAV) zeigt.
Im Kammerbezirk gibt es derzeit 1.530 öffentliche Apotheken; 2010 waren es noch 1.616. Zusammen mit der Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie, Universität Bayreuth, und der Unternehmensberatung Oberender & Partner haben Standesvertreter untersucht, welche altersbedingten Effekte auftreten könnten. Das Durchschnittsalter von Inhabern liegt derzeit bei 52,8 Jahren – etwa 9,5 Prozent sind mindestens 65 Jahre alt. Auf regionaler Ebene gibt es starke Schwankungen in beide Richtungen. Apothekenleiter im Werra-Meißner-Kreis sind vergleichsweise jung, hier liegt der Altersdurchschnitt bei 49,0 Jahren. Am anderen Ende der Skala rangiert der Vogelsbergkreis mit 56,0 Jahren. Nahmen Statistiker fiktiv an, Inhaber würden mit 68 Jahren ihren Ruhestand antreten, müssten bis 2025 knapp 37 Prozent aller Chefsessel nachbesetzt werden. Bei einer Simulation mit 60 Jahren als Rentenalter wären fast 70 Prozent aller Apothekenleiter betroffen. Finden sie keine Nachfolger, bleibt nur, ihre Apotheke zu schließen. Hessen ist kein Einzelfall. Unser Gesundheitssystem hat demografische Probleme, berichtet auch das Statistische Bundesamt (DESTATIS). Aktuellen Erhebungen zufolge sind mehr als 40 Prozent aller Apotheker in Deutschland über 50 Jahre alt, 16 Prozent sogar über 60.
Entsprechende Altersstrukturen bleiben nicht ohne Folgen. Um Details über die Lebensplanung zu erfahren, hat das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) 340 Inhaber befragt. Etwa 34 Prozent wollen in den nächsten ein bis fünf Jahren und weitere 15 Prozent in den sechs bis zehn Jahren ihren Kittel an den Nagel hängen. Von allen Studienteilnehmern rechnen 62 Prozent mit Problemen bei der Übergabe oder haben aktuell Schwierigkeiten. Bleibt zu klären, welche Gründe dahinter stecken. Rund 57 Prozent führen die sinkende Rentabilität an, gefolgt von ungünstigen Standorten respektive Landapotheken (21 Prozent) und der gesundheitspolitischen Lage allgemein (15 Prozent). Weniger relevant waren die hohe Arbeitsbelastung (9 Prozent), die Bürokratie (4 Prozent) oder die ungünstige Finanzierung durch Banken (3 Prozent).
Erschwerend kommt hinzu, dass sich Kolleginnen und Kollegen laut Analysen der apoBank immer später für ihre eigene Apotheke entscheiden. Das durchschnittliche Alter pharmazeutischer Existenzgründer lag zuletzt bei 38,2 Jahren. In der Altersgruppe 41 plus waren deutlich mehr Apothekerinnen (43 Prozent) als Apotheker (22 Prozent) zu finden – Frauen wagen den Sprung später. Georg Heßbrügge, Bereichsleiter Gesundheitsmärkte und -politik bei der apoBank, sagt, Kolleginnen würden sich eine Existenzgründung teilweise erst zutrauen, nachdem sie ihre Familienplanung weitgehend abgeschlossen hätten. „Doch die wirtschaftliche Selbständigkeit kann auch in einer früheren Lebensphase durchaus Vorteile gegenüber dem Angestelltenstatus mit sich bringen.“ Ihre Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit biete zahlreiche Optionen, um Vorzüge der Selbständigkeit mit privaten Interessen zu verbinden.
Mit dem Willen allein ist es nicht getan. An erster Stelle steht ein geeignetes Objekt – Apotheken gelten schon lange nicht mehr als Selbstläufer. Während im letzten Jahr rund 75 Prozent der Existenzgründungen als Übernahme eines bereits bestehenden Betriebs erfolgen, finden Neugründungen eher sporadisch statt. Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt: Banken finanzieren nur noch handverlesene Standorte, etwa die Apotheke im neuen Ärztehaus. Pharmazeuten setzen ihrerseits auf größere Strukturen. Jede sechste Apotheke wurde zuletzt als Verbund übernommen. „Think big“ ist zum Trend geworden.
Die Kehrseite der Medaille: Landapotheken haben in vielen Fällen keine Zukunft mehr. Falls der Markt weiter auseinanderdriftet, müssen Patienten mit Einschnitten bei der flächendeckenden Versorgung rechnen. Ob Union und Sozialdemokraten gesetzliche Rahmenbedingungen in nächster Zeit ändern werden, bezweifeln Standesvertreter. Tatsächlich ist es mit Geldern aus dem Nacht- und Notdienstfonds nicht gelungen, das Apothekensterben zu stoppen. Auch beim Medikationsmanagement gehen Kollegen leer aus. Bleibt als schwacher Trost ein weiterer Blick auf die demografische Entwicklung: Für Hessen erwarten Experten bis zum Jahr 2025 jährlich ein Prozent mehr Kundenkontakte. Bei Verordnungen sollen es sogar plus drei Prozent werden. Lediglich OTCs entwickeln sich rückläufig.