Manche meiner Patienten fragen mich, ob sie eine sogenannte Krebsversicherung abschließen sollen. Dazu habe ich eine ganz klare Meinung.
„Angst ist ein wichtiger menschlicher Reflex, aber Angst ist ein ganz schlechter politischer Ratgeber.“ – Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident
Im Studium lernt man viel (theoretisches) über Erkrankungen. Im Alltag in meiner Hausarztpraxis sehe ich vor allem Menschen. Sicher benötige ich auch sehr viel von dem ganzen Hintergrundwissen. Im Alltag merkt man aber immer wieder, dass es vor allem auch darauf ankommt, wie der Patient seine Erkrankung empfindet. Dabei gibt es eine Erkrankungsgruppe, vor der die allermeisten eine riesige Angst haben: Die bösartigen Erkrankungen („Krebs“).
„Krebs“ macht den Leuten Angst. Bei „Krebs“ denken die meisten an Leiden, Schmerzen, furchtbare (Chemo-)Therapien, bei denen alle Haare ausfallen, etc. Dass im medizinischen Sinne da extrem unterschiedliche Krankheitsbilder drunter fallen wie die leider oft sehr aggressiven Lungenkrebs-Arten, aber auch das oftmals eher langsam wachsende und manchmal auch erst nach dem Tod entdeckte Prostatakarzinom (dessen Häufigkeit bei Menschen 80+ mit über 60% angegeben wird!), ist für die Patienten erstmal egal. „Krebs“ ist erstmal eine Katastrophe, vor der man sich am liebsten möglichst umfangreich schützen möchte. Was ja auch verständlich ist.
Leider lockt diese Konstellation Geschäftsleute an, die mit dieser Angst Geld verdienen wollen. Zum Beispiel mit sogenannten „Krebsversicherungen“ oder „KrebsSCHUTZ-Versicherungen“. Es gibt inzwischen diverse Anbieter, die damit werben, dass sie zum Beispiel a) zusätzliche Vorsorgeuntersuchungen bezahlen oder b) im Falle einer Krebserkrankung nicht zweckgebundenes Geld ausbezahlen, mit dem man dann „seine Familie absichern“ oder „sein Haus umbauen“ könne – oder es für Heilmethoden ausgeben, die (noch?) nicht Kassenleistung seien.
Ich sehe, ebenso wie Verbraucherschützer, bei diesen Versicherungen mehrere Probleme.
Ich habe mich ja schon zum Thema Über-Diagnostik in einem Artikel geäußert. Eine Vorsorgeuntersuchung muss immer abwägen zwischen dem Nutzen, den sie haben soll, und dem Schaden, den sie z.B. mit nicht notwendigen Therapien anrichtet. Auch die psychische Belastung, die bei dem Patienten (teils auch dauerhaft) entstehen kann, kann gar nicht genug betont werden! Deswegen gilt gerade bei Vorsorgeuntersuchungen nicht „viel hilft viel“, sondern man muss schon überlegen, was für den einzelnen Patienten sinnvoll ist.
Mein Eindruck ist schon, dass mit den von den Krankenversicherungen übernommenen Leistungen unsere Patienten wirklich gut versorgt sind. Wer mehr möchte, sollte sich vorher gut informieren, was dafür bzw. dagegen spricht. Denn nicht jeder auffällige Befund, der dabei entdeckt wird, ist bösartig und es gibt immer wieder Fälle, bei denen es dann zu einer heftigen Übertherapie kommt (z.B. auch durch Komplikationen bei der Probenentnahme, etc.).
Ich kenne leider auch mehrere Fälle, bei denen die Patienten einen massiven Schaden erlitten haben oder sogar gestorben sind, weil eine vermeintliche „Krebserkrankung“ (v.a. Lunge oder Pankreas) operiert wurde – und sich im Nachhinein herausstellte, dass der Befund doch gutartig war. Denn so einfach ist das nicht immer zu unterscheiden, gerade bei den oft schnell wachsenden Tumoren von Lunge und Pankreas, wo ja im Erkrankungsfall Eile geboten ist.
Auch die Einmalzahlung sehe ich kritisch: Mit den meistens angebotenen Beiträgen von 10.000-25.000 Euro sichert man leider keine Familie dauerhaft ab. Und ein Haus umbauen wird auch sehr schnell deutlich teurer. Deswegen dienen solche Zahlungen mehr der jetzigen Beruhigung als der wirklichen Absicherung im Ernstfall.
Denn das muss man leider auch sagen: Ein Teil der Krebserkrankungen wird durch den Lebensstil entscheidend mit beeinflusst. Und es ist schon eine seltsame Ironie, dass Leute zusätzlich viel Geld ausgeben sollen, um sich gegen die Krebserkrankung abzusichern, statt ihr Leben so zu ändern, dass eine Krebserkrankung unwahrscheinlicher wird (z.B. Rauchen aufhören – das spart häufig sehr viel Geld, ist aber wegen des Suchtpotentials sicherlich deutlich schwieriger, als eine Versicherung abzuschließen). In dieser Beeinflussbarkeit durch den Lebensstil liegt eigentlich eine Riesenchance, die aber viel zu selten genutzt wird. Stattdessen sollen diese Versicherungen beruhigen, dass man ja „finanziell vorgesorgt habe“.
Außerdem sind es ja nicht unbedingt ausschließlich die bösartigen Erkrankungen, die unsere Patienten im Alltag stark einschränken und/oder ihr Leben deutlich verkürzen.
Die meisten Patienten sterben laut Statistik in Deutschland an Herz-/Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkt oder Herzinsuffizienz. Auch wenn es in den letzten 20 Jahren seltener geworden ist: Es gibt leider immer noch Patienten, die im Rahmen eines „plötzlichen Herztods“ einfach tot umfallen oder einen so heftigen Herzinfarkt erleiden, dass sie daran versterben. Und so eine Herzinsuffizienz mit Atemnot schon bei geringer Belastung ist eine extrem einschränkende Erkrankung, die häufig zum Tode führt – aber nicht im medizinischen Sinne „bösartig“ ist. Somit also kein Geld von solchen Versicherungen zu erwarten ist.
Im Gegensatz dazu ist es z.B. für eine Berufsunfähigkeitsversicherung grundsätzlich egal, ob man berufsunfähig ist wegen einer bösartigen Erkrankung, einer Herzerkrankung, extremer Rückenschmerzen oder einer Depression. Deswegen halte ich auch diese Art von Versicherung für deutlich sinnvoller – wie übrigens auch z.B. Stiftung Warentest. Und ja, das ist ein realistisches Risiko: Jeder Vierte (!) wird im Laufe seines Lebens berufsunfähig, aber nur in 14 % der Fälle durch eine Krebserkrankung.
Die Liste der Erkrankungen, die einen massiv einschränken können, ohne „bösartig“ zu sein, lässt sich noch sehr lange weiterführen:
Um das nochmal klarzumachen: Das soll nicht bedeuten, dass Krebserkrankungen nicht wichtig seien oder nicht massiv einschränken. Natürlich tun sie das in den allermeisten Fällen und das ist auch sehr schlimm! Und es ist gut, wenn daran weiter geforscht wird und ich finde es toll, dass es immer neuere, bessere und vor allem auch besser verträgliche Therapien gibt.
Worum es mir geht: Diese „Krebsversicherungen“ suggerieren meiner Meinung nach etwas, was einfach nicht stimmt:
Erstens: Dass die von der Krankenkasse bezahlte Vorsorge nicht ausreicht bzw. mehr Vorsorge immer besser sei.
Zweitens: Dass man damit genug Geld bekommen würde, um „die Familie abzusichern“ oder ähnliches.
Und drittens (was ich am schlimmsten finde): Dass man sich mit ausreichend Geld eine bessere Therapie und damit ein längeres Leben kaufen könnte! Dieses Misstrauen, was da gesät wird, finde ich schrecklich. Natürlich werden immer neue Therapien entwickelt und es ist gut, wenn immer neue Ideen versucht werden. Aber es ist auch extrem wichtig, dass diese Therapien erst in Studien geprüft werden, bevor man sie anwendet.
Nicht immer ist nämlich die neuere Therapie die bessere und schon so manche „erfolgversprechende Therapie“ ist sang- und klanglos wieder verschwunden, wenn sie sich gegen den bisherigen Goldstandard nicht durchsetzen konnte. Natürlich steht es jedem frei zu versuchen, in eine entsprechende Studie reinzukommen. Aber ich persönlich würde nicht so ohne weiteres irgendeiner experimentellen Therapie vertrauen, gerade bei den Krankheitsbildern, wo es inzwischen eine bewährte, gut erforschte Therapie gibt (z.B. Darmkrebs).
Das mögen andere Leute anders sehen und das ist auch völlig in Ordnung so. Aber ich finde es ethisch betrachtet schwierig, wenn über solche Suggestionen Geld gemacht wird mit der Angst der Patienten. Und ja, ich würde meinen Patienten, wenn sie mich fragen, definitiv von solchen Versicherungen abraten. Deswegen würde ich das Zitat vom Anfang abwandeln:
„Angst ist ein wichtiger menschlicher Reflex, aber Angst ist ein ganz schlechter finanzieller Ratgeber.“ Erst recht in medizinischen Dingen.
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Bildquelle: JT, unsplash